Bike/03.09.2019

Pexco-Chefin Susanne Puello: „Sichere E-Bikes müssen finanzierbar bleiben“

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Susanne Puello hat die Fahrradbranche in Sachen E-Mobilität sowie das E-MTB im Speziellen maßgeblich geprägt. Ursprünglich als Urenkelin von Engelbert Wiener aus der Fahrrad-Dynastie Winora stammend, gründete sie mit ihrem Mann 2017 im Neustart die Pexco GmbH. Innerhalb von nur zwei Jahren etablierte sie Pexco am Fahrradmarkt neben den großen Playern. Mit ISPO.com spricht Susanne Puello über Pexco, E-Mobilität, sowie Nachhaltigkeit und Digitalisierung.

 

Susanne Puello gründete gemeinsam mit ihrem Mann im Jahr 2017 Pexco.
Susanne Puello gründete gemeinsam mit ihrem Mann im Jahr 2017 Pexco.

Wenn Susanne Puello über Fahrräder und die Pexco spricht, dann schwingt viel Energie, Tatendrang und Herzblut in ihren Worten mit. Pexco – Next Level eMobility heißt das junge Unternehmen, das gemeinsam mit dem internationalen Fahrradfachhandel das nächste Level der E-Mobilität erreichen möchte. Wie genau und warum Pexco in der globalen Welt von heute und morgen eine zentrale Rolle spielt, erklärt Frau Puello im Interview.

ISPO.com: Pexco hat sich in einem Zeitfenster von nur zwei Jahren zu einem etablierten Player am Fahrradmarkt entwickelt. Wie geht das überhaupt?
Susanne Puello: (lacht) – Blut, Schweiß und Tränen. Mein Mann und ich sind mit fast 40 Jahren Markterfahrung als Profis mit der Pexco eingestiegen. Ich im Vertrieb und Marketing, er im Produktmanagement und Supply Chain. Wir haben volles Vertrauen und Deckung von unseren langjährigen Partnern sowie Lieferanten bekommen, was nicht selbstverständlich ist. Dann ein unglaublich starkes Team - wie schon im ersten Unternehmen - bestehend aus Vollprofis, die mitzogen und neuen Teammitgliedern, die sich mit hoher Motivation und neuen Ideen eingebracht haben. Von Neuem inspirieren lassen, das habe ich durchgehend während des gesamten Prozesses versucht. Und last but not least: einem strategischen Partner, der E-Mobilität möchte wie wir und zudem ein sehr starker Finanzpartner ist, so dass wir von null auf hundert beschleunigen konnten. So kam eines zum anderen und dafür sind mein Mann und ich unheimlich dankbar.

Fahrradbranche muss sich neu aufstellen

Pexco gibt das Ziel aus, gemeinsam mit dem internationalen Fahrradfachhandel das nächste Level in Sachen E-Mobilität zu erreichen. Was bedeutet das heruntergebrochen?
Das „nächste Level“ ist für uns Inbegriff dafür, Dinge zu hinterfragen, anzupacken und zu verändern. Das zieht sich durch alle Unternehmensbereiche, angefangen bei unseren Partnerschaften Richtung Fachhandel. Wir sind uns sicher alle im Klaren, dass Fahrradindustrie und -fachhandel sich mittelfristig verändern und neu aufstellen müssen. Konkret: Wir müssen den Fachhandel mehr unterstützen, um die Stärke in unseren Reihen zu halten. Das meine ich wirklich so. Denn wir wissen alle: E-Mobilität, vor allem Mikromobilität, ist im Moment das übergreifende Thema. Es tauchen Industrien auf, mit denen vor fünf Jahren so noch keiner gerechnet hat. Die Fahrradbranche als solche muss im Ganzen gestärkt, verteidigt und erhalten werden.

Wir arbeiten gerade an neuen digitalen Projekten, digitalen Service-App-Plattformen für die Werkstatt, die dem Händler Wege verkürzen, so hat er mehr Zeit für Service, Dienstleistung und Verkauf. Wir wollen Direktleasing vom Hersteller in einer veränderten Form zwischen Fachhandel und uns vorantreiben – Dienstradleasing wird dabei ein großes Thema. Damit legen wir das Augenmerk nicht nur auf unsere Produkte, sondern vielmehr auch darauf, wie sich unser Umfeld verändert, und wie wir uns als Fahrradindustrie in enger, professioneller Zusammenarbeit und mit engem Schulterschluss zum Fachhandel den Marktveränderungen stellen.

