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Outdoor/31.05.2023

Fluch und Segen: So kämpft der Outdoor-Tourismus gegen seine Schattenseiten

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Der Outdoor-Lifestyle wandelt auf einem schmalen Grat. Einerseits: Gesunde Erholung, faszinierende Naturerlebnisse, sozial orientierte Wertschöpfung. Andererseits: Klimawandel, Landschaftszerstörung, Overtourism. In diesem Zwiespalt positionieren sich Sportler*innen, Verbände, Destinationen, Reiseanbieter und Ausrüster klar. Nachhaltigkeit ist der Megatrend bei Outdoor-Aktivitäten – mit manchmal überraschenden Lösungen.

70 Jahre nach der Erstbesteigung verbuchte der Mount Everest 2023 ein neues Rekordjahr. Knapp 500 Permits für den Aufstieg stellte die nepalesische Regierung aus. Viele Alpinist*innen verfolgen mit Grausen die Prozession der Bergsteiger*innen, die sich eine All-Inclusive-Expedition zum höchsten Gipfel der Erde ab rund 50.000 Dollar aufwärts erkaufen. Auch in Europa zeigt sich der Outdoor-Tourismus manchmal wenig individuell und im Einklang mit der Natur. Etwa, wenn im nordischen Mittsommer der Stau der Camper und Wohnmobile auf der Straße zum Nordkap an die Rushhour einer Großstadt erinnert. Oder wenn selbst ernannte Influencer die als Natural-Infinity-Pools gehypten und nun gesperrten Gumpen über dem Königssee belagern. Oder wenn sogenannte Wikinger-Tourist*innen sich mit komfortabler Vollpension auf Kreuzfahrtschiffen ins gefährdete ewige Eis der Polregionen oder zu einsamen Inseln schippern lassen – und damit erheblich zum Klimawandel beitragen.

Zwischen Overtourism und „Mit der Natur leben“

Zugegeben, das sind Extreme, für die die wahre Outdoor-Community keinerlei Sympathie hegt. Doch auch jeder unspektakuläre Ausflug, Wochenendtrip oder Urlaub in der Natur hinterlässt einen Fußabdruck. Diesem Dilemma stellt sich Biathlon-Olympiasiegerin Laura Dahlmeier offen. In einem Interview mit der WELT bekennt die populäre Protagonistin der Outdoor-Szene: „Wenn ich sage, ich möchte die Natur komplett so lassen, wie sie ist, dann darf ich sie nicht betreten. Aber ist es das, was wir wollen? Eigentlich nicht. Die Natur gibt uns schließlich so viel. Man möchte doch mit der Natur leben und nicht aneinander vorbei.“ Die entscheidende Frage für sie ist: Wie viel Nutzung ist okay? Hier plädiert sie für eine Steuerung. „Die Gebiete, die man eh schon begonnen hat zu nutzen, sollte man weiterhin nutzen können, und gleichzeitig eine Art Bestandsschutz für jene Gebiete aussprechen, die bis jetzt ungenutzt sind.“

Glück der Skandinavier liegt in der Natur

Eine traditionell enge Beziehung zur Natur haben Bewohner*innen der Länder im Norden. Die Philosophie vom glücklich machenden Leben mit und in der Natur ist tief in der Seele der Menschen aus Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark verankert. Ihre Traditionen von „Friluftliv“ (Freiluftleben) und „Allemänsrätt“ (Jedermannsrecht) prägen eine Naturkultur, die Basis für die regelmäßigen Spitzenplätze im globalen Glücksindex ist.

Wachsendem Erholungsdruck gegensteuern

Es muss schon einiges passieren, dass die ziemlich entspannten Schwedinnen und Schweden die Zukunft ihres sogar im Grundgesetz verankerten Allemänsrätt kritisch diskutieren. Warum das so ist, weiß Katrin Steverding nur zu gut. Sie leitet als Betriebschefin das Naturreservat Glaskogen. Das paradiesische Fleckchen Erde kommt der Idealvorstellung von nordischer Natur ziemlich nahe: Hügel, Felsen und Seen, wildreiche Wälder und eine vielfältige Fauna über drei Klimazonen. Doch der Erholungsdruck wächst im Übermaß. Gemeinsam mit der Regionalregierung von Värmland geht die Glaskogen-Stiftung das Problem wissenschaftlich an. Besucherströme und -verhalten oder Müll der Gäste und deren Auswirkungen auf die Natur werden gemessen, um dann Maßnahmen für eine dauerhafte Nachhaltigkeit zu ergreifen.

