Da steht er nun, Alex Honnold, in abgetragenen Kletterhosen mit weißen Magnesiaspuren und mit einer verknickten Plastikwasserflasche in der Hand. Das soll der faszinierendste Kletterer der Welt sein? Dieser freundlich aber schüchtern dreinblickende Mann, mit den großen Ohren und der leicht nach vorn gebeugten Haltung?
Auf den zweiten Blick verraten ihn seine trainierten Arme und vor allem seine riesigen, ungewöhnlich kräftigen Hände. Hände, die er in feine Risse zwängt und die ihm helfen, sich an den kleinsten Unebenheiten festzuhalten. Dort, wo auch geübte Kletterer nur blanken, glatten Felsen sehen. Das sind die Felswände die Alex Honnold inspirieren. Die ihn geradezu auffordern, an ihnen hochzuklettern. Zumindest beschreibt er das so.
Klettern ist eigentlich das Einzige, was Alex Honnold wirklich will. Gedankenverloren Zug um Zug in der Wand und das Ganze oft ungesichert. Das ist seine Welt.
Nicht seine Welt sind Dutzende von Menschen, die Honnold fotografieren, filmen und ausfragen. Deshalb muss dieser Termin beim International Mountain Summit hoch oben über Brixen auf der Plose für ihn viel Pflicht und wenig Erfüllung sein. Knapp 50 Journalisten wollen mit Honnold, dem 31-jährigen Free-Solo-Phänomen, von einer Bergstation zu einer Ski-Alm spazieren und ihn fotografieren, filmen und interviewen. Doch es wäre nicht seine Art, das Ganze unfreundlich abzubügeln.
Nein, es ist ihm sehr bewusst, dass Interviews und Medientermine zum Spiel dazu gehören und ihm sein, wie er selbst sagt, „privilegiertes Leben“ als Kletterer ermöglichen. Erst recht, nachdem er in nur 3 Stunden und 56 Minuten die 1000 Meter hohe Wand am El Capitan (5.12d bzw. UIAA 9/9+) frei und ohne Seil kletterte.
Eine Leistung, die so unglaublich ist, dass sein Kletterfreund Tommy Caldwell sie als „Mondlandung des Free-Solo-Kletterns" beschreibt. Eine Leistung, bei der jeder Fehler tödlich gewesen wäre. 2006 kletterte Honnold die Route zum ersten Mal, er kehrte immer wieder zurück. Mindestens 15 Mal sei er die Freerider-Route am El Capitan in den vergangenen Jahren geklettert (immer gesichert).
Eine Route, die der Traum vieler gestandener Bergführer und Kletterer ist. Die meisten von ihnen brauchen mehrere Tage, um sie durchzuklettern. In der Nacht biwakieren sie, gesichert von unzähligen Seilen und Karabinern, in der Wand. Honnold braucht das alles nicht.
Sechs Wochen verbrachte er im Sommer 2017 am El Capitan, bevor er die "Freerider-Route" Free Solo kletterte. Jeden noch so kleinen Zug kannte er da auswendig, jeden Tritt konnte der 31-Jährige visualisieren.
„Ich hatte außerdem in meinem Trainingsbuch und in meinem Handy Listen und Notizen mit Kletterzügen angelegt", sagt er, „denn eine 1000 Meter Wand vom Boden bis zum Gipfel zu klettern, ist ziemlich kompliziert." Stundenlang saß er in der Vorbereitung allein in seinem Camping-Bus und ging im Kopf die Kletterpassagen durch.
2018 eroberte Honnold dann auch die Kinos: Die Dokumentation "Free Solo" begleitete ihn einmal mehr auf den El Cap. Bei dem erfolgreichen Versuch am 3. Juni 2017 waren nur wenige Vertraute eingeweiht, darunter die Filmcrew um Jimmy Chin. Honnold hatte Angst, die Leute zu enttäuschen, wenn er den „Freerider“ nicht geschafft hätte.
Mit "Free Solo" gewann der Ausnahmesportler sogar einen Oscar für den besten Dokumentarfilm. Ab dem 21. März 2019 gibt es den eindrucksvollen Film in Kinos in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sehen. Danach wird die Dokumentation auch über Amazon Prime, Sky Go, Sky On Demand, Sky Ticket, EntertainTV, Unitymedia Horizon sowie Vodafone Select und GigaTV verfügbar sein. Der Streamingdienst Netflix wird den Film leider nicht zeigen.
Jahrelang war es sein Traum gewesen, den El Cap Free Solo zu klettern. „Ich habe aber nie daran geglaubt, dass ich das könnte“, sagt Honnold. Doch die Faszination siegte schließlich über seine eigene Ungläubigkeit. Die größte mentale Herausforderung sei es gewesen, „daran zu glauben, dass ich es kann“. Erst dann habe er mit der Vorbereitung und dem Training begonnen. „Ich wäre niemals den El Capitan Free Solo geklettert, wenn ich dafür nicht bereit und alles perfekt gewesen wäre."
