ISPO.com: Jan, kannst du uns zuallererst erklären, was Corporate Health ist und warum das Thema so relevant ist?
Jan: Betriebliche Gesundheit hilft, einen gesünderen Lebensstil zu führen und unterstützt dabei, sein Bestes zu geben. Davon profitieren Arbeitgeber, aber auch Arbeitnehmer: etwa, indem man Zugang zu Leistungen erhält, die vielleicht nicht vom öffentlichen Gesundheitssystem abgedeckt sind.
Wir wollten das auf der ISPO mit der Sportbranche zusammenbringen um die Brücke in die Zukunft der Gesundheit, des Sports, des Wohlbefindens und der Nachhaltigkeit zu schlagen und sie in die Welt der Unternehmensleistungen und der Personalabteilung zu bringen. Das ist in der Tat Corporate Health.
Denn betriebliche Gesundheit ist nicht nur der Betriebsarzt, der kommt, wenn es um Grippeimpfung geht. Es ist wirklich ein ganzes Universum. Und das bedeutet auch, dass die traditionellen Hersteller von Sport- und Wellness-Produkten, seien es Textilien, seien es technische Produkte, seien es Hardware-Produkte, den Bereich der betrieblichen Gesundheit als einen hervorragenden Vertriebskanal sehen könnten.
Unternehmen wie Garmin stellen zum Beispiel ihre Geräte im Rahmen von Corporate Health Challenges mit einem Preisnachlass oder subventioniert durch den Arbeitgeber anbieten. Das ist ein wirklich kluger Schachzug. Ich denke, dass viele Sportunternehmen, die traditionell in diesem Bereich tätig sind, mit großen und kleinen Unternehmen zusammenarbeiten und ihnen Fachwissen über ihr Gesundheitsökosystem zur Verfügung stellen können, um sicherzustellen, dass diese ihre Aufgaben auch im Bereich der betrieblichen Gesundheit erfüllen können.

In unserem White Paper haben wir festgestellt, dass die Zukunft des Einzelhandels und des Sports auch im Technologie-Bereich liegt. Fast 80% der Befragten machen in erster Linie Sport, um ihre Gesundheit zu erhalten und zu verbessern. 76% sind der Meinung, dass die geistige Gesundheit genauso wichtig ist wie die körperliche. Warum denkst du, dass diese Kombination ein so starker Wachstumsmotor ist?
Wir haben alle auch schon vom „Runner's High“ gehört. Wir wissen, dass Sport unseren Dopamin- und Serotoninspiegel erhöht. Viele Menschen gehen am Wochenende oder am Abend ins Fitnessstudio, nicht unbedingt um einen Wettkampf zu gewinnen, vielleicht für die Gesundheit, aber auch um ihre Stressresistenz zu stärken und vielleicht ihren Cortisolspiegel zu senken, um einfach einen ausgeglicheneren Lebensstil zu führen.
Diese Überschneidung macht für mich also durchaus Sinn. Was mir außerdem Hoffnung macht, ist, dass psychische Gesundheit zunehmend entstigmatisiert wird. Sie ist ja auch ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen Spitzensportler*innen, die alle mit Mentaltrainern arbeiten. Außerdem wissen wir, dass zum Beispiel die COVID-Pandemie die Sichtbarkeit von psychischen Problemen zumindest erhöht hat.
Und auch etwas anderes ist sehr interessant, wenn es um die Gesundheit in Unternehmen geht: Die psychische Gesundheit hängt so stark damit zusammen, wie man sich bei der Arbeit fühlt und wie viel Druck man aushalten kann. Also auch wie belastbar der Mitarbeitende ist und ob man den Mitarbeitende mit einem Tool ausstattet, damit er belastbar ist. In dem White Paper heißt es nämlich auch, dass fast die Hälfte der Arbeitgeber aufgrund von gesundheitlichen Problemen gekündigt hat.
Das heißt, jeder Zweite hat schon einmal wegen gesundheitlicher Probleme am Arbeitsplatz gekündigt. Zwei Drittel dieser Kündigungen hätten also durch bessere Gesundheitsprogramme verhindert werden können. Das ist unvorstellbar.