Nicht jeder nimmt Rücksicht auf die Natur

Die aus Deutschland stammende Tourismusexpertin Steverding und ihre Mitarbeiter*innen wollen dafür sorgen, dass das Naturreservat auch in Zukunft der Erholung und dem Naturerlebnis der Menschen dienen kann: wandern, schwimmen, Kanu fahren, biken, fischen, campen. Ansonsten gilt die Vernunftregel des Allemänsrätt: Die Natur nicht stören und nicht zerstören. Was früher bei viel Landschaft und relativ wenigen Besuchern reibungslos funktionierte und auch heute die meiste Zeit des Jahres kein Problem ist, stößt in den Ferienmonaten Juli und August an Grenzen. Der Glaskogen als einzigartige Landschaft lockt erlebnishungrige Urlauber*innen aus Schweden, Europa und aller Welt an. Zur Masse der vielen vernünftigen Outdoor-Fans kommt eine besonders belastende Minderheit, die wenig Rücksicht nimmt.

Manche Kanugruppen machen Party auf den Inseln und hinterlassen Müll und Fäkalien. Die Bushcraftszene fällt Bäume für Nachtlager oder Flöße und trägt Felsbrocken zusammen. Motorisierte Offroader durchpflügen die Natur. Wohnmobile parken auf Wegen und im Wald. Zusätzliches Ärgernis: Viele Gäste lösen keine für den Zutritt obligatorische Glaskogencard, deren Erlös der Pflege und dem Erhalt des Naturreservats dienen. Auch wünscht sich die Parkleiterin eine stärkere finanzielle Beteiligung von Reiseveranstaltern, die schließlich von der Schönheit der Destination profitieren. Katrin Steverding und ihr Team jedenfalls kämpfen für den Bestand des Naturreservates – mit Aufklärung, nur in begrenztem Umfang möglichen Kontrollen und bald vielleicht auch weiteren notwendigen Restriktionen.

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Emil Renäng

Glaskogen

Der Glaskogen misst 28.000 Hektar Fläche. Das größte Naturreservat Värmlands umfasst Wald und rund 80 Seen. Es wurde 1970 gegründet und soll ausdrücklich dem Friluftliv, also der Erholung, dienen. Das Wegenetz zum Wandern und Biken ist 300 Kilometer lang. Kanutouren sind auf rund 150 Kilometern Streckenlänge ausgewiesen. Am Parkzentrum in Lenungshammar befindet sich ein idyllischer Naturcamping- und Wohnmobilstellplatz. Der Glaskogen ist auch mit dem ÖPNV erreichbar.

Slow Travel - Konsequent Richtung Nachhaltigkeit

So wie die Glaskogen-Stiftung Overtourism begrenzt, marschiert die skandinavische Outdoor-Branche konsequent in Richtung Nachhaltigkeit. In allen Ländern gibt es mittlerweile grüne Label mit strengen Vorgaben, die nur nach eingehender Prüfung vergeben werden und Tourist*innen eine bewusste Entscheidung für nachhaltige Angebote ermöglichen.

 

