Outdoor/15.03.2019

„Die Outdoor-Branche muss ihre Prioritäten neu überdenken“

Wir benötigen Ihre Zustimmung, um die Bewertungsfunktion zu aktivieren!

Diese Funktion ist nur verfügbar, wenn eine entsprechende Zustimmung erteilt wurde. Bitte lesen Sie die Details und akzeptieren Sie den Service, um die Bewertungsfunktion zu aktivieren.

Bewerten
Merken

Arne Strate ist neuer Geschäftsführer der European Outdoor Group (EOG). Er fordert von seiner Branche ein Umdenken beim Thema Nachhaltigkeit und CSR. Nur dadurch kann Outdoor wachsen statt zu schrumpfen. Den Weg gibt für ihn der Kunde vor.

Den Weg für die Outdoor-Branche gibt er vor: der Konsument.
Den Weg für die Outdoor-Branche gibt er vor: der Konsument.

Er ist immer noch frisch in seinem Job: Am 1. Januar 2019 startete Arne Strate als Geschäftsführer der European Outdoor Group (EOG), dem Zusammenschluss vieler großer Outdoor-Marken. Strate hat sich bereits gut eingearbeitet, er kennt die EOG ja schon: Von 2016 an arbeitete er zwei Jahre lang als Head of Marketing and Business Development bei der Vereinigung. Trotzdem sagt er über die ersten Monate in seiner neuen Funktion: „In der traditionellen Outdoor-Branche war ich neu und musste mich schon bekannt machen.“

Ursprünglich kommt Strate aus dem Boardsport- und Actionsport-Bereich. Er verkaufte Snowboards und war bei Volcom und Reef im Marketing tätig. Aus dieser Zeit kannte er einige Produktionsstätten der Outdoor-Unternehmen. Als EOG-Geschäftsführer repräsentiert er den Zusammenschluss bei der ersten OutDoor by ISPO (30. Juni bis 3. Juli 2019) in München.

Gemeinsam mit dem Rheingold-Institut hat ISPO eine Studie unter dem Titel „Outdoor ist ein menschliches Grundbedürfnis“ erstellt. Dabei geht es um die Einstellungen und Wünsche der Konsumenten zum Thema Outdoor. Daraus entstand zudem ein kostenloses Whitepaper für Händler und die Industrie.

„Sport in der Natur ist das Beste, was man tun kann“

ISPO.com: Herr Strate, war in der Studie auch für Sie – gewissermaßen als Outdoor-Experte – etwas Neues dabei?
Arne Strate: Ja, tatsächlich. Die Studie hat auf eine sehr positive Weise bestätigt, was wir bereits für die „It’s great out there“-Coalition herausgefunden hatten. 2017 haben wir diese mit eigenen Mitgliedern und eigener Finanzierung gegründet. Sie kümmert sich darum, dass die Leute motiviert und auf eine nachhaltige Weise an den Sport in der Natur herangeführt werden. Da gehören natürlich die Aktiven dazu, aber im Hauptfokus stehen die Leute, die überhaupt noch nichts machen. Wir und viele andere glauben, Sport in der Natur ist das Beste, was man tun kann gegen die schweren gesundheitlichen Probleme, die mit dem Leben in der modernen Gesellschaft einhergehen können.

Arne Strate, Geschäftsführer der European Outdoor Group
Arne Strate, Generalsekretär der European Outdoor Group
Bildcredit:
Messe München GmbH

Familie beim Ausflug im Park statt Eispickel auf dem Berg

Das wussten Sie ja also eigentlich schon. Aber was hat Sie wirklich überrascht?
Grundsätzlich hat mir der psychologische Aspekt sehr gut gefallen. Wir haben ja mehr den Hands-on-Aspekt erforscht, also: Warum gehen die Leute nicht raus? Wie können wir sie direkt motivieren? Die Rheingold-Studie hat viel tiefer gegraben. Und am Ende steht fest: Selbst, wenn die Leute gar keinen Sport machen, sind sie nicht nur dafür offen, in der Natur aktiv zu sein, sondern es ist ihnen ein Grundbedürfnis!

