18.06.2019

Jürgen Siegwarth: „Natürlich profitiert Ortlieb vom Outdoor-Trend“

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Ortlieb versteht sich immer noch als Partner des Fachhandels, aber auch der Taschenspezialist musste feststellen, dass Firmen heute ohne E-Commerce kaum konkurrenzfähig sind. Geschäftsführer Jürgen Siegwarth verrät im Gespräch mit ISPO.com, wie er vom Outdoor-Trend profitiert und warum die Produktion langfristig wieder komplett nach Europa gebracht werden soll. 

Gewann auf der ISPO Munich 2019 den ISPO Award in Gold: Der Atrack ST, ein neuer wasserdichter Travelrucksack speziell für Frauen.
Gewann auf der ISPO Munich 2019 den ISPO Award in Gold: Der Atrack ST, ein neuer wasserdichter Travelrucksack speziell für Frauen.

Der Taschenspezialist Ortlieb aus Heilsbronn macht vieles anders als andere: Produziert wird in Deutschland, die Materialien stammen aus Europa, der E-Commerce läuft ausschließlich über die Händler und statt in immer mehr neue Produktkategorien zu diversifizieren, fokussiert sich die Marke seit jeher aufs Kerngeschäft.

Jetzt könnte man meinen, das sei altmodisch – aber das Gegenteil ist der Fall. Bei so viel eigener Produkt- und Produktionskompetenz ist die Digitalisierung der Prozesse bei Ortlieb längst im Gange. Wir haben mit Geschäftsführer Jürgen Siegwarth über Trends gesprochen, warum ein eigenes Onlinebusiness für ihn kein Thema ist und weshalb Messen wichtig sind.

Geschäftsführer Jürgen Siegwarth von Ortlieb zum Thema E-Commerce: „Direkt verkaufen ist nicht unser Thema.“
Geschäftsführer Jürgen Siegwarth von Ortlieb zum Thema E-Commerce: „Direkt verkaufen ist nicht unser Thema.“
Bildcredit:
Ortlieb

ISPO.com: Wir erleben gerade einen neuen Outdoor-Boom, der ganz neue Zielgruppen erreicht. Draußen sein, Campen, Wandern und Radfahren sind ein Trend. Spüren Sie diesen Boom?
Jürgen Siegwarth: Natürlich profitieren wir von diesem Trend, vor allem vom Radfahren und vom Bereich Multisport. Es gibt nicht mehr den klassischen Wanderer oder Radfahrer, der nur den einen Sport betreibt. Die Konsumenten heute sind in vielen Bereichen aktiv und wollen deshalb auch Produkte, die vielfältig einsetzbar sind. Vor allem die jüngere Zielgruppe will ihren Lebensstil reduzieren, weil sie nachhaltiger leben möchte oder weil ihr in der kleinen Stadtwohnung schlichtweg der Platz fehlt. Beides, Radfahren und Multi-Use, sehen wir derzeit als die großen Treiber im Markt. 

Wie wichtig ist Urban Outdoor? Wie setzen Sie das Thema um?
Für uns ist das extrem wichtig. Seit 2015 bauen wir für den Radbereich eine Linie mit Radtaschen und Daypacks auf, die sich genau an die urbane Zielgruppe richtet. Wir verwenden hier ganz andere Materialien und ein anderes Design als beispielsweise im klassischen Outdoorbereich, d.h. dezente Farben, klare Formen und sehr schlichte, baumwollähnliche Stoffe, die aber die volle Funktion bieten.

Ortlieb gehört zu den wenigen Brands, die sich nicht in tausend weitere Kategorien diversifiziert haben. Warum eigentlich?
Das ist aus unserer Sicht einfach nicht sinnvoll. Wir haben uns auf wenige Kategorien fokussiert – Bike, Outdoor und Travel - und die machen wir richtig. Und mit diesen Kategorien wachsen wir auch.

In welchen Bereichen wachsen Sie?
Wir sehen weitere Wachstumsmöglichkeiten in Deutschland und international. Wir haben schon seit 20 Jahren eine Tochtergesellschaft in den USA und sehen auch dort weiteres Potenzial, aber natürlich auch in Asien. In Thailand, Südkorea und Japan gibt es bereits Partner, in China noch nicht. Mit wachsender Mittelschicht wird der chinesische Markt in Zukunft aber sicher immer interessanter werden. Vor allem in Asien ist Urban Outdoor sehr stark.

Besuchen Sie Ortlieb und Co auf der OutDoor by ISPO

„Ohne E-Commerce geht es heute nicht“

Sie betreiben kein eigenes Onlinebusiness. Wie sieht Ihre E-Commerce-Strategie genau aus?
Ortlieb gehörte 2011 zu einem der ersten Unternehmen, das einen selektiven Vertriebsvertrag aufgesetzt hat. Wir verstehen uns ganz klar als Partner des Fachhandels und wollen das auch so beibehalten. Aber natürlich geht es heute nicht ohne E-Commerce. 2003 haben wir mit allen Händlern unser Click-&-Collect-System gestartet, d.h., der Kunde kann in unserem Webshop bestellen und die Ware beim Händler vor Ort abholen. Seit Ende 2018 versenden wir zusätzlich über eine Anzahl von derzeit 60 bis 80 Premiumhändlern direkt an die Kunden, aber auch hier partizipiert der Fachhandel zu 100 Prozent. Selbst dem Kunden wird auf der Website klar, dass er nicht beim Hersteller sondern bei einem Händler kauft. Diese Lösung haben wir mit unserem Partner Arendicom realisiert. Dafür mussten wir unsere internen Prozesse verändern und lernen seither viel dazu. Aber direkt verkaufen ist nicht unser Thema. Wir haben ein erklärungsbedürftiges Produkt und sind mit dem Fachhandel groß geworden - und er genauso mit uns. So soll es auch bleiben.