  • Nature's Best ist ein Zertifikat für hochwertige ethische Naturreisen in Schweden. Es wurde von Reiseverbänden, Landbesitzern, Naturschutzverbänden, gemeinnützigen Organisationen, Behörden, Tourismusunternehmen und -einrichtungen entwickelt. Die Region Westschweden betreibt eine eigene, vorbildliche Nachhaltigkeitsinitiative.
  • Finnland etwa hat drei Grundkriterien für die touristische Weiterentwicklung der Region Helsinki, der 1000 Seen, der Schärenküste und Lapplands definiert: Klima und Natur schützen, kulturelles Erbe respektvoll bewahren und die lokale Wirtschaft unterstützen.
  • Norwegen leitet mit dem nationalen Gütesiegel für seine spektakulären Reiseziele einen Prozess kontinuierlicher Prüfung und Verbesserung ein. Die Weltmeister der E-Mobilität spielen natürlich auch die Karte des nachhaltigen Reisens vom E-Auto über Hybridfähren bis zur Bahn. Einige Bahnlinien zählen zu den spektakulärsten in Europa und machen den Weg in die Natur schon zu einem entspannten Naturerlebnis. Eines von vielen Highlights ist die Raumabahn zum bekannten Fjorddorf Åndalsnes. Der Bergsteiger-Hotspot ist Ausgangspunkt für Touren – u. a. auf dem legendären Berggrat Romsdalseggen – und Wanderungen auf der Landschaftsroute Geiranger-Trollstigen sowie für Skiaktivitäten im Winter.
  • In Dänemark macht die Outdoor-Hauptstadt Silkeborg vor, wie die Natur als Ressource Wohlergehen, Wohlbefinden und Wachstum einer ganzen Gemeinde stärken kann. Das ehrgeizige Silkeborg-Modell beteiligt in einem einzigartigen 360-Grad-Modell alle relevanten Interessengruppen. Mehr als 175 örtliche Initiativen machen mit. Die Natur wird in jeden Aspekt des Lebens und auf jeder Ebene einbezogen, um das körperliche, geistige und soziale Wohlbefinden der Bürger*innen zu verbessern.
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Anders Johansson

Grüne Projekte in ganz Europa

Skandinavien erscheint als ein Hotspot für Nachhaltigkeitsstrategien, doch die Entwicklung grüner Outdoor-Projekte schreitet längst in ganz Europa voran. Hier einige Beispiele:

  1. Der Alpenraum braucht die touristische Wertschöpfung fürs wirtschaftliche Überleben, ächzt aber gleichzeitig unter der starken Last für Natur, Landschaft und soziale Gemeinschaft. Wohin die zukünftige Reise gehen kann, zeigen Initiativen wie die Gemeinschaft der Bergsteigerdörfer. Seit 15 Jahren gibt es dieses Siegel. Statt Massentourismus punkten die Dörfer mit sanftem Tourismus, einfachem und bodenständigem Komfort, problemloser Bahnanreise und vor allem entspannender Erholung in grandioser Natur. Genau das, was viele gestresste Städter suchen. 
  2. Sanfte Mobilität als Aspekt der Nachhaltigkeit haben sich 19 Urlaubsorte im gesamten Alpenbogen in Deutschland, Österreich, Italien, Slowenien und der Schweiz auf die Fahne geschrieben. In den „Alpine Pearls“ kommen Urlauber ohne Auto aus. Bekannte Winter- und Sommersportorte wechseln sich ab mit kleinen Destinationen, in denen ein aktiver und naturnaher Outdoor-Urlaub an der frischen Bergluft ebenso möglich ist wie entspannte Wellness.
  3. Wenn es im Mittelmeerraum einen Inbegriff für Massentourismus gibt, dann ist es sicherlich Mallorca. Doch die Insel hat das Ziel, eine Ökotourismus-Region zu werden, unterstützt von der EU mit 55 Millionen Euro Fördergeldern für Klimaschutz. Das Tourismusgesetz der balearische Regierung zielt auf höherwertige touristische Angebote, bessere Energieeffizienz und CO2-Reduzierung in Hotels, Kreislaufwirtschaft sowie soziale Nachhaltigkeit für Beschäftigte der Urlaubsindustrie. Ökotourismus im Naturparadies Mallorca soll ein Beispiel für ganz Spanien werden. Ob die Küsten, das Tramuntana-Bergland oder die zentralen Ebenen – Mallorca setzt auf sportliche Herausforderungen für Wandernde und Biker und seine wunderschönen Landschaften, die es im Einklang mit der Natur zu erkunden gilt.

OutDoor by ISPO im Zeichen der Nachhaltigkeit

Dem verantwortungsvollen Leben in und mit der Natur haben sich nicht nur Tourismusdestinationen verschrieben, sondern auch zahlreiche Brands der Sport- und Outdoorindustrie. Bereits seit Jahren zeigt die OutDoor by ISPO, wie sich die Branche engagiert. So steht auch die diesjährige Messe wieder ganz im Zeichen des Wandels hin zu Kreislaufwirtschaft und nachhaltiger Produktion. Beispiele geben unter anderem die Mitglieder der Scandinavian Outdoor Group mit vielen bekannten Marken im Scandinavian Village.

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