Wir haben nebenbei auch festgestellt, dass wir zwei verschiedene Sprachen reden. Wenn wir als Outdoor-Branche mit Bildern werben, auf denen Leute alleine mit einem Eispickel auf dem Berggipfel stehen, drehen sich alle Leute, die nicht zumindest ein Grundlevel an Fitness haben, um. Das interessiert die nicht, das ist zu extrem. Wenn wir ihnen aber Bilder zeigen, wie eine Familie mit dem Fahrrad durch den Park fährt, spricht es sie an.

Die Outdoor-Branche muss ihre Werbung ergänzen

Was heißt das für die Outdoor-Branche? Soll sie ihre Werbung Ihrer Meinung nach umstellen?
Nicht umstellen. Aber ergänzen. Grundsätzlich muss die Branche sich überlegen, ob ihre Prioritäten richtig sind. Denn ohne Natur gibt es kein Outdoor-Business und ohne aktive Menschen auch nicht. Warum haben dann aber nur ganz wenige Firmen eine Naturschutz-Abteilung? Warum hat keine einzige Firma eine „Activation-of-Population“-Abteilung? Die gibt es nicht. Das wird im Marketing so mitgemacht, wenn überhaupt.

Aber wenn man sich die Problematik einmal ganz unvoreingenommen anschaut, dann sollte es eigentlich andersherum sein: Diese Sachen müssten als erstes die Aufmerksamkeit bekommen und eigentlich kann man erst anfangen, Produkte zu designen und Kunden anzurufen, wenn diese Grundlage gesichert ist. Natur und aktive Menschen werden von unserer Branche zu oft als gegeben angesehen, weil es beides immer gab. Aber das ändert sich gerade besorgniserregend. Die Natur muss vielerorts sprichwörtlich ums Überleben kämpfen und laut der neusten Erhebung der Europäischen Kommission machen 46% der EU-Bevölkerung überhaupt gar nichts in Sachen Sport, sind also komplett inaktiv.

Verantwortung übernehmen für die Umwelt

Welche Auswirkungen hat es für die Firmen, wenn sie sich dem verschließen?
Wer jetzt nicht CSR und Nachhaltigkeit, Naturschutz und Aktivierung der Bevölkerung oben auf der Agenda hat, der wird früher oder später in die Röhre gucken. Ich kann nicht sagen ob in zwei oder fünf Jahren, aber es wird ganz schön schnell gehen. Ich erwarte da in den nächsten 5 Jahren mehr Wandel als in den letzten 20. CSR und Sustainability sind nicht mehr Hippie-Sachen, die man mal macht weil‘s gut aussieht. Sondern es ist ein Business Case. Wenn man jetzt darauf setzt, und damit auch ein Stück weit Verantwortung übernimmt, dann wird es den Umsatz in 2019 nicht verdoppeln, aber es kann sehr wohl dazu beitragen, dass sich der Umsatz in 2022 nicht halbiert.

Denn der Kunde ist sich im Klaren darüber, dass eine Jacke, die vernünftig hergestellt ist, ein paar Euro mehr kostet als eine mit illegalen Chemikalien oder durch Kinderarbeit hergestellte. Die Jacke kostet ja auch nicht viermal so viel, sondern 20 oder 30 Euro mehr bei einem Verkaufspreis von 200 Euro.

OutDoor by ISPO soll den Verbraucher spiegeln

Die Studie war ja auch auf den Konsumenten ausgerichtet. Machen Sie sich als Branche nicht zu sehr abhängig vom Verbraucher?
Das liegt nicht in unserer Macht. Wir sind zu 100 Prozent abhängig vom Konsumenten. Wenn der sagt: ,Ach, Outdoor ist komplett out, ich mache lieber nur noch Drinnen-Sport.‘ Dann war es das mit der Outdoor-Branche. So ein Extrem gibt es natürlich nie, aber Überlappungen und Verschmelzungen. Es geht darum, die Bedürfnisse des Konsumenten im Bereich Outdoor zu ermitteln und abzudecken. Daher müssen wir genau nachhorchen, was er will.

