Outdoor/20.02.2019

SwissSki-Präsident Urs Lehmann: Was der Skisport vom Motorsport lernen kann

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Urs Lehmann (49), Abfahrts-Weltmeister von 1993, ist seit elf Jahren Präsident des Schweizer Skiverbandes und nebenher Kommentator bei Eurosport. Beim Wintersport-Symposium „Mountain Peak“ in Kitzbühel spricht er über ein Kernthema seines Sports: die Vermarktung. 

Der ehemalige Abfahrts-Weltmeister und Präsident des Schweizer Skiverbandes Urs Lehmann auf beim Wintersport-Symposium „Monutain Peak“ in Kitzbühel.

ISPO.com: Herr Lehmann, wie gut vermarktet sich der Skisport?
Urs Lehmann: Ich glaube, es wurde in der Vergangenheit viel Gutes getan. Deswegen haben der Ski- und der Schneesport generell einen guten Ruf. Aber wir müssen jetzt dringend einen, wenn nicht zwei Schritte nach vorne machen, um den neuen Medien und der gesamten Digitalisierung gerecht zu werden – sonst werden wir effektiv rechts überholt.

Formel E als Vorbild

Gerade im Ski-Rennsport sind neue Wettkampf-Formate in der Diskussion. Erzählen Sie doch mal!
Auf der einen Seite gibt es bereits den Parallelslalom, auf der anderen Seite soll die alpine Kombination aus Abfahrt und Slalom abgeschafft werden. Die Frage ist aber auch, ob wir eine Revolution brauchen, oder ob es einfach darum geht, viele kleine Bausteine etwas anders und optimiert wieder zusammen zu setzen.

Ich schaue mir ja auch andere Sportarten an, und was mir da gut gefällt ist, wie die Formel E das so hervorragend macht. Wie sie die Zuschauer integriert, sei es mit Votings oder Features, wie dass sich die Zuschauer quasi online ins Auto setzen können, während das Rennen läuft und sozusagen virtuell mitfahren. Das ist Wahnsinn – und es ist machbar!

Vor ein paar Jahren gab es ein Spiel namens „Ski-Challenge“: ein Riesen-Boom! Das haben die Jungen gespielt – am Fernseher sitzen ja meist eher ältere Leute. Wenn man nun die Digitalisierung verknüpfen kann mit den Rennen, dann kriegen wir auch die Jüngeren wieder. Da gibt es noch so einiges an Potenzial.

 

Wie offen ist der Weltskiverband FIS für solche Ideen? Oder wer sonst müsste eine solche Entwicklung anschieben?
Das müsste schon die FIS machen. Aber in dieser Hinsicht passiert einfach zu wenig. Ich spreche immer wieder mit dem FIS-Präsidenten Gian Franco Kasper, und ich habe das Gefühl, dass er das auch so sieht – aber es passiert halt nichts in seiner Organisation.

Mit seinen 75 Jahren ist er halt auch eine andere Generation...
Das kommt noch dazu. Aber ich sehe Arbeitsgruppen, in denen sitzen Techniker, die über die Vermarktung sprechen sollen – das geht nicht! Das ist ein ganz großes Thema, Stichwort Potenzial.

Luft nach oben bei TV-Übertragungen

Wie ausgereizt ist der Standard bei den TV-Übertragungen der Rennen?
Wenn ich mir das in Österreich und der Schweiz anschaue, dann ist das schon ein sehr hohes Niveau. Aber man kann noch viel mehr machen. Ein Beispiel: Auf der Lauberhornabfahrt in Wengen gibt es eine Schlüsselstelle, das sogenannte Kernen-S. Da wird die Einfahrts- und die Ausfahrtsgeschwindigkeit des Rennläufers gemessen: Das ist das, was der Zuschauer versteht und auch wissen will!

Das sind so kleine Gadgets, die man verstärkt nutzen könnte. Oder: Wie weit geht ein Sprung, zum Beispiel der Hundschopf in Wengen, die Kamelbuckel in Gröden oder die Mausefalle in Kitzbühel? Das ist technisch kein Problem, keine Hexerei – und das beeindruckt die Leute. Ich verstehe nicht, warum man das nicht schon seit zehn Jahren macht.

Stattdessen gibt es zig verschiedene Parallel-Formate...
Es ist ja okay, wenn man vom Parallelslalom als Innovation ausgeht, aber es kann nicht sein, dass wir drei verschiedene Formate haben: City-Event, Parallelslalom und Parallelriesenslalom. Kein Mensch, nicht mal ich, weiß genau, wie die drei sich differenzieren – wie soll das der Zuschauer verstehen?

Wenn wir etwas zum Beispiel vom Biathlon lernen können: Es muss einfach verständlich sein für den Zuschauer zuhause am Fernsehen, auch für den Norddeutschen, der zwei Skirennen im Jahr anschaut und sonst Fußball. Und wenn der Fan ist, dann gewinnen wir.

Urs Lehmann: „Europacup-Rennen interessieren einfach kein Schwein“

Auch das Punktesystem erschließt sich nicht jedem.
Korrekt, wir haben drei Punktesysteme, die nicht in einander greifen. Im Tennis gibt es eine Weltrangliste, die Grand Slams, die 1000er- und die kleineren Turniere. Bei den Skifahrern gibt es den Weltcup. Da gibt es für die ersten 30 Weltcuppunkte und für alle anderen auch FIS-Punkte.
Einen Link zu den Europacup-Rennen gibt es nicht, aber auch wieder FIS-Punkte nach den ersten 30.

So ein Durcheinander: Das geht einfach nicht. Wir brauchen ein schlüssiges, durchlässiges System über die Stufen Weltcup, Europacup und FIS-Rennen. Wenn ich zum Beispiel als Rekonvaleszent auch im Europacup Punkte für den Weltcup sammeln könnte, würde ich doch erst mal da an den Start gehen.

Im Weltcup muss ich zwingend gleich wieder unter die ersten 15 fahren, um nicht aus meiner Startgruppe zu fallen, muss das Risiko eingehen, mich gleich wieder zu verletzen. Denn wenn ich keine Weltcuppunkte habe, stehe ich im Nirwana. Europacup-Rennen interessieren halt einfach kein Schwein. Wie gesagt: Es braucht keine Revolution, sondern eine Verknüpfung von optimierten Teilen des Ganzen.

Apropos Optimierung: Steht zu befürchten, dass die Olympischen Winterspiele demnächst abgesagt werden müssen, weil sich keine Ausrichter mehr finden lassen?
Da wurde in der Vergangenheit viel schlecht gemacht – und jetzt leiden wir darunter. Diese 2020-Charta, die wieder weg vom Gigantismus will: Das ist eigentlich nur die Konsequenz der letzten 20 Jahre. Nur: Die Reputation ist einfach weg. Auch in der Schweiz kriegen wir die Leute nicht überzeugt. Milliardenteurer Gigantismus: Das wollen die Leute nicht mehr. Aber das IOC ist ja dabei, das Ganze zurück zu drehen.

Ist das so?
Es gibt zumindest das Papier, die 2020-Charta. Das ist das Papier, aber wenn wir dann keine Veranstalter haben...Die Schweizer Bewerbung in Sion wäre wirklich ein „Zurück zur Natur“ gewesen. Wenn wir nach China gehen, ist völlig klar: Das wird kein „back to the roots“. Das wird auch Gigantismus sein. Eine ganz schwierige Situation, wieder zurück zu einem vernünftigen, wirklich olympischen Gedanken entsprechenden Event zu kommen.