Susanne Puello war vor der Gründung von Pexco lange Jahre bei Winora in der Fahrradbranche aktiv.
Susanne Puello war vor der Gründung von Pexco lange Jahre bei Winora in der Fahrradbranche aktiv.
Bildcredit:
Pexco

Nächstes Ziel: Eigene Produkte für spezielle Zielgruppen

Und wie schlägt sich dieser Anspruch in den eigentlichen Produkten nieder?
Auf der Produktseite sehe ich das „next level“ auf einer Zeitschiene. Durch unsere Namenswahl erwarten viele natürlich gleich morgen das nächste Level. Aber neue Ideen brauchen etwas Zeit.

Unser Ziel ist auch, neue Märkte aus der nötigen, sinnfälligen Zielgruppenadressierung heraus mit passenden Produktlösungen zu erwecken. Durch die E-Mobilität verlassen wir die klassischen Assembling-Situationen der Fahrradbranche. Unsere Prämisse: Zielgruppen genauestens analysieren und mit perfekt zugeschnittenen Produkten bedienen. Das bedeutet: den Menschen etwas geben, von dem sie noch nicht wissen, dass sie es brauchen.

In Sachen Produktportfolio haben wir für 2019/2020 bei unseren Marken R Raymon und Husqvarna Bicycles nochmal einen richtigen Quantensprung hinsichtlich Rahmen-Design und Geometrien hingelegt. Auch als Profis müssen sich bei uns Prozesse erst etablieren. Wir sind 2017 mit zwei Marken, die niemand kannte, ganz von vorne gestartet. Gerade bei Husqvarna Bicycles war es wichtig, von Anfang Akzente zu setzen – sowohl im Bereich Innovationen als auch in Sachen Design. Beides findet beispielsweise Ausdruck in unserem Skeleton Interface, das die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das Herzstück des E-Bikes, nämlich die Antriebseinheit richtet.

Produktseitig haben wir noch große Potenziale, die es in den nächsten Jahren mit smarten Entwicklungen auszuschöpfen gilt, um unserer „next level“-Philosophie gerecht zu werden. Das nächste Ziel ist, erste Zielgruppen mit einem eigenen Produkt zu belegen.

E-Bike-Infrastruktur hat Nachholbedarf

Denken Sie da bereits an eine spezifische Zielgruppe?
Ich spreche besonders von einer Klientel, die 50 Prozent der Radfahrer ausmacht: die Frauen. Ich verkaufe bei Verkaufsveranstaltungen teils selbst mit, weil ich den Kunden erleben möchte und verstehen will, was ihn bewegt. Frauen treiben ganz andere Fragen an, sie bewerten Produkte nach anderen Kriterien und Fixpunkten als Männer. Was sehr positiv ist. Das Produkt muss so selbsterklärend werden, dass wir uns weniger um reine technische Attribute kümmern, sondern einen Lifestyle und Freude am Thema E-Bike kreieren.

Die Konstellation von uns und unserem strategischen Partner bringt einzigartige Möglichkeiten und wir halten es uns offen, diese auch auszuschöpfen. Wir schließen auch weitere E-Mobilitätsformen, außerhalb der klassischen Pedelecs oder E-Bikes und auch mehr als zwei Räder nicht aus.

Wie stellt sich Pexco international auf?
Wenn wir von einem globalen Player sprechen, meinen wir das auch. Klares Ziel ist, sehr schnell international auszurollen. Wir haben von Anfang an Italien, Frankreich, Benelux, Österreich und Schweiz mit aufgebaut, sind also gleich mit sechs Ländern gestartet. Dank unseres Partners können wir sehr schnell agieren, da gewisse Strukturen schon vorhanden sind. Europa ist klar gesetzt. Weitere Länder schließen wir, wenn sie Sinn machen, nicht aus.

