“Lawinen in Zeitlupe” nannte der Zukunftsforscher Matthias Horx einst Megatrends. Nach seiner Definition ist ein Trend ein Megatrend, wenn er mehr als 25 Jahre besteht, global oder zumindest international auftritt und Auswirkungen auf viele Bereiche des Lebens hat.
Megatrends sind Tiefenströmungen des gesellschaftlichen Wandels bei Gewohnheiten, Verhaltensweisen und Moralvorstellungen. Im Unterschied zu Moden können sie nicht geschaffen oder beeinflusst werden, denn sie entwickeln sich aus der Gesellschaft heraus. Das von Horx gegründete Zukunftsinstitut sieht aktuell 12 Megatrends: Individualisierung, Gender Shift, Silver Society, Knowledge Culture, New Work, Gesundheit, Neo-Ökologie, Konnektivität, Globalisierung, Urbanisierung, Mobilität und Sicherheit. ISPO.com stellt die fünf für die Sport-Community entscheidenden vor.
Individualität ist das Zeichen der Zeit: Mehr und mehr suchen Menschen auf der ganzen Welt einen individuellen Lebensstil und eine eigene Identität. Diese Zunahme der Individualisierung geht vor allem auf die Steigerung des Wohlstandes, die Verkürzung der Arbeitszeit sowie die Anhebung des Bildungsniveaus zurück. Traditionen und Institutionen wie die Politik oder die Kirche, die ihren Anhängern früher Normen für die Lebensführung gaben, verlieren an Bedeutung. Stattdessen will der Einzelne die Antwort auf die Frage, welche Lebensweise die richtige sei, für sich selbst finden. Immer mehr Lebensentscheidungen kann und will er für sich selbst treffen: beispielsweise in der Partnerschaft, im Beruf, in der Bildung oder bei der Wahl des Wohnortes.
Dieses neue Bedürfnis nach Individualität beeinflusst nicht nur unsere Werte, sondern eben auch unser Kaufverhalten. Kunden erwarten von Unternehmen zunehmend Produkte und Serviceangebote, die individuell auf sie zugeschnitten sind. Mass Customization lautet das Stichwort – kundenindividuelle Massenproduktion. Bei Massenprodukte soll durch Variation aus wenigen, jedoch entscheidenden Merkmalen des Produkts, die zum Beispiel über Apps oder Internet-Konfiguratoren eingerichtet werden, eine weitere Stufe der Individualisierung erreicht werden.
Bedeutend für Sport-Unternehmen ist der Wunsch, Sport-Geräte wie Fahrradrahmen individuell an den Körper der Nutzer anzupassen. Unternehmen können diese Individualisierung vor Ort im Geschäft herstellen – zum Beispiel bei einem Skistiefel. Allerdings muss hier das vorrätige Produkt so beschaffen sein, dass es individualisiert werden kann. Bei einem Fahrrad hingegen, dessen Rahmen mittels 3D-Druck produziert wird, muss die Individualisierung beim Vermessen des Kunden bereits vor der Produktion beginnen. Dies macht völlig neue Produktionsverfahren erforderlich.
Digitale Kommunikationstechnologien schaffen neue Lebensstile. Die Corona-Pandemie verstärkte diesen Trend zur digitalen Konnektivität nochmals, als persönliche Treffen durch Chats, Online-Computerspiele und Videocalls ersetzt werden mussten. Dies hat auch Auswirkungen auf den Sport. Auf der eine Seite führt Digitalisierung dazu, dass die Menschen sich weniger bewegen, da sie mehr Zeit vor Bildschirmen oder mit dem Smartphone verbringen. Doch sie kann auch zu einer Chance für den Sport werden, indem sie neue Möglichkeiten schafft – durch Wearables, Smart Devices und Online-Communitys für Sportbegeisterte.
“Die Digitalisierung und der Sport schließen einander nicht grundsätzlich aus, sie können sich genauso gut komplementieren. So können digitale Features auch dazu beitragen, Sport interessanter zu machen, beispielsweise durch Tracking, Gamification oder durch die Schaffung von Communities”, sagte Trendforscher Tristan Horx, Sohn von Mathias Horx, in einem Interview mit ISPO.com. Die Digitalisierung sei so in der Lage, den Sport in die Lebenswelt der Menschen hineinzutragen. “Sportler können die Digitalisierung nutzen, um möglichst viele für Sport und Bewegung zu motivieren”, so Tristan Horx.
Nie ging es den Menschen körperlich besser als heute: Immer mehr erleben immer längere Lebenszeit bei immer besserer Gesundheit. Trotzdem nimmt das Thema an Bedeutung zu. Denn das Verständnis der Menschen, was Gesundheit bedeutet, ist dabei sich zu verändern. Inzwischen geht es um weit mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit wird als Synonym für ein gutes, zufriedenes Leben verstanden. Ein wichtiger Teil davon ist die Achtsamkeit, die bewusste Wahrnehmung und das Erleben des aktuellen Momentes. Sport spielt dabei eine wichtige Rolle. An Bedeutung zunehmen werden daher achtsame Sportarten wie Stand-up-Paddling oder Surfing.
