Autor:
Eva Doll

Kreativität trifft Funktionalität

Gore Wear Kreativchef: Das haben kreative Sportartikel und Hip-Hop gemeinsam

Erman Aykurt war für Marken wie Adidas, Converse oder Puma kreativ, bevor er 2019 zu Gore Wear kam.

Über zwei Jahrzehnte ist Erman Aykurt bereits kreativ in der der Sportbranche tätig. In seinen 13 Jahren bei Adidas wirkte er an bedeutenden Markeninitiativen um die Icons Superstar, Stan Smith, Adicolor und die ZX-Serie mit. Für Converse führte er die Chuck Taylor Abteilung in Boston. Seine größte Hinterlassenschaft dort war der Chuck 70s. Ein Modell, dass für Converse viel bewegt hat.

Seit 2019 ist er Creative Lead von Gore Wear. Mit seinem Antreten wurde die Position ausgebaut: Er verantwortet das gesamte „Look & Feel“ des Funktionsbekleiders für Ausdauersportler aus Running, Cycling und Cross Country – inklusive der Marketing- und Kommunikationsinhalte.

Wie arbeitet Aykurt innerhalb dieses weiten kreativen Verantwortlichkeitsbereichs? ISPO.com hat mit dem Spezialisten für Kreativität gesprochen.

Wann Neues kreativ ist - und wann nicht

ISPO.com: Was bedeutet Kreativität für Sie?
Erman Aykurt: Kreativität ist für mich Neues zu erschaffen, das bereichert. Ob emotional oder funktional: Bei der Wahrnehmung des Neuen muss ein Mehrwert entstehen, sonst wird es als unkreativ empfunden.

Welche Aspekte umfasst Kreativität innerhalb Ihrer Position? – und wie müssen diese zusammenspielen, damit Kreativität „funktioniert“?
Uns ist besonders wichtig im Auge zu behalten, dass der Mehrwert, den wir liefern, authentisch ist und mit unseren Kunden räsoniert. Dabei ist wichtig zu wissen, wie die Firma von außen wahrgenommen wird und dass die Firma sich mit ihren Kunden im gleichen kulturellen Kontext bewegt.

Der kulturelle Kontext besteht aus all den Erlebnissen, die unser ästhetisches Empfinden maßgeblich beeinflussen. Die meisten davon, die wir mit vielen anderen teilen, kommen aus den Bereichen Musik, Mode, Kunst und für unser Segment natürlich auch dem Sport.   

Darüber tauschen wir uns aus und meine Rolle ist es dafür Strategien zu entwickeln. Eine Marke hat sehr viele Berührungspunkte, bei der unsere Kreativität als Charakter-bildend wahrgenommen wird. Deshalb bin ich sehr dankbar, in viele verschiedene Prozesse eingeladen zu werden. 

Gore Wear setzt auf Einflüsse von DJ-Kultur und Street-Wear

Als Creative Lead bei Gore Wear haben Sie ein sehr weitreichendes kreatives Feld inne – von der Marke, dem Produkt, über die Botschaft bis zum Konsumenten und der Botschaftswirkung…
Das stimmt – und das ist neu für mich. Ich sehe es als große Bereicherung an. Bisher habe ich eher am Produkt gearbeitet. Ich war zwar auch in der Vergangenheit immer nah an großen Markeninitiativen und die dazugehörige Vermarktung, hatte aber nie die kreative Verantwortlichkeit darüber.

Das eröffnet mir Möglichkeiten und Perspektiven, die ich bisher nicht hatte. Die Tiefe der Analyse im Marketing Bereich und das unmittelbare Erleben des Abverkaufs lassen mich andere Entscheidungen treffen bei der Produktgestaltung. Gleichzeitig kann ich bei der Vermarktung der Produkte helfen in dem ich den Kreationsprozess besser dokumentiere.

Was steht am Anfang eines jeden gestalterischen Prozesses bei Gore Wear?
Als ich vor einem Jahr ein Teil des Gore Wear Teams geworden bin, gab es viele Eindrücke, die fundamental anders waren als bei meinen Stationen zuvor. Der wissenschaftliche Charakter war für mich am stärksten. Test- und Simulationslabore, technische Geräte und Umgebungen sowie der wissenschaftliche Anspruch, den alle Mitarbeiter an ihr eigenes Handeln haben, bilden die Grundlage für unseren kreativen Ausdruck.

