ISPO.com traf sich während der ISPO Munich 2019 im Rahmen des Indoor-Climbing Hub` mit Branchenkennern und unterhielt sich mit ihnen über die neuesten Entwicklungen im Kletterhallensport. Christian Popien, Inhaber der Firma Climb-Inn Klettersport, Wolfgang Zwack, Geschäftsführer von orgasport und Nicole Chernyakhovsky, Senior Product Director, Brooklyn Boulders/USA, gewährten Einblicke, wie aus ihrer Sicht Kletterbetriebe für die Zukunft gut gerüstet sind.
Der ehemalige Randsport ist im Laufe der letzten 30 Jahre zum Breitensport herangewachsen, Klettern ist salonfähig geworden. Maßgeblich zum Kletterboom beigetragen haben die Kletterhallen. Dazu Christian Popien, Inhaber von Climb-Inn und Verantwortlicher für die Betriebsführung des DAV Kletterzentrums Wupperwände: „Früher hat Klettern nur am Fels stattgefunden, mittlerweile ist der Sport im urbanen Umfeld angekommen, und auf einmal wurden die Kletterer wahrgenommen und der Sport einem größeren Publikum zugänglich.“
Dabei haben sich die Ansprüche an die Hallen verändert: weg vom dunklen Trainingsbunker, hin zur lichtdurchfluteten Großanlage mit vielen bunten Griffen – Klettern soll vor allem Spaß machen. Die Hallen platzten bald aus allen Nähten, die Bauplätze in den Städten wurden begehrt: „Wir haben in den letzten 10 Jahren ein riesiges Wachstum erlebt. Vor allem in den letzten 5 Jahren hatten wir die größte Wachstumskurve im Vergleich zu anderen europäischen Ländern“, so Popien.
Der Deutsche Alpenverein (DAV) beobachtet und befragt regelmäßig Kletterhallen und -sportler. Die neuesten Zahlen diesbezüglich sind beeindruckend und belegen das von Christian Popien angesprochene Wachstum: Gab es 1989 gerade mal 20 Kletteranlagen in Deutschland, wurden 2018 gut 500 Indoor-Climbing-Areas gezählt. Zwischen 2010 und 2018 wurden deutschlandweit 24 Kletteranlagen mit Kletterflächen über 100 Quadratmeter eröffnet. Und auch die weltweit größte Kletterhalle steht in Deutschland: Das Kletterzentrum Thalkirchen/München mit 7.750 Quadratmetern Kletterfläche.
Während zu Beginn des Kletterhypes der Markt einen durchschnittlichen Hallenzuwachs von 18 Anlagen jährlich (zwischen den Jahren 2000 bis 2010) gut verdaute, ist mittlerweile ein gewisser Sättigungsgrad erreicht. Dazu Wolfang Zwack, Geschäftsführer von orgasport, die seit über 20 Jahren bei Planung, Bau und Betrieb von Kletter- und Boulderzentren beraten und auch für die Betriebsführung des Kletterzentrums Thalkirchen verantwortlich sind: „In Zukunft ist mit einer zunehmenden Marktkonzentration zu rechnen. Dies gilt insbesondere für Boulder-, jedoch auch für Kletterhallen, die durchaus die Konkurrenz von Boulderhallen spüren. Der Standort wird in Zukunft eine entscheidendere Rolle spielen, weil die Fahrbereitschaft durch das größere Angebot abnimmt. Dabei steigen die Anforderungen an den Betreiber stetig. Eine Kletterhalle ist mittlerweile ein Verwaltungsbetrieb mit hohen Anforderungen geworden, die nur durch kostenintensiven qualifizierten Personaleinsatz erfüllt werden kann. Während beispielsweise Siemens relativ einfach gut ausgebildete Mitarbeiter von anderen Firmen abwerben kann, ist das in der Kletterhallenbranche noch der Ausnahmefall. Demnach gilt es Mitarbeiter gut auszuwählen, möglichst an das jeweilige Unternehmen zu binden und konsequent fortzubilden.“
Auch Christian Popien, der sich seit 2013 zunehmend auf die Beratung und Sanierungsberatung von Kletterhallen spezialisiert hat, sieht eine gewisse Sättigung: „Wir merken, dass der Markt zunehmend umkämpfter wird. Beispielsweise haben wir beim Seilklettern nicht mehr die Zuwachsraten wie in früheren Jahren. Bouldern ist hingegen nach wie vor aufstrebend, nicht zuletzt, weil hier die Einstiegshürden viel geringer sind. Das merken die Hallenbetreiber. Insofern gab und gibt es Verlierer, sprich Kletter-/Boulderhallen, die insolvent gegangen sind. Und ich bin davon überzeugt, dass es in den nächsten Jahren noch weitere Insolvenzen geben wird.“ Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen sich die Hallenbetreiber verstärkt an den Nutzerbedürfnissen orientieren.