Trotzdem, wäre Honnold an irgendeiner Stelle abgerutscht, hätte auch die perfekte Vorbereitung nicht geholfen, es hätte seinen sicheren Tod bedeutet. Wie Alex Honnold es schafft, diesen Umstand auszublenden, begreifen auch versierte Kletterer nicht.
Honnold kann aber zumindest gut erklären, was für ihn der Schlüssel für seine mentale Stärke ist. Drei Punkte nennt er immer wieder:
„Vor ein paar Jahren hätte ich diese viereinhalb Stunden am El Cap nie Free Solo klettern können“, sagt er. Das beziehe sich aber nicht auf den Schwierigkeitsgrad, sondern auf seine Fähigkeit der Fokussierung, die er sich über Jahre in unzähligen Free-Solo-Klettereien angeeignet habe.
Dazu gehören beispielsweise
- „Moonlight Buttress (5.12+) Zion-Nationalpark, Utah
- „The Phoenix“ (5.13) Yosemite-Nationalpark, Kalifornien
- „Regular Northwest Face" am Half Dome (5.12a, 23 Seillängen) Yosemite-Nationalpark, Kalifornien
- „El Sendero Luminoso“ (7c+, 15 Seillängen) Mexiko
Einige Passagen seien einfacher, da sei er konzentriert, aber nicht 100 Prozent fokussiert. „In den schwierigeren Passagen nehme ich dann nichts Anderes wahr – nur den Felsen.“
Ein zweiter Schlüssel ist Honnolds Beziehung zum Thema Angst: „Die Angst ist wie ein guter Freund“, sagt der US-Amerikaner, „ist sie da, ist es noch zu früh, eine Route Free Solo zu gehen.“
Und so war es auch am El Capitan, Honnolds „Lebenstraum“. Während der sechs Wochen im Yosemite Valley hatte er nach einiger Zeit das nötige Vertrauen aufgebaut gehabt: „Am ‚Freerider’ hatte ich keine Angst.“
Ob er überhaupt schon Mal Todesangst gehabt habe? „Ja, einmal beim Schneeschuhgehen“, sagt Honnold auf diese Frage. „Und einige wenige Male beim Klettern – dann aber immer nur bei Touren mit Sicherung", ergänzt er mit einem Lächeln.
Honnold sucht sich Ziele, die ihn ganz persönlich berühren, motivieren und inspirieren. Aber was soll nach dem „Freerider“ noch kommen? Das wisse er noch nicht, er habe noch kein großes Ziel: „Es geht nicht darum, ob ich jetzt noch eine längere oder schwerere Route finde.“ Das interessiere ihn nicht, er müsse etwas finden, was ihn „inspiriere“. So wie sein Lebenstraum El Capitan.
Und immer, wenn er von El Capitan erzählt, leuchten die Augen von Alex Honnold. „Es ist die perfekte Felswand, der schönste Monolith der Erde“, sagt er, „ich meine, El Capitan lässt diese Berge hinter uns, wie Müll aussehen.“ Ungläubiges Staunen aus unzähligen Journalistenaugen in diesem Moment. Ist es doch das perfekte Dolomiten-Herbstpanorama von Schlern, über Geislergruppe, bis Peitlerkofel, auf das Alex Honnold im Hintergrund deutet.
Auch für Sponsoren würde sich Honnold nicht verstellen. Seine Partner sind
- North Face
- La Sportiva
- Black Diamond
- Goal Zero
- Stride
- Maxim Climbing Ropes
„Die Firmen sind meine favorisierten Unternehmen, ich habe noch keinen Sponsor gewechselt“, sagt Honnold. Allerdings kündigte ihm der Energieriegel-Hersteller Clif Bar 2014 den Sponsoring-Vertrag. Den Verantwortlichen bei Clif Bar waren Honnolds Free-Solo-Abenteuer zu gefährlich.
Bei seinen jetzigen Sponsoren gebe es aber keine Vorgaben oder Verpflichtungen: „Ich glaube, sie würden mich rausschmeißen, wenn ich ein wahnsinniges Verbrechen begehen würden – aber sonst gibt es keine Vorgaben.“
Honnold ist dankbar, dass ihm diese Sponsoren das Leben ermöglichen, das er lebt, mit Reisen in die wichtigsten Klettergebiete. Geld hat für Honnold aber offenbar keinen Stellenwert. Er führt ein Nomadenleben, wohnt wie zu Beginn seiner Kletterkarriere in einem Van und spendet angeblich ein Drittel seines Einkommens. Schon 2012 gründete er die Honnold Foundation, die nachhaltige Sozial- und Umwelt-Projekte unterstützt.
Im September 2020 heiratete Alex Honnold seine langjährige Partnerin Sanni McCandless in Kalifornien im engen Familien- und Freundeskreis. McCandless ist natürlich auch ein Outdoor-Freak: Sie bietet als Trainerin Outdoor- und Kletter-Coachings an.
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