Wohin man gerade sieht, überall sind E-Bikes unterwegs: Im urbanen Raum, in den Bergen und in ländlichen Regionen. Der Markt ist an einem besonderen Punkt: alles ist offen. Was braucht der E-Bike-Markt an dieser chancenreichen Entwicklungsstufe gerade besonders?
Eine gute Infrastruktur. Das ist für mich eine der größten Entscheider für Pro oder Contra der zukünftigen E-Mobilität. Wenn wir die Städte wirklich erreichen wollen, braucht es a) im Produkt eine Innovation aber vor allem b) in der Infrastruktur. Ein Beispiel: Bus, E-Scooter und Fahrzeuge mit mehr als zwei Insassen auf einer Spur trifft für mich nicht das, was wir brauchen.

Dazu kommt ein Punkt, der mir persönlich am Herzen liegt: an ein gegenseitiges Verständnis aller am Verkehr teilnehmenden Parteien zu appellieren. Die gemeinsame Nutzung der Infrastruktur kann nur gelingen, wenn Rücksichtnahme und Vorsicht mitfahren. Das sind zentrale Punkte, die es zu beachten gilt.

„Wir müssen Sicherheit in den Fokus stellen“

Wo sehen Sie die nächste Entwicklungschance für den E-Bike Markt?
Mit dem Begriff der urbanen Räume haben Sie den Nagel schon auf den Kopf getroffen. Wir müssen uns für diese Räume neues einfallen lassen und Sicherheit in den Fokus stellen, so wie es die Automobilbranche tut. Wir müssen weg von zahlengetriebenen Fakten wie Akkureichweite und Nm hin zu einer zielgruppengerechten Betrachtung des Themas.

…und Risiken?
Wir sollten versuchen das Produkt in seiner Qualität und Ausstattungskomponenten nicht über große Preiskämpfe zu erschlagen. Da bin ich wieder beim Thema Sicherheit. Wir müssen Lösungen finden, dass sichere E-Bikes auch finanzierbar bleiben. Aktuell gibt es fast keine bessere als die, die der Staat anbietet: nämlich Dienstradleasing und Co. Diese Modelle sorgen für Preisstabilität, die dann wiederum für Produktinnovationen genutzt werden können. Natürlich wird auch spannend, welche Industrie das Thema E-Mobilität mittelfristig weiter antreibt und bestimmt, wenn andere große Player auftauchen. Vor fünf bis zehn Jahren wurde ich beispielsweise noch belächelt, als ich vor der Automobilindustrie dahingehend gewarnt habe.

Praktikabilität sollte im Vordergrund stehen

Digitalisierung – ein großes, vielfältiges Wort. Wie und was digitalisiert Pexco?
Für uns stellt sich grundsätzlich die Frage, wo Digitalisierung in welchem Umfang Sinn macht. Ein Display beispielsweise mit erschlagend vielen Informationen auszustatten, ist für manche E-Biker kein Mehrwert, sondern führt zu Verunsicherung. Auch hier treibt uns wieder die Frage an: Was will der Konsument? In dem Fall - will er viel oder wenig? Praktikabilität sollte im Vordergrund stehen.

Wir möchten vom Produkt beginnend eine digitale Kette bilden, die den Händler, das Produkt und den Konsumenten ganzheitlich einschließt. Bis das Wort Digitalisierung in dieser Form das E-Bike komplett einschließt, wird es eine Zeit dauern. Digitalisierung ist für mich nur gut, wenn hier eine gewisse Entscheidungsfreiheit möglich ist.

Thema Nachhaltigkeit: Früher oder später wird sich die Industrie intensiver mit der Entsorgung der Akkus auseinandersetzen müssen. Gibt es hierfür bei Ihnen konkrete Pläne?
Da antworte ich ehrlich: Es gibt noch keine konkreten Pläne. Wir sind uns aber bewusst, dass dies ein großes und wichtiges Thema ist. Wir müssen ein System schaffen, das greifbar, verständlich, funktionsfähig und wirklich gut durchdacht ist. Schnellschüsse oder halb zu Ende gedachte Systeme sind langfristig nicht zielführend und verschieben die Problematik nur. Grundsätzlich sollte Nachhaltigkeit nicht nur ein debattierter Begriff mit etwaigem Handlungsbedarf sein, sondern spürbar mit dem nötigen Bewusstsein gelebt werden – von jedem einzelnen in und außerhalb der Industrie. Kurzum: mit Sinn und Verstand.
 

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