Dann haben wir versucht den kulturellen Kontext für unsere Kunden zu visualisieren. Das basiert auf Daten zu Altersbereich, Geografie und Sozialisation. Ohne ins Detail zu gehen, waren die wahrscheinlichen gemeinsamen Nenner bei uns DJ-Kultur, Contemporary Art, Street-Wear und Action-Sports.

Uns hilft das zu verstehen, welche Rolle Gore als Marke in diesem Kontext spielt und mit welchem ästhetischen Empfinden unser zukünftiger kreativer Output bewertet wird. 

Flache Hierarchien, sehr direkte Kommunikation und wissenschaftliche Fakten sind die Grundpfeiler von Aykurts Arbeit.

Was Sportprodukte mit Hip-Hop gemeinsam haben

Wie geht es dann weiter…?
Gestaltung ist für mich immer verbunden mit der Verwendung von Zitaten und Referenzen. Ob in Produkten, Musik oder Film – Zitate schaffen das Verständnis, sich im gleichen kulturellen Kontext zu bewegen. Im Hip-Hop beispielsweise sind Musik und Text gespickt mit Zitaten. Wie im Hip-Hop kommt es auch bei unserer Arbeit darauf an, virtuos und inspirierend mit den Zitaten zu arbeiten.

Weil wir unseren kreativen Freiraum so klar definiert haben entsteht bei den Kreativen, die intern und extern mit uns arbeiten, eine größere Stilsicherheit. Sowohl bei der Auswahl von gestalterischen Zitaten aus dem kulturellen Kontext als auch bei der kreativen Verwendung. Dadurch müssen kreative Entscheidungen weniger hinterfragt werden, was zu weniger Kompromissen beim Ausdruck führt.

Entscheidend dabei ist nicht zu vergessen, authentisch zu bleiben und das, was uns als Marke ausmacht in das beste Licht zu rücken.

Wie Kreativität an Sportler vermittelt wird

Was muss für ein ganzheitliches, sinnstiftendes „Endprodukt“ berücksichtigt werden?
Was Funktionalität angeht, ist unser oberstes Ziel, unseren Kunden im Ausdauersport die beste Erfahrung zu ermöglichen. Ausdauersport bietet unzählige Bereicherungen – physisch und psychisch -und zwingt den Sportler dabei in die verschiedensten Situationen.

Eine große Motivation für diesen Sport ist die bewusste Erweiterung der emotionalen Bandbreite. Wir gewöhnen uns meditativ an tiefe Täler des Leidens, um uns Momente des Glücks zu ermöglichen. Wir lernen Geduld, gewinnen mit jedem Lauf und mit jeder Ausfahrt ein kleines bisschen mehr Kontrolle über uns. Das ermöglicht uns in allen Bereichen des Lebens ein bisschen besser zu werden. Unsere Kommunikation muss diesen Prozess widerspiegeln.

Insgesamt muss unsere Produktpalette das sportliche Erlebnis für Athleten in so vielen Situationen wie möglich verbessern - mit so wenig Produkten wie nötig.

…und kreativ?
Kreativ wollen wir sicherstellen, dass die Länge des Lebenszyklus des jeweiligen Produktes auch in der Gestaltung berücksichtigt wird. Farbe und Details müssen von Kunden über den gesamten Zeitraum hinweg als Mehrwert gesehen werden. Gleichzeitig müssen die Produkte über mehrere Kollektionen gut kombinierbar sein.

Können Sie ein konkretes Produktbeispiel geben, das zeigt wie das Kreativteam arbeitet?
Bevor ich dazu gekommen bin, hat das Gore Wear Team die R5 Insulated Jacke entwickelt. Mit der Auszeichnung als Product of the Year beim ISPO Award wollten wir auch die Story der Jacke erzählen. Dafür haben wir Entwickler, Designer und unsere Gore Wear Athletin Thea Heim interviewt. Das Ergebnis haben wir dann in die Kommunikation einfließen lassen.

Bei der visuellen Umsetzung haben wir den Konstruktionsansatz mit den Emotionen einer Athletin zusammengefügt.

Kollaborationen als Trumpf

Wie ergänzen Kollaborationen Ihre Arbeit?
Kollaborationen sind einzigartige Gelegenheiten, sich intensiv und direkt mit unserer Außenwirkung auseinander zu setzen. Für uns ist dabei neben dem geschulten externen Blick auf unsere funktionale Qualität natürlich auch das gemeinsame ästhetische Verständnis wichtig.