Ihre Produkte leben von der Funktion und von der Innovation. Wie entstehen bei Ihnen Innovationen?
Unsere Produktmanager und Designer besuchen viele Messen und suchen gezielt nach neuen Innovationen, auch unsere Verfahrenstechniker arbeiten immer an neuen Ideen. Viele Anregungen bekommen wir auch von unseren Fachhändlern und Konsumenten, die mit uns kommunizieren. Wir sind da immer sehr offen. Wir arbeiten mit einem Fünf-Jahres-Plan, in dem wir unsere Meilensteine oder Projekte festlegen. Das ist notwendig, weil wir einen langen Vorlauf haben. Wir produzieren ja nicht nur selbst in Heilsbronn, wir entwickeln und designen auch alles selbst - bis hin zur Produktverpackung. Aus Asien kaufen wir einen sehr geringen Anteil an Zubehörteilen hinzu, also beispielsweise die Taschenfutter. Alles andere wird hier produziert, und auch 70 Prozent unseres Sourcings findet in Deutschland statt. Daran soll sich auch nichts ändern. Langfristig wollen wir sogar ganz zurück nach Europa gehen.

„Erst ganzheitliche Produktionssysteme machen Unternehmen konkurrenzfähig“

Welche Vorlaufzeiten haben Sie für ein neues Produkt?
Für ein komplett neues Modell rechnen wir mit ein bis zwei Jahren. Es geht dabei nicht nur um das Modell selbst, da wir alle Kleinteile bis ins Detail selbst entwickeln. Wir haben demnach ganz unterschiedliche Zulieferer, wovon viele sich hier bei uns in der Nähe befinden. Entwicklung und Produktion sind bei uns sehr eng miteinander in Heilsbronn verzahnt, was für uns ein riesiger Vorteil ist. Wir investieren viel in unsere Mitarbeiter, was der Marke zugutekommt und somit auch den Produkten.

Die Integration von Elektronik ist gerade ein Trend. Ist das für Sie ein Thema?
Wir werden auf der OutDoor by ISPO unser erstes Produkt vorstellen, in das eine solche Lösung integriert ist.

Spielt die Digitalisierung der Supply Chain für Sie eine Rolle? Warum sind im Taschenbereich kürzere Lead-Times wichtig?
Wir sind schon dabei, Industrie 4.0 und Lean Management zu implementieren. Alleinstellungsmerkmale von Produkten und Innovationen sind nicht der einzige Schutz vor weltweitem Wettbewerb. Erst schlanke Prozesse durch die Einführung ganzheitlicher Produktionssysteme machen Unternehmen dauerhaft konkurrenzfähig. Ziel des Ortlieb-Produktionssystems ist Perfektion entlang der gesamten Wertschöpfungskette und Wertströme durch kontinuierliche Verbesserung aller Methoden, Prozesse und Werkzeuge.

Uns geht es vor allem darum, beweglicher zu werden und auch kleinere Mengen produzieren zu können. Da wir unser eigener Produzent sind, können wir unser Know-how viel stärker einbringen als das in Asien der Fall wäre. Und natürlich muss auch unsere Produktion mitwachsen, wenn wir Märkte wie Asien stärker angehen wollen. 
 

„Seit 2017 sind wir klimaneutral“

Nachhaltigkeit ist gerade in der Outdoorbranche extrem wichtig geworden. Wo setzen Sie Ihre Schwerpunkte?
Wir machen in diesem Bereich schon sehr viel. Angefangen mit der Produktion vor Ort, die natürlich der deutschen Gesetzgebung entsprechen muss, bis zu den Materialien, die wir zu 90 Prozent aus Europa beziehen. Wir achten auch sehr auf Ressourceneffizienz bezogen auf den Material- und Energieeinsatz. Seit 2017 sind wir außerdem klimaneutral für die Bereiche Scope 1 und 2, inklusive unserer Tochtergesellschaft in den USA und verstärken auch weiterhin unseren CSR-Bereich.

Was denken Sie, wie wird der Handel in fünf Jahren aussehen?
Es verändert sich viel! Sehen Sie sich beispielsweise Kopenhagen an und welche große Rolle dort Fahrräder heute spielen. Das Thema Mobilität wird sich verändern und auch der Handel wird davon profitieren können. Die Bereiche Urban, Bike und Outdoor überschneiden sich immer mehr. Wer heute ein E-Bike kauft, braucht irgendwann eine wasserdichte Tasche – wir möchten dafür sorgen, dass diese von Ortlieb ist. Diese Überschneidungen werden sich auch im Fachhandel niederschlagen.

Natürlich gibt es auch Herausforderungen. Die Innenstädte verlieren an Kundenfrequenz, also wird es für den einzelnen Fachhändler zunehmend wichtiger, mehr in Erlebnis, eine gute Auswahl und gute Beratung zu investieren. Und wir als Fachhandelspartner müssen die passenden Produktlinien, Informationen und Service liefern, denn der Fachhandel ist der verlängerte Arm zum Konsumenten. Deshalb sind heute  auch Messen so wichtig: Wo sonst soll sich der Händler informieren und einen Überblick bekommen? Es geht um Neuheiten-Informationen, die über das Produkt hinausgehen, und um direkte, persönliche Kontakte.