Zweidrittel. Dabei haben wir Fachkräftemangel und einen War of Talents. Gleichzeitig hören die Leute auf, weil sie sich Sorgen um ihre Gesundheit machen. Ist die betriebliche Gesundheitsvorsorge die Antwort auf diese Frage?
Das denke ich auf jeden Fall. Die Gesundheitssysteme im Allgemeinen sind nicht unbedingt präventiv ausgelegt. Das öffentliche Gesundheitssystem tritt also erst in Kraft, wenn man krank ist.
Wenn wir einen Mitarbeitenden haben, bei dem Burnout diagnostiziert wurde, vergehen zwischen der Diagnose und der ersten Therapiesitzung im Schnitt acht Monate, in denen die Person im Grunde nicht mehr in der Lage ist, die ihr anvertraute Arbeit zu erledigen. Acht Monate also, in denen du das Talent verlierst.
Es ist einfach wirtschaftlich vernünftig, dieses Risiko zu minimieren und zu verstehen, dass das öffentliche Gesundheitssystem sich nicht oder erst mit Verzögerung darum kümmern wird.
Zudem erwarten Unternehmen, besonders in Deutschland, nicht unbedingt die rosigsten wirtschaftlichen Zeiten. Resilienz, psychische Gesundheit und Ausgeglichenheit werden also zu einem sehr wichtigen Unterscheidungsmerkmal für ein erfolgreiches Unternehmen.
Und deshalb wird Corporate Health so wichtig. Wenn Arbeitnehmer zu jemandem gehen könnten, der sagt: Ja, wir nehmen das wirklich ernst. Wir wollen, dass du so gut bist, wie du sein kannst.
Und ich glaube, das ist der Grund, warum man dann den Job wechselt, um vielleicht eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio zu bekommen, um vielleicht Zugang zu Gesundheits-Apps zu bekommen, die auch nicht nur die jungen und gesunden Menschen abdecken. Das kann ein Schlafcoaching sein, das kann ein Ernährungscoaching sein. All das ist es, was Top-Talente von ihrem Arbeitgeber erwarten. Dieser Trend wird sich nur noch verstärken.
Laut Whitepaper wünschen sich fast 53 Prozent der Verbraucher, dass sich Sportgeschäfte zu echten Gesundheitszentren entwickeln, die Beratung, Dienstleistungen und Produkte anbieten. Sie wollen also, dass der Sportfachhändler zur Anlaufstelle wird, wenn es um Fachwissen geht, das ihnen hilft, ihre eigene Gesundheit zu erhalten und zu verbessern. Warum, glaubst du, findet dieser Wandel statt?
Wenn ich zu Hause bleiben kann und nur online einkaufe, ist das für mich die bequemste Situation, um einzukaufen. Wenn ich in ein Geschäft gehe, möchte ich dagegen ein Erlebnis haben. Ich kaufe meine Wanderschuhe zum Beispiel gerne bei Globetrotter, weil ich sie dort ausprobieren kann. Dort kann ich zum Test über einen künstlichen Fluss oder über Steine gehen- das ist für mich ein Erlebnis.
Ich brauche dafür einen Experten, der mir hilft, denn ich möchte ja dass meine Ausrüstung meine Fähigkeiten bestmöglich unterstützt. Moderne Einzelhandels-Technologien können zudem jedes Geschäft in die Lage versetzen, viel sachkundiger zu sein und digitale Schnittstellen können dem beratenden Personal und letztlich den Kunden helfen, die beste Kaufentscheidung zu treffen.
Das kann dann bis hin zu Unterstützung bei der Ernährung gehen, um bestimmte sportliche Ziele zu erreichen oder Krankheiten vorzugbeugen. Oder Laufdiagnostik um technische Unterstützung und Beratung im Geschäft selbst zu bekommen. Konzepte wie ein Apple Store zeigen, wie moderner Einzelhandel aussehen und sehr erfolgreich sein kann, im Gegensatz zu einem gewöhnlichen Laden. Geld gegen Ware tauschen kann ich auch online. Dafür brauche ich keinen physischen Laden.