Dabei steht zunehmend die Selbstoptimierung im Fokus: “Weil die Menschen sich immer weniger bewegen, ist ein gesunder, sportlicher Körper deshalb zu einem neuen Statussymbol geworden. Das Besondere daran: Man kann ihn sich nur erarbeiten, man kann ihn nicht erben”, so Tristan Horx gegenüber ISPO.com. Diese Selbstoptimierung versuchen die Menschen auf zwei Wegen zu erreichen: Zum einen durch optimierte Ernährung – gesundes, hochwertiges Essen und Nahrungsmittelergänzung nehmen an Bedeutung zu.
Zum anderen durch das Trainieren des eigenen Körpers. Dabei nehmen die Menschen zunehmen die Hilfe der Digitalisierung in Anspruch in Form von digitalem Self-Tracking, bei dem sie Schlaf, Bewegung und Ernährung mittels Apps, Schrittzähler oder Tracker-Armbändern auswerten.
Die sogenannte Neo-Ökologie wird von vielen als einer der wichtigsten Megatrends der 2020er gesehen. Zunehmend wird Umweltbewusstsein zum Mainstream. Der Megatrend verändert nicht nur die gesellschaftlichen Werte, unseren Alltag und die Politik, sondern stellt auch klassisches unternehmerisches Denken infrage. Noch mehr Bedeutung erhielt er durch die Corona-Krise, die uns daran erinnerte, dass der Mensch immer noch Teil der Natur ist.
Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit werden dabei zu einem zentralen Wirtschaftsfaktor. Die Wirtschaft ist gefordert, Nachhaltigkeit, Postwachstum und Gemeinwohl zu berücksichtigen, anstatt sich allein auf Wachstums- und Profitmaximierung zu fokussieren. Zunehmend befeuert auch die Politik diesen Trend. So hat die Europäische Kommission hat im März 2020 den neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft (CEAP) verabschiedet, der Übergang der EU zu einer Kreislaufwirtschaft einleiten soll.
Klar, sporttreibende Menschen verlangen von Anbietern des Sport-Business Nachhaltigkeit, Fair Trade und Zero Waste in ihre Geschäftsmodelle zu integrieren. Aber sie reflektieren auch ihr eigenes Verhalten zunehmend und fragen sich, welche Auswirkungen ihre Wahl bei Reisezielen und Sportprodukten auf ihren ökologischen Fußabdruck hat.
Eng miteinander verknüpft sind die Megatrends Mobilität und Urbanisierung. Ob berufliches Pendeln, Shopping oder Urlaubs- und Geschäftsreisen: Wir sind unterwegs zu mehr Orten als je zuvor. Die hohe Mobilität führt auch dazu, dass sich der Gegensatz von Stadt und Land auflöst: Einst für die Stadt typische Lebensmodelle wie Individualität und Pluralisierung erreichen das Land. Umgekehrt bilden sich auch in der Stadt dörfliche Strukturen, der Kiez wird zum Lebensmittelpunkt. Dabei spielt Sport eine wichtige Rolle: Sport-Einrichtung wie Basketballplätze, Laufstrecken, Half-Pipes oder Boulder-Hallen werden zu Treffpunkten, an denen sich die urbane Sport-Community trifft.
Die Mobilität wird dabei zunehmend durch das Verschmelzen von Arbeit und Freizeit definiert. Dabei beeinflussen die Megatrends Gesundheit und Neo-Ökologie die Mobilität: Von A nach B zu kommen, reicht künftig nicht mehr aus – entscheidend werden Nachhaltigkeit und Gesundheit. Arbeit und Freizeit, Sport und berufliches Pendeln verschmelzen, Urban Outdoor wird zur neuen Bürokleidung. Dabei wird die Mobilität der Zukunft immer stärker vom Fahrrad geprägt, was zum Bike-Boom führt: Breite Radwege mit E-Bikes, Bike-Sharing-Stationen und Lastenräder prägen zunehmend das Stadtbild. So wird dem Auto seine Bedeutung als Statusobjekt genommen: Künftig ist es im Mobilitätskonzept des einzelnen nur noch ein Bestandteil unter vielen.
All diese Megatrends und ihre Interaktionen untereinander werden die Art und Weise, wie wir Sport treiben und erleben, grundlegend verändern. Beim Sport gehe es in Zukunft nicht mehr darum, Rekorde zu brechen und Bestzeiten aufzustellen, „sondern darum, ein neues Lebensgefühl im Alltag zu verankern”, so Trendforscherin Oona Horx-Strathern, die Ehefrau von Matthias Horx und Mutter von Tristan Horx, auf der ISPO Munich 2020. Ihre Schlussfolgerung: “Das wird den Sport in den kommenden Jahren massiv verändern.“
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