Das ist auch der Grund, warum wir uns bei OutDoor by ISPO per Definition am Verbraucher orientieren. Nur, wenn wir das auf der Messe spiegeln, was der aktive Verbraucher macht, dann ist es auch interessant für den Einzelhändler. Über 60% Prozent der Besucher sind ja unabhängige Einzelhändler. Wenn die sagen, die Messe ist nicht mehr relevant für sie, dann hat sich jede Messe erledigt.

Große Herausforderungen der Branche zusammen angehen

OutDoor by ISPO wird ja als Plattform gedacht. Das wichtigste Ereignis wird natürlich die Messe Anfang Juli in München sein. Was erwarten Sie nach dem Ortswechsel aus Friedrichshafen?
Das Wichtigste, was ich mitnehmen werde, ist das, was man am schlechtesten messen kann: das subjektive Empfinden, die Stimmung in den Hallen. Denn wenn die Branche zusammenkommt, dann definitiv nicht, um da Ordern zu schreiben. Der Zug ist schon lange abgefahren und das weiß auch jeder. Sondern um zu sehen, was es Neues gibt im Markt, sich auszutauschen und mit einem motivierten Team zurückzukommen.

Wenn wir das schaffen, dann wird das ein Top-Event. Auch weil wir jetzt über den Tellerrand hinausblicken und zum Beispiel schauen, was im Paddelsport und anderen für das Thema Outdoor relevanten Branchen passiert. Wir nennen das Outdoor+. Denn alle zusammen statten den Verbraucher aus mit dem was er braucht um das bestmögliche Erlebnis draußen in der Natur zu haben. Davon kann die Branche Schwung nehmen, um in die Zukunft zu gehen, denn die Zeiten der Eigenbrötlerei sind meiner Meinung nach vorbei. Das vereint und daher sollten wir die großen Herausforderungen der Branche aus zusammen angehen. Globale Probleme, und davon reden wir hier, kann keiner alleine lösen.

Sustainability Charta und Projekt gegen Einwegplastik

Die Zukunft bei der EOG sind Sie. Wie sieht Ihre neue Aufgabe als Generalsekretär aus?
Neben den eine Million E-Mails den ganzen Tag? (lacht) Ich arbeite auf Geheiß unseres Vorstands. Das heißt, wir besprechen im Vorstand die Richtung, in die sich der Sektor entwickelt und wohin er sich entwickeln könnte, was unsere Mitglieder brauchen und auf welche Probleme wir stoßen könnten und wie Lösungsansätze dafür aussehen könnten. Dann liegt es an mir und meinem Team, das umzusetzen: ob das jetzt Marktanalysen sind oder auch Events, zum Beispiel der European Outdoor Summit, oder unser Programm während der ISPO Munich und der OutDoor by ISPO.

Wir haben auch die EOG Sustainability Charta eingeführt, die wir für und mit unseren Mitgliedern und darüber hinaus zur Basis für eine gemeinsame, nachhaltigere Zukunft in der Outdoor-Branche machen wollen. Etwa 80 Prozent unserer Mitglieder sind schon dabei. Auch die komplette Scandinavian Outdoor Group hat schon unterschrieben, egal ob EOG-Mitglied oder nicht. Da versuchen wir die ersten, wichtigen Schritt zu machen, damit die Outdoor-Branche in Sachen Verantwortung und Nachhaltigkeit auf ein Level gehoben wird, auf dem wir nicht mehr mit denen konkurrieren müssen, die eine schwarze wasserdichte Jacke für 19,95 Euro unter fragwürdigen Bedingungen herstellen.