Funktional arbeiten wir mit externen Partnern, um unsere internen Fähigkeiten in den Bereichen Design, Konstruktion, Testing, Herstellung und Service sinnvoll zu ergänzen.

Der Austausch mit Protagonisten, die eine wichtige Rolle spielen in unserem kulturellen Kontext – das sind für mich vor allem junge und innovative Marken und Communities - zeigt uns unmittelbar, wem wir uns verpflichtet fühlen wollen, bei der Schaffung eines kreativen Mehrwerts. Denn sie leben Subkultur und kreative Strömungen klarer und unmittelbarer als es große Konzerne tun können.

Zusätzlich arbeiten wir mit individuellen Athletinnen und Athleten, die sowohl funktional, als auch ästhetisch unseren Output bewerten.

Woher beziehen Sie Feedback der Enduser und was tun Sie mit diesen Informationen?
Am besten ist immer noch der direkte Austausch mit unseren Kunden. Der findet über den gemeinsam ausgeübten Sport statt sowie auf konkrete Einladungen, wenn wir zu einem bestimmten Thema weiter in die Tiefe gehen möchten.

Bei Produkten sehen wir die Umsetzung des Feedbacks erst in 1-2 Jahren auf dem Markt. Da ist es ungemein wichtig, auch zwischen den Zeilen zu lesen, um das Objektive vom Subjektiven trennen zu können. Das subjektive Empfinden der Kunden wird sich in diesem Zeitraum noch verändern.

Bei der Markendarstellung kann man hier wegen der kürzeren Vorlaufzeiten direkter eingehen. 

Warum Kanye West und Elon Musk Trends kreieren können

Wie werden Sie von Trends beeinflusst? Was macht in diesem Zusammenhang die Strahlkraft einer Marke aus?
Der größte Motor in der Mode war für mich Subkultur und Gegenkultur. Die Anziehungskraft, die eine neue Bewegung und ihre neue Sichtweise auf uns ausübt, war für mich immer eine Möglichkeit, mir ein Bild zu machen, wo sich die Ästhetik hin entwickelt.

Je sicherer eine Marke sich in einem Kontext bewegt und je inspirierender der kreative Ausdruck, desto grösser ist die Strahlkraft der Marke. Im Idealfall wird eine Marke als kulturelle Bereicherung wahrgenommen und hat sich die Fähigkeit erarbeitet ihrerseits Trends zu kreieren. Wie bei modernen Role-Models ist es wichtig größtmögliche Vielschichtigkeit mit charakterlicher Schlüssigkeit und Authentizität zu vereinbaren. Kanye West oder Elon Musk – beide haben ihre Bekanntheit mit individuellen Leistungen erreicht - spielen kulturell eine noch größere Rolle aufgrund der Breite ihres kreativen Outputs. So ist nicht mehr die individuelle Leistung im Vordergrund, sondern die Person und ihre intuitive Kreativität und die Resonanz, die sie dabei erzeugen.

Hat Corona Einfluss auf den Kreativitätsbereich bei Gore Wear?
Corona bestimmt unseren momentanen gesellschaftlichen Diskurs erheblich. Die daraus entstehenden Bedürfnisse der Kunden beeinflussen die Bewertung einer Marke und ihrer Produkte.

Natürlich hat die Pandemie auch Einfluss auf das Bedürfnis Ausdauersport zu betreiben. Der Stellenwert von Sport hat sich verändert und hilft vielen Menschen, sich physisch und psychisch in dieser Situation zurecht zu finden. Das wirkt sich stark auf das ästhetische Empfinden aus.

Und abschließend: Welche neuen kreativen Möglichkeiten sehen Sie für die Sportbranche aufkommen?
Die Sportbranche lebt von großer emotionaler Bandbreite. Das bietet vielen kleinen Marken die Möglichkeit authentisch unterschiedliche Segmente zu besetzen und Relevanz neu zu definieren.

Kleine Marken können aufgrund ihres Selbstverständnisses starke kreative Standpunkte vertreten. Neue Jugendkulturen werden kontinuierlich den kreativen Ausdruck im Sport sowie den Sport selbst beeinflussen und weiterentwickeln.

Wir wollen mit Gore Wear so arbeiten, dass wir diese Entwicklung mitgehen können.

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Eva Doll