Aber nicht nur Hallenbetreiber, sondern auch die Hersteller und Marken müssen sich zielgerichtet auf die neuen Nutzergruppen einstellen. Ein Bereich, in dem aus Sicht des Experten Popien noch großes Potenzial steckt, eine stärkere Verbindung zwischen Konsument, Marke und Produkt herzustellen. Hier sind insbesondere Marketing und Markenbotschafter, aber auch Produktentwickler gefragt, die neue Zielgruppe abzuholen und anzusprechen.
Dazu Christian Popien: „Die neuen Zielgruppen, vor allem im Bereich Bouldern, kommen nicht mehr traditionell aus dem Outdoor-/ Bergsportsegment. Entsprechend fehlt ihnen der Markenbezug. Hallen-Boulderer beispielsweise haben dazu ganz andere Bedürfnisse als Draußen-Kletterer. Sie wollen Schuhe, Hose, Shirt und Chalkbag nicht in einem überdimensionierten Rucksack durch die Stadt tragen. Sondern es genügt eine Tasche, wo alles gut und geruchssicher verstaut werden kann und auch noch der Arbeits-Laptop seinen Platz findet.“
Die gestiegene Hallendichte erfordert ein Umdenken der Hallenbetreiber: Während vor 10 Jahren Kletterer noch aus einem Umkreis von bis zu 50 Kilometer gekommen sind, um in Hallen klettern zu können, gilt es heute Zielgruppen aus der unmittelbaren Nähe zu generieren. Auch müssen die Eintrittspreise überarbeitet werden: weg von teuren Tageseintritten, hin zu Stundentarifen und Time-Slots.
Viele Hallenbetreiber setzen schon lange auf Gastronomie, wie die Boulderhalle „Bahnhof Blo“ in Wuppertal. Sie hat sich auf Klettern und Kultur spezialisiert: Während im Erdgeschoss Hochzeitsgesellschaften feiern oder Ausstellungen stattfinden, wird im ersten Stock an den Boulderwänden trainiert. Andere Kletterhallenbetreiber setzen erfolgreich auf Parcour-Areas, Trampolinspringen und spielerische Klettermodule wie beispielsweise von Clip`n Climb. Wichtig ist Popien, dass sich die Betreiber von alten Gedankenstrukturen lösen, nur so kann man nachhaltig auf dem Markt bestehen.
In den USA geht man beim Thema Kundenbindung noch einen Schritt weiter. In der Kletter- und Boulderhalle Brooklyn Boulders Queensbridge/New York gibt es beispielsweise einen Co-Workingspace. Arbeiten und Klettern unter einem Dach, so lautet die Devise. Auf die Frage, was eine erfolgreiche Kletterhalle auszeichnet, meint Nicole Chernyakhovsky, Senior Product Director von Brooklyn Boulders (BKB)/Colorado: „Wir müssen vor allem die Erstkunden sofort mit dem Klettervirus infizieren. Entsprechend bieten wir spezielle Kurse für Kletterneulinge an, erklären Sicherungstechniken und vermitteln vor allem die Faszination des Sports.“
Außerdem, so die quirlige US-Amerikanerin und Kletterin, erweitert BKB gerade deren Ausflugsprogramm. Egal, ob Wandern, Yoga oder Felsklettern – jeder kann in den insgesamt vier Kletter- und Boulderhallen an der Ostküste einen Ausflugstrip buchen. Chernyakhovsky ist ein ganzheitliches Angebot wichtig, das die Nutzer bestenfalls über mehrere Lebensabschnitte begleitet: von der Kindergruppe bis zum Seniorenklettertreff.