Genetisch mag man der perfekte Athlet sein. Wenn man allerdings dieses Talent nicht zu nutzen weiß, hat man keine Chance. Ich habe in meiner Karriere sehr viele Athleten gesehen, die körperlich stärker waren. Sie haben es trotzdem nicht zum Erfolg geschafft, da ihnen oft die mentale Power gefehlt hat. Der Körper ist wie ein Auto. Das steht da und sieht auf den ersten Blick gut aus. Die mentale Stärke mag nur ein kleiner Aspekt sein, aber sie ist der Zündschlüssel. Wer das Auto nicht starten kann, der gewinnt am Ende auch nichts. Der Wert mentaler Power liegt für mich darin, Probleme als Chancen zu sehen. Man belügt sich quasi selbst, ohne dass man es als Lüge erkennt. Der Kopf sagt im Rennen, dass man aufhören sollte, weil es zu viel ist. Dann ist es die Kunst, genau diese Gedanken dahingehend zu lenken, dass das der entscheidende Punkt im Rennen ist, für den man überhaupt an den Start gegangen ist. Genau das ist dann die eigentliche Challenge in einem Rennen, dann wird der Unterschied gemacht. Geht wenig Wind und das Wasser ist flach, kannst du nicht zeigen, dass du ein guter Segler bist. Erst wenn die Wellen richtig hoch sind und es stürmt, hast du überhaupt die Gelegenheit zu zeigen, dass du besser bist. Immer ist mir das in meiner Karriere auch nicht gelungen. Man weiß erst, was mentale Stärke ist, wenn man Schwächen durchlebt hat. Der Kopf spielt in diesem Sport eine große Rolle, für mich die entscheidende.
Mein Körper und Geist sind langsam bereit, die sportliche Karriere zu beenden. Während dem Körper nahezu jeden Tag im Training und Wettkampf immens viel abverlangt wird, ist der Geist vor allem in schwierigen Situationen gefordert. Langwierige Verletzungen, die sich über viele Wochen und Monate hinziehen, dazu jahrelange Schmerzen. Dann wird es immer schwieriger, sich selbst zu erklären, dass man es noch drauf hat. Das höhlt einen mental aus und es sind ganz viele Dinge, die den Geist mental ermüden lassen. Ende des Jahres ist Schluss damit.
In diesem Sport kann manchmal eine gewisse Unerfahrenheit sogar helfen, gerade zu Beginn einer Laufbahn. Wenn du nicht weißt, dass die Wand kommt, dann bremst du auch nicht. Wer einmal ernsthaft an sein Limit gegangen ist, der hat eher Angst, da wieder hinzukommen. Ich habe das ein paar Mal gemacht und es schreckt eher ab, als dass man sich damit gut fühlt. Das ist auch der Grund, warum ich in meinen ersten Rennen über die Langdistanz viel tiefer gehen konnte als Jahre später. Man lernt eher, diesen Zustand zu managen und das ist mental extrem fordernd. Mein Topf an mentaler Stärke ist so langsam leer.
In meinem ersten Triathlon über die Langdistanz bei der Challenge in Roth war ich der erste Rookie, der unter acht Stunden geblieben ist. Ein bewegendes Erlebnis, bei dem noch lange danach die Tränen geflossen sind. Direkt nach dem Rennen bin ich zunächst kollabiert. Auch wenn es mir Stunden später wieder besser ging, die drei Wochen danach konnte ich mich kaum bewegen. Ein Training war nicht möglich, mein Körper und Kopf haben mich davon abgehalten. Geschlafen habe ich maximal 1,5 Stunden am Tag. Auf dem Weg zu einem Termin musste ich rechts ranfahren, da ich einen Nervenzusammenbruch hatte. Ich saß im Auto und habe einfach drauf losgeheult. Da war sie meine erste posttraumatische Stressstörung – das bedeutet Limit. Mich hat das nicht abgeschreckt, zumal ich darauf vorbereitet wurde. Für viele Athleten ist das der Beweis, dem Körper mit unbändigem Willen etwas abzuverlangen, dass er sonst nicht geschafft hätte. Allerdings glaube ich nicht, dass man an diesen Situationen mental wächst. Das ist wie eine Schachtel Streichhölzer, die ist irgendwann leer. Dahingegen sind unverhoffte Situationen, die passieren, die aber nicht mit dem körperlichen Limit einhergehen, die an denen man wächst man.
