Sportbusiness/17.02.2021

Gesundheits-Coaching oder Selbstbedienung? Über die Zukunft des Sportfachhandels

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Zwischen Lockdown und wachsendem Onlinehandel sucht der Sporthandel nach neuen Wegen in die Zukunft. Die Bandbreite der möglichen Konzepte ist so groß wie nie. Die Ideen reichen vom persönlichen Gesundheits-Coaching bis hin zum kassenlosen, automatisierten Laden. Klar ist nur: Ohne Digitalisierung geht nichts mehr.

Shopping muss so einfach wie möglich sein, ist Dr. Axel Rebien, Co-CEO von Zahlungsdienstleister Unzer, überzeugt.
Einkaufen muss so einfach wie möglich sein, ist Dr. Axel Rebien, Co-CEO von Zahlungsdienstleister Unzer, überzeugt.

Wie wollen wir in Zukunft einkaufen und welche Aufgaben soll und kann der Handel künftig übernehmen – auf diese Fragen versuchte die ISPO Munich Online 2021 in zahlreichen Expertenrunden Antworten zu finden. Viele Entwicklungen hat die Pandemie verstärkt: Der Onlinehandel ist überproportional gewachsen und wird die Kaufgewohnheiten wohl nachhaltig verändern. Das befeuert die ohnehin schon länger anhaltende Suche nach neuen Konzepten für den stationären Handel, der schon vor der Pandemie über rückläufige Frequenzen klagen musste.
Gleichzeitig hat die Pandemie auch deutlich gemacht, wie wichtig für uns der stationäre Handel ist, und dass das Digitale das Analoge nicht verlustfrei ersetzen kann. Welche Schlussfolgerungen ziehen Experten aus den Erkenntnissen?

Dort sein, wo der Kunde ist

An der Digitalisierung führt kein Weg mehr vorbei. Die Lockdowns im Einzelhandel haben den Händlern gar keine andere Wahl gelassen, als sich mit dem Onlinegeschäft auseinanderzusetzen. „Man muss die Kunden dort abholen, wo sie sich aufhalten“, sagt Thomas Ganter, CEO vom Mode- und Sporthaus L&T in Osnabrück. Lange war E-Commerce für L&T kein strategisches Fokusthema, stattdessen investierte das Haus Millionenbeträge in Erlebnisshopping. Die echte Surfwelle im Untergeschoss des Sporthauses, das integrierte Fitnessstudio und verschiedene Gastronomie-Konzepte haben L&T viel Aufmerksamkeit und zahlreiche Preise eingebracht. Jetzt arbeitet L&T doch an einer Multichannel-Strategie, um alle Kunden dauerhaft erreichen zu können.

Kunden zu Fans machen

Die Pandemie hat gezeigt, dass E-Commerce nicht bedeutet, den Kunden an den Onlinehandel zu „verlieren“. Die Kunden wollen einfach beides: stationäre und digitale Einkaufsmöglichkeiten. Und sie sind durchaus loyal. „Wir haben gesehen, dass viele Kunden, die wir stationär kennen, jetzt auf unseren Onlineshop umgestiegen sind“, sagt Andreas Vogler, CEO von Globetrotter. „Das war für uns ein wichtiges Learning: Wir können relaxed bleiben, wenn ein Kanal wegfällt.“ Sogar Beratung funktioniert online. „Die Chat-Funktion wird jetzt wesentlich stärker genutzt als früher“, ergänzt Vogler, „und zwei Drittel der Chat-Kunden kaufen dann auch bei uns ein.“
Kunden zu Fans machen lautet auch die Devise bei Internetstores, sagt Chief Brand Officer Frank Aldorf. Gelingen kann das über gezieltes Data Mining und den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Beides hilft dabei, „Kunden besser zu verstehen, Communities zu schaffen, mit ihnen zu interagieren und relevant zu bleiben“, so Aldorf.

Versäumnisse aufholen

Viele Händler machen jetzt einen großen Schritt nach vorne und arbeiten an der Integration aller Kanäle und daran, Komplexität für den Kunden abzubauen. „Deutschland hat im Bereich Digitalisierung in der Pandemie enorm aufgeholt“, stellt Dr. Axel Rebien, Co-CEO von Zahlungsdienstleister Unzer, fest. „Bei Händlern, die früher nicht einmal Kartenterminals hatten, kann man heute touchfree bezahlen.“

VDS Präsident Stefan Herzog: „Der Handel muss raus aus der Konsumwelt.“
VDS Präsident Stefan Herzog: „Der Handel muss raus aus der Konsumwelt und rein in die Lebenswelt.“
Bildcredit:
Messe München GmbH

Händler werden zu Gesundheits-Coaches

Bei aller berechtigten Aufmerksamkeit für den Onlinehandel zeigt die Pandemie noch etwas ganz anderes: „Wir merken gerade alle, was uns fehlt, wenn der stationäre Handel geschlossen ist“, ergänzt Vogler. Die Bedeutung des stationären Handels ist so spürbar wie schon lange nicht mehr. Den Menschen fehlt der direkte Kontakt, und diese Nähe zum Kunden könnte der Handel besser nutzen, sagt VDS Präsident Stefan Herzog. „Der Handel muss raus aus der Konsumwelt und rein in die Lebenswelt der Kunden. Einen neuen Laufschuh kann man sich online kaufen, was der Kunde braucht, ist eine Beratung, die ihn beim Erreichen seiner sportlichen oder gesundheitlichen Ziele begleitet.“
Herzog will den boomenden Gesundheitsmarkt für den Sportfachhandel erschließen, und hat auf der Ispo Munich Online das neue „VDS Connected Coaching Concept for Retail“ vorgestellt. Basis der Idee ist das multifunktionale Test- und Analysegerät VELIO®, das von der deutschen Firma Gesund4You entwickelt wurde. Das Gerät wird im Store installiert und ermittelt in nur 15 Minuten präzise den sportlichen Level des Kunden und erarbeitet einen individuellen Trainingsplan. Das digitale und analoge Zusammenspiel von Analyse und Betreuung bis hin zur Produktberatung bietet dem Sportfachhandel einen neuen USP.

Selbstbedienung: Ein 24/7 Konzept für besondere Standorte

Zur Zukunft des Handels gehört auch ein völlig entgegengesetztes Konzept, das durch die Digitalisierung überhaupt erst möglich wurde: Der kassenlose Store. 2016 machte Amazon mit der Eröffnung des ersten Amazon Go Stores die Idee publik, Geschäfte könnten auch ohne Kassenterminal und sogar ohne Personal funktionieren. 2020 eröffnete die deutsche Lebensmittelkette Tegut mit „Tegut Teo“ ein ähnliches Konzept. Auf 50 Quadratmetern wird ein kleines, aber vollständiges Lebensmittelsortiment angeboten, Zugang erhalten Kunden über ihre Kreditkarte oder per App. „Teo ist die stationäre Antwort auf den Onlinehandel und kombiniert die Vorteile des stationären Ladens mit den Einkaufgewohnheiten der Menschen und der modernen Technologie des 21.Jahrhunderts“, erklärt CEO Thomas Gutberlet. Die Stores sollen eine Ergänzung sein für Standorte, an denen sich reguläre Stores nicht rentieren oder wo eine 24/7 Öffnung Sinn macht, beispielsweise auf einem Firmengelände oder auf Dörfern. Zehn weitere Teo-Geschäfte sollen noch 2021 eröffnen.