Fast 30 % der Befragten im Whitepaper wünschen sich eine bessere Verfolgung von Gesundheitsdaten. Welchen Einfluss hat die Technologie auf Corporate Health und auf die Synergie zwischen Sport und Gesundheit?
90 % der Menschen da draußen tragen irgendeine Art von Tracking-Gerät. Aber wenn wir das Tracking mit KI und einem gewissen Maß an Intelligenz kombinieren, könnte ich mir beispielsweise Golfschläger mit Sensoren vorstellen, die mir sagen, ob mein Schwung richtig ist und was ich verbessern kann.
Gleichzeitig könnte ich mir via App und Kopfhörer die analysierten Informationen anhören und mir hilfreiche Ratschläge geben lassen, während ich auf der Driving Range bin. Das Gleiche gilt für Tennisschläger, für mein Stand Up Paddle und so weiter. Ich muss also nicht unbedingt einen Trainer buchen, was die Zugänglichkeit zu einer Sportart revolutioniert.
Ein anderer wichtige Punkt: die Analyse von Daten auf einer so individuellen Ebene, kann mir dadurch, dass jedes Fitnessprogramm auf meine Bedürfnisse zugeschnitten werden kann, ein sehr persönliches Erlebnis bieten. Diese Synergien zeigen sich gut bei Dienstleistungen und der Start-ups im Brandnew Bereich der ISPO.

Was glaubst du wird es nächstes Jahr auf der ISPO geben, zum Beispiel, wenn es um diese Themen geht?
Ich denke, dass der Technologie mittlerweile viel mehr vertraut wird. Vor vielleicht fünf Jahren herrschte ein viel ein größeres Misstrauen gegenüber der Digitalisierung, gegenüber dem Einsatz von KI. Und mittlerweile möchte ich nicht 15 Hubs haben, um meine Daten zu verfolgen. Es muss also eine Gesamtkonnektivität geben, die von einer Gesundheitsplattform bereitgestellt wird, die mir hilft, mich zu optimieren.
Ich glaube, dass mehr und mehr Geräte, die traditionell aus dem medizinischen Bereich kommen, ihren Weg in den Wellness- und Gesundheitsmarkt finden werden. Dabei sollten wir nicht nur über Menschen sprechen, die zu demografischen Gruppen gehören, die sehr jung sind und einen langen Kundenlebenszyklus haben, sondern vor allem auch Altersgruppe 50 und älter.
Longevity ist einer der großen Trends, die wir auch im Bereich der Unternehmensgesundheit aufgreifen werden. Menschen wollen älter werden und länger gesund bleiben. Gleichzeitig wollen wir, dass unsere Mitarbeiter ab 55 Jahren in einer wirklich guten Verfassung sind und dadurch auch am Arbeitsplatz eine gute Leistung erbringen, egal wie lange sie arbeiten müssen.

Führung spiele eine entscheidende Rolle für den Erfolg von betrieblichen Gesundheitsinitiativen, man braucht also eine Art Management-Buy-In damit Maßnahmen funktionieren. Deshalb frage ich dich als Experte: Wie können Führungskräfte diese Programme effektiv vorantreiben?
Ein KPI, der von Führungskräften oft gemessen wird, ist, wie sich der Krankenstand senken lässt. Das spielt in meinen Produktivitäts-KPI hinein. Es geht dabei einfach um Anwesenheit am Arbeitsplatz. Man ist entweder da oder man ist krank oder man ist vielleicht im Urlaub.
Ich glaube nicht, dass das ein guter KPI ist. Wenn du als Führungskraft denkst, an deine Lieblingssportmannschaft oder deinen Lieblingssportler, also zum Beispiel Andre Agassi zu seiner besten Zeit, dann will ich ja auch nicht einfach dass der nur auf dem Platz steht.