Dazu kommen Projektgruppen, wie etwa das Projekt gegen das Einwegplastik in der Outdoor-Branche. Diese Gruppen helfen Probleme der Branche an der Basis zu lösen. Weil es das Richtige ist hier Verantwortung für die Wertschöpfungskette zu übernehmen und natürlich auch um sich einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten, das muss man ja ganz offen sagen.

Die Grenzen des Gesundheitssystems

Das sind durchaus anspruchsvolle Ziele. Was liegt Ihnen denn persönlich am meisten am Herzen?
Das Outdoor-Erlebnis mit einer breiteren Masse zu teilen. Und das auf eine Weise, die verträglich ist mit der Natur. Es war Teil meines Jobs in den letzten drei Jahren, die, It’s great out there‘-Coalition in Brüssel zu gründen, mit dem Ziel, die Leute an den Sport in der freien Natur heranzuführen. Und zwar hauptsächlich eben die Leute, die noch gar nichts machen. Es ist wie gesagt eine Tatsache, dass heute 46 Prozent der Europäer überhaupt nichts Sportliches machen. Kein Wandern, kein Spazieren, nichts.

Inaktivität hat jetzt Rauchen abgelöst, darin, wie vielen Leuten es zum Verhängnis wird. Man braucht ja nur mal weiterdenken: Die Kosten für die Gesundheitssysteme gehen jetzt schon durch die Decke. Wenn jetzt noch ein, zwei Generationen nachkommen, die nichts machen, dann stoßen wir an die Grenzen von dem, was die Gesellschaft tragen kann. Das hat wirklich Relevanz. Die Outdoor Branche fertigt die Ausrüstung um die Natur draußen intensiv, ungefiltert und so sicher wie möglich zu erleben, und wir sollten uns auch unserer Verantwortung bewusst sein, dass Aktivität draußen, egal welcher Art, einen großen Teil dazu beitragen kann, dass unsere Gesellschaft als Ganzes besser wird.

Die Vorgehensweise der EOG: Probleme zusammen lösen

Kann dabei auch die Zusammenarbeit in der EOG helfen?
Ja. Eine Branche, die so zusammenarbeitet, habe ich bisher nicht gesehen. Und das inspiriert natürlich. Die Leute kommen alle zusammen. Normalerweise würde man sagen, was sollen denn die ganzen Outdoor-Marken zusammenarbeiten? Das sind doch Konkurrenten!

Der Knackpunkt ist die Definition unserer Arbeit: Bevor Marke X gegen Marke Y im Markt antritt, bevor das eine Produkt gegen das andere antritt arbeiten wir an den Dingen, die alle gemeinsam angehen. Marktzahlen, Events, Verbindung nach Brüssel zur EC, Materialforschung, Nachhaltigkeitsarbeit usw. Die Markennamen sind egal, es geht demokratisch zu und alle arbeiten zusammen um Problem zu lösen die für eine Marke alleine zu groß sind.

Als Sie vorgestellt wurden, hieß es in der offiziellen Mitteilung, Sie wurden hartnäckig geprüft. Was kann man sich darunter vorstellen?
Das war die absolute Hölle (lacht). Nein, nein... Einerseits war das Job-Interview mit John Jansen, Antje von Dewitz und Mark Held, meinem Vorgänger und jetzigen EOG-Präsidenten, kein Zuckerschlecken. Es war sehr detailliert, sehr intensiv, dauernd wurde nachgebohrt. Es ist ja auch eine wichtige Stelle, das nehme ich keinem übel. Ich konnte nur dann selbst überhaupt nicht beurteilen, ob es gut war. Nach der ersten Zusage „unter Vorbehalt” musste ich mich auch noch einigen Herausforderungen stellen, wohl weil ich noch etwas jünger bin und weil ich noch nie in so einer exponierten Rolle war. Währenddessen wusste ich aber nie, wo ich gerade stehe. Bis dann letzten Herbst endlich die offizielle Entscheidung fiel, dass der Vorstand mir den Posten anvertrauen will.