Innere Stimmen begleiten einen täglich. Man hat nicht ausreichend und hart genug trainiert. Man glaubt, die anderen investieren mehr und man sieht gar nicht, wie nah man eigentlich schon an seinem Limit ist. Warum? Weil man es eben nicht schafft, alles andere auszublenden und sehr wohl schaut, was andere machen oder man selber in der Vergangenheit alles schon getan hat. Dann glaubt man generell immer, dass man zu dick ist. Doch während eines Rennens helfen diese inneren Stimmen auch. Ich habe unterschiedliche Drehbücher, viele sind verknüpft mit Technik. An meinem Nacken hängt ein Ballon, der mich hochzieht, mein Fuß ist ein Tretroller und die Hüfte funktioniert wie ein Segway, du lehnst dich nach vorne und wirst schneller und schneller. Wenn du dein Hirn beschäftigst, dann kommt auch nichts Negatives rein.
Die erste Hürde erwartet einen noch bevor man in das Flugzeug steigt, besonders wenn man den Ironman auf Hawaii zum ersten Mal bestreitet. Du liest und hörst so viel über dieses Rennen, dass du großen Respekt entwickelst. Das ist der Mythos von Hawaii. Ich denke nicht, dass es der härteste Triathlon ist, aber er ist der schnellste mit dem besten Starterfeld im Profibereich. Dadurch ist es auch der Triathlon, der am schwierigsten zu gewinnen ist.
Dann erreichst du irgendwann völlig übermüdet Hawaii und dort trifft dich extrem warme und feuchte Luft. Im ersten Training hast du gleich mal 15 bis 20 Pulsschläge mehr auf der Uhr und bist total verunsichert. Alles fühlt sich schwerer an und man denkt, die Geister der Insel haben sich gegen einen verschworen. Im Rennen gibt es mehrere Widrigkeiten, die einen fertig machen können. Viele Athleten bekommen beim Schwimmen Angst. Die Weite des Ozeans, die vielen Starter um einen herum, das kann Panik erzeugen. Auf der Radstrecke können die letzten 35 Kilometer hinauf zum Senic Point eine Schlüsselrolle spielen. Hier spürt man zum ersten Mal die Hitze so richtig und man darf nicht den Fehler machen, hier schon an den anschließenden Marathon zu denken. Auf der Laufstrecke lauern gleich mehrere Hürden. Zum einen der Queen Ka´Ahumanu Highway. Der ist 6-spurig und man kann unglaublich weit sehen. Da darf man nicht den Kopf heben und in die Ferne schauen, denn man kommt sich so unglaublich langsam vor. Und letztlich diese brutale Hitze. Die Temperatur des Körperkerns kann sich Richtung 40 Grad Celsius bewegen, das ist lebensbedrohlich und im Zweifel schaltet der Körper alles ab. Das ist mental unglaublich hart, denn man kann sich halt keine kalten Gedanken machen. Einmal überhitzt, muss man so unglaublich viel Leistung rausnehmen. In dieser Phase bin ich auf Hawaii immer gewesen.
Auf der einen Seite wünscht man sich während der Karriere oft einen ganz normalen Job, in dem das Potenzial des Scheiterns und von Konsequenzen nicht so groß ist. Ich habe mein Studium für den Leistungssport abgebrochen und alles auf eine Karte gesetzt. Auf dem Level kannst du dich auch nicht berufsunfähig versichern. Die Gefahr besteht somit immer, dass plötzlich alles vorbei ist. Andererseits hat mich der Grad der Freiheit 30 Jahre in diesem Sport gehalten. Das Leistungsprinzip nehme ich auf jeden Fall mit in meine zukünftige Karriere. Und natürlich die mentale Einstellung. Neuen Dingen werde ich mich immer mit 100 Prozent widmen, Halbgas gibt es bei mir nicht. Und ich muss immer das Zepter selber in die Hand halten. Diese Selbstverantwortung kannst du nicht ablegen.