Bei Sportler*innen geht es ja auch darum, wie erfolgreich sie auf dem Spielfeld sind oder wie viel Leidenschaft sie zeigen können. Es geht auch darum, die Extrameile gehen zu können.
Wir müssen also auch die tieferen Ebenen neben Arbeitgeberleistungen oder Employer Branding sehen, die es den Führungskräften ermöglicht, zu handeln. Wenn du dein Team, zum Beispiel das Marketingteam bei ISPO nimmst und sagst: Lasst uns gemeinsam für eine Herausforderung trainieren. Lasst uns vielleicht einen Firmenlauf machen oder dafür sorgen, dass wir uns gegenseitig dazu anhalten, jeden Tag ein Dankbarkeits-Journal zu schreiben.
Das ermöglicht es dir als Führungskraft, auf einer ganz anderen Ebene zu führen. Du kannst wirklich ein Ziel definieren und das als Team verfolgen, das über deinen Job hinausgeht. Und dann bekommt man ein neues Verständnis für besseres Teammanagement.
Glaubst du, dass wir mehr Beratung und mehr Dienstleistungen sehen werden, die Führungskräften dabei helfen, diese Idee der modernen Führung wirklich zu verinnerlichen?
Ich hoffe es wirklich. Eine Erfahrung, die mir von allen Unternehmen, die im Bereich Corporate Health tätig sind, besteht darin, wie sie zu Experten für organisatorische Veränderungen wurden. Aber vor allem bin ich der Meinung, dass die Verantwortung nicht an Berater abgegeben werden sollte. Gesundheit sollte für mich ein Auslöser sein, Verantwortung für mich selbst zu übernehmen. So wie wir von Sportlern verlangen, dass sie zu ihren Ergebnissen stehen.
Hast du zum Schluss einen abschließenden Ratschlag für die Erkundung dieses Marktes der betrieblichen Gesundheit?
Auf jeden Fall. Fragt eure Mitarbeitenden, was sie brauchen. Das ist das Einfachste, was man tun kann. Allein dadurch, dass du ihnen diese Frage stellst, befähigst du sie bereits, selbst darüber nachzudenken und vielleicht verstecktes Potenzial aufzudecken, das es gibt.
Jan Küster macht deutlich, wie zentral ganzheitliche Gesundheit für Unternehmenserfolg und Mitarbeiterbindung wird. Wie sich Unternehmen jetzt strategisch aufstellen können, zeigt die ISPO 2025 in ihrer neuen Health & Wellbeing Area. In direkter Nachbarschaft zu den Themen Training und Performance bietet dieser Bereich Raum für Lösungen rund um Corporate Health, mentale Stärke, Regeneration und Prävention – und bringt dabei Brands, Expert*innen und Entscheider*innen zusammen. Sei dabei – vom 30. NOV. – 02. DEZ. in München.
- Corporate Health als Wachstumsmarkt: Betriebliche Gesundheitsprogramme bieten Vorteile für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, schaffen neue Vertriebskanäle für die Sportbranche und fördern den Zugang zu Gesundheitsleistungen außerhalb des öffentlichen Systems.
- Bedeutung von mentaler Gesundheit: Psychische Gesundheit wird zunehmend entstigmatisiert und ist entscheidend für Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung. Zwei Drittel der gesundheitsbedingten Kündigungen könnten durch bessere Gesundheitsprogramme verhindert werden.
- Technologie als Treiber im Corporate Health-Bereich: Wearables, KI-gestützte Fitness-Apps und individuelle Gesundheitsanalysen fördern personalisierte Erlebnisse und steigern die Zugänglichkeit zu Sport- und Gesundheitsangeboten.
- Potential im Einzelhandel: Sportfachhändler können sich zu Gesundheitszentren mit Beratung, Dienstleistungen und Erlebnischarakter entwickeln, um sich von reinem Online-Handel abzuheben.
- Rolle der Führungskräfte: Erfolgreiche Corporate-Health-Programme erfordern Management-Buy-In und eine Kultur, die Gesundheit und Teamgeist fördert, etwa durch gemeinsame sportliche Aktivitäten oder Achtsamkeitspraktiken.
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