Running/06.02.2019

Gina Lückenkemper: Mit Elektroschocks und Mittagsschlaf auf den Sprint-Olymp

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Supersprinterin Gina Lückenkemper verrät bei ihrem Besuch auf der ISPO Munich, wie sie mit Elektroschocks und Mittagsschlaf ihre derzeitigen Fabelzeiten noch verbessern will. Kritik hat sie hingegen für die Sportförderung in Deutschland übrig.

Gina Lückenkemper auf der ISPO Munich 2019. 

Die Zahl der Zuhörer beim einstündigen Auftritt der schnellsten Frau Deutschlands auf der ISPO Munich wuchs minütlich. Locker, authentisch und erfrischend offen verriet Gina Lückenkemper einige der Erfolgsgeheimnisse, die sie zur ersten deutschen Unter-Elf-Sekunden-Sprinterin seit über 25 Jahren gemacht haben.

Mit Silber bei der Heim-EM 2018 in Berlin über die 100 Meter wurde Lückenkemper zur neuen deutschen Leichtathletik-Heldin – aber das soll im Jahr der Weltmeisterschaft in Doha/Katar noch längst nicht das Ende ihres raketenartigen Aufstiegs sein.

Lückenkemper: „Habe noch Potenzial nach oben“

„Eine Zeit von 10,95 Sekunden hört sich schon ziemlich geil an – damit könnte ich bei den Westdeutschen Meisterschaften sogar bei den Männern starten“, erzählte Lückenkemper mit einem Grinsen und fügte hinzu: „Aber ich bin erst 22 Jahre alt und habe noch Potenzial nach oben. Bisher habe ich vor allem vernünftig laufen gelernt.“

Diese Bemerkung der Supersprinterin sorgte wie viele andere für Lacher im Publikum. Lückenkemper meinte damit die Konzentration auf das Lauftechnik-Training, das jetzt durch zweimal wöchentliches Krafttraining ergänzt wird: „Das haben wir bewusst so gemacht, um nicht zu früh alles auszureizen und mich zu überfordern.“

Mittagsschlaf und ein Fußball-WM-Trainer

Das tägliche Training strengt Lückenkemper trotzdem so an, dass sie eine ganz spezielle Art der Regeneration braucht: „Der Mittagsschlaf ist essenziell wichtig für mich. Mein Kopf braucht es.“ Und weil wir gerade beim Kopf sind: Eine weitere Basis ihres Erfolgs ist tägliches Neuroathletik-Training.

Dabei arbeitet Lückenkemper nach den Methoden des Buches „Training beginnt im Gehirn“ von Lars Lienhard. Der Sportwissenschaftler half schon dem deutschen Fußball-Nationalteam auf dem Weg zum WM-Titel 2014 in Brasilien und begleitet auch die Sprinterin schon seit 2016.

Neuroathletik-Training: Dehnübungen für Körper und Kopf

„Damals hatte ich über vier Wochen Schmerzen im Beuger und unser tolles Ärzteteam hat sie einfach nicht wegbekommen. Dann bin ich zu Lars und war nach einer halben Stunde beschwerdefrei. Ich hatte dann bei Olympia in Rio keine Probleme“, berichtete Lückenkemper.

Mit Hokuspokus oder Wundermedizin hat Neuroathletik-Training dabei überhaupt nichts zu tun. Es geht vielmehr darum, mit speziellen Dehnübungen die Hauptnervenstränge zum Gehirn intakt zu halten: „Die muss man sich so wie ein Gartenschlauch vorstellen. Ist ein Knick drin, sagt der Kopf, dass es weh tut.“ Lückenkemper ist übrigens seit Beginn des Neuroathletik-Trainings verletzungsfrei geblieben.

Lückenkemper: Mit Elektroschock erhöht sie Lernfähigkeit

Einige der einfachen und auch im Sitzen möglichen Übungen für verschiedene Körperregionen präsentierte die Sprinterin im Health & Fitness-Bereich in der Halle A6 dann mit einem Model. Lückenkemper selbst arbeitet mit Lienhard inzwischen zusätzlich noch im Bereich des visuellen Trainings: „Das visuelle System ist extrem wichtig im Sport. Wenn es im Gehirn nicht passt, kannst du nicht performen.“

Die Wirtschafts-Studentin an der Uni Bochum hat deshalb übrigens beim Training immer eine 9-Volt-Blockbatterie dabei. Damit schockt sie ihre Zunge: „Damit werden Lernprozesse im Gehirn aktiviert.“ Klingt verrückt, scheint aber zu wirken.

Kritik an Sportförderung in Deutschland

Am besten ablenken kann sich die schnellste Frau Deutschlands übrigens mit ihrem „Therapiepferd“ Picasso. Dann sind alle Ärgernisse sofort vergessen. Zum Beispiel der Frust über die Sportförderung in Deutschland, den Lückenkemper schon ganz offen im Exklusivinterview mit ISPO.com geäußert hatte.

„Richtung Olympia sagen immer alle: Wir wollen mehr Medaillen. Aber dass man dafür was investieren muss, verstehen viele nicht.“ Beim Training sei sie früher teilweise in Hallen mit defekten Dächern unterwegs gewesen: „Das war wie in der Tropfsteinhöhle. Da musste man immer die ganzen Eimerchen wegräumen, bevor man laufen konnte.“

Lückenkemper bei Sponsoren wählerisch

Inzwischen passen die Trainingsbedingungen bei ihr aber. Trotzdem wechselte Lückenkemper von Leverkusen nach Berlin, damit sie weiter in den Schuhen ihres Sponsors Adidas laufen kann. Lückenkemper kann inzwischen als wohl einzige deutsche Leichtathletin richtig gut von ihrem Sport leben.

Auch deshalb ist sie bei ihrer Sponsoren und Partner wählerisch: "Ich möchte keine Influencerin sein, sondern Sportlerin. Rabattcodes Gina 20 gibt es bei mir nicht. Das finde ich nicht authentisch."

Das hat neben ihren ultraschnellen Zeiten ganz sicher auch etwas mit ihrem Kommunikationstalent zu tun hat: „Ich rede gern. Das mache ich neben Sprinten am liebsten.“ Die Zuhörer auf der ISPO Munich hat sie damit jedenfalls restlos begeistert.