INTERVIEW | 11.04.2023

„Mit Meditation und Yoga würde ich im nächsten Leben früher beginnen“

Gerlinde Kaltenbrunner
Höhenbergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner

… resümiert Gerlinde Kaltenbrunner auf die Frage, was sie mit dem Wissen von heute anders gestaltet hätte. Davon mal abgesehen schaut die Höhenbergsteigerin und ausgebildete Krankenschwester mit großer Zufriedenheit, Dankbarkeit und Freude auf ihre Karriere zurück.

Gerlinde Kaltenbrunner hat alle 14 Achttausender ohne zusätzlichen Sauerstoff und ohne Hochträger bestiegen. Sie gehört zu den erfolgreichsten Höhenbergsteigerinnen der Welt. Nach ihrer Scheidung von Ralf Dujmovits 2015 – mit dem sie teilweise in Deutschland lebte – ging die gebürtige Oberösterreicherin wieder zurück in ihre Heimat und lebt am beschaulichen Attersee. In ihrem Leben spielen neben den Bergen und der Natur, eine vegane Ernährung, Meditation und Yoga eine große Rolle – auf Rekorde legt sie hingegen keinen Wert.

ISPO.com: Wenn Sie die letzten Jahrzehnte Revue passieren lassen. Was zählt zu Ihren persönlichen Highlights und was hätten Sie mit dem Wissen von heute vielleicht anders gestaltet?

Gerlinde Kaltenbrunner: Als Erstes kommt mir der K2 von der Nordseite in den Sinn. Damals die letzten Schritte zum höchsten Punkt dieses mächtigen, wunderschönen Berges setzen zu dürfen, die plötzlich einsetzende tiefe Stille in mir zu spüren, das Gefühl eins zu sein mit allem, zählt sicher zu meinen absoluten Highlights und bin sehr dankbar dafür. Einzig mit Meditation und Yoga würde ich im nächsten Leben schon in jungen Jahren beginnen.

Sie haben Berggeschichte geschrieben – gab es auch Zeiten, in denen Sie an Ihrem Beruf als Profi-Bergsteigerin gezweifelt haben?

Nein, hatte nie daran gezweifelt. Als ich jedoch nach dem Lawinenunglück am Dhaulagiri zum ersten Mal wieder in einem Hochlagerzelt die Nacht verbrachte (am Broad Peak) verließ ich nachts unzählige Male das Zelt, um zu kontrollieren, ob wir es auch an einem wirklich sicheren Platz aufgestellt hatten. Ich entwickelte einen richtigen Kontrollzwang und konnte nicht schlafen. Damals musste ich am nächsten Morgen eine klare Entscheidung treffen. Entweder packe ich meine Sachen zusammen und höre mit dem Höhenbergsteigen auf oder ich entscheide mich ganz bewusst wieder dafür, ins Leben zu vertrauen und darauf, bestmögliche Entscheidungen zu treffen. Ich entschied mich für das Zweite.

Höher, weiter, schneller – das Leben als Profi-Bergsteiger/Bergsteigerin hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Was raten Sie jungen Frauen, die in ihre Fußstapfen treten wollen?

Meine Empfehlung an alle jungen Menschen ist, ganz nach innen zu spüren, um zu erkennen, wo ihre wahren Fähigkeiten liegen und ob sie wirklich aus tiefstem Herzen diesen Weg gehen wollen. Begeisterung und Hingabe, Willenskraft, Disziplin, Geduld sowie Selbstreflexion sind sehr gute Voraussetzungen, um seine gesteckten Ziele – egal in welchem Bereich – erreichen zu können. Auf die eigene Intuition hören und die „gesunde Rückkehr“ sollte immer die höchste Priorität haben.

Gerlinde Kaltenbrunner im Interview

Gerlinde Kaltenbrunner im Porträt

Die Oberösterreicherin wächst in Spital am Pyhrn auf, wo sie der Gemeindepfarrer am Sonntag nach der Messe auf zahlreiche Bergtouren mitnimmt. Die Bergleidenschaft des Pfarrers Dr. Tischler überträgt sich auf die junge Gerlinde Kaltenbrunner und markiert den Einstieg in die Welt der Vertikale. Auch die Liebe zum Klettern geht auf diese Zeit zurück. Während der Ausbildung zur Krankenschwester in Wien nutzt Kaltenbrunner jede freie Minute zum Bergsteigen und Klettern. Mit 23 Jahren erfüllt sie sich mit der Besteigung des Broad Peak Vorgipfels (8.027 m) in Pakistan ihren bis dato größten Traum.
Die Lust mehr hohe Berge zu besteigen ist entfacht und sie steckt ihr Krankenschwestern-Gehalt in Expeditionen. Nach der Besteigung des Nanga Parbat 2003, der ihr fünfter Gipfel über 8.000 Meter war, trifft sie eine Entscheidung: Die Entscheidung, Profibergsteigerin zu werden. Mit der Besteigung des 8.611 Meter hohen K2, dem zweithöchsten Berg der Erde (23. August 2011) ist sie die dritte Frau, die alle 14 Achttausender bestiegen hat – und sie ist die erste Frau, der das ohne zusätzlichen Sauerstoff gelingt. Der Oberösterreicherin geht es dabei aber nie um Rekorde – sondern um ein harmonisches Miteinander – mit den Menschen und mit der Natur. Ein achtsamer, respekt- und liebevoller Umgang mit der Natur und allen Wesen stellen die Grundpfeiler ihres Lebens dar. In Vorträgen und Seminaren gibt sie ihre Erfahrungen weiter und will inspirieren.

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