Wassersport/27.07.2016

Surfer Sebastian Steudtner: „Ich war der Harakiri-Typ aus der Todeszone“

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Mehr Extremsport als Big-Wave-Surfen geht kaum: Sebastian Steudtner ist der einzige Deutsche, der schon zweimal den prestigeträchtigen Big Wave Award gewinnen konnte. Inzwischen kann der 31-Jährige auch von seiner Leidenschaft leben.

Geht im Bild fast unter: Sebastian Steudtner surft eine Mega-Welle.
Geht im Bild fast unter: Sebastian Steudtner surft eine Mega-Welle.

Nach einer Schulterverletzung im Winter 2015 stand seine vergangene Saison im Zeichen der Regeneration. Jetzt möchte Sebastian Steudtner wieder voll angreifen und an seine beiden Siege bei den WSL Big Wave Awards anknüpfen. Im Interview mit ISPO.com spricht er über Gefahren und Risiken seiner Sportart, über die Schwierigkeit, als Extremsportler Sponsoren zu finden – und über sein Engagement für soziale Projekte.

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ISPO.com Die Saison fürs Big-Wave-Surfen in Ihrer Wahlheimat Portugal beginnt erst im Herbst. Was steht aktuell bei Ihnen an?
Sebastian Steudtner: Ich bereite meine neue Saison vor, trainiere in Indonesien und kümmere mich um ein soziales Projekt für benachteiligte Kinder. Das nimmt einige Zeit in Anspruch.

 

 

Um welches Projekt handelt es sich?
Das Projekt heißt „Wir machen Welle“ und wird von der Laureus Sports for Good Foundation finanziert, für die ich als Botschafter tätig bin. Förderschüler der Martin-Luther-King-Schule aus Traben-Trarbach arbeiten ein Jahr lang darauf hin, an einem Surfcamp in Portugal teilzunehmen. Dort möchten wir ihnen durch das Surfen die Werte vermitteln, die für ein selbstbestimmtes Leben wichtig sind. Es geht um Selbstvertrauen, Anerkennung und Respekt.

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„Big-Wave-Surfen ist Leistungssport“

Wie kann eine Sportart wie das Wellenreiten sozial und emotional instabilen Kindern helfen?
Durch das Surfen kann man den Kindern vermitteln, auf ein Ziel hinzuarbeiten. In dem Fall ist es die erste selbst gesurfte Welle. Kinder, die sich auf dieses konkrete Ziel fokussieren, legen ihre Ängste und Widerstände ab und sind extrem motiviert. Da das Ganze in der freien Natur stattfindet, macht es den Kindern doppelt Spaß. Das Lernen in der Gruppe und die gemeinsamen Erfolgserlebnisse schweißen die Kids zusammen. Für Kinder, die mit Misshandlungen, schweren Familienverhältnissen oder ADHS zu kämpfen haben, ist dies eine enorme Leistung.

Extremsportler wie Sie, die eine exotische Sportart betreiben, haben es nicht leicht, Sponsoren zu finden. Wie kam die Kooperation mit Mercedes-Benz zustande?
Das war für mich ein langer Weg. Im Sponsoring ist das Thema Glaubwürdigkeit enorm wichtig. Sponsoren wollen mit Menschen arbeiten, die authentisch sind und für die Werte der Marke stehen. Ich bin ein absoluter Exot und zwar in zweifacher Hinsicht: In Deutschland als Surfer und als Deutscher im Big-Wave-Surfen. Deshalb war es für mich über die Jahre so schwer, diese Glaubwürdigkeit herzustellen. Die Medien haben mich anfangs als den „Harakiri-Typen“ beschrieben, der in der Todeszone surft.

 

Ein lässiger Typ: Sebastian Steudtner kennt auf dem Surfbrett keine Furcht.
Ein lässiger Typ: Sebastian Steudtner kennt auf dem Surfbrett keine Furcht.

Das ist natürlich für jede seriöse Marke der falsche Claim.
Genau, aber ich habe es über die Jahre geschafft, glaubwürdig zu kommunizieren, dass ich keineswegs ein Kamikaze-Typ bin, sondern das Big-Wave-Surfen als Leistungssport betreibe, professionell trainiere und alle Risiken minimiere. Sicher waren auch meine beiden Titel bei den Big Wave Awards 2010 und 2015 wichtig, um diese Anerkennung zu bekommen, das Wellenreiten akzeptabler zu machen und mich als authentischen Sportler zu positionieren.

Und dieses Sponsoring ermöglicht Ihnen nun erstmalig, das Big-Wave-Surfen als Fulltime-Job auszuüben?
Ja, aber für das Surfen lebe ich schon, seit ich mit 16 Jahren nach Hawaii ausgewandert bin. Um mir das leisten zu können, habe ich auf dem Bau gearbeitet. Später konnte ich mit Filmproduktionen und Vorträgen meinen Lebensunterhalt verdienen. Und heute habe ich durch die Verträge ganz klar definierte Leistungen, die ich als Markenbotschafter bei Mercedes Benz erfüllen muss. Für mich war Surfen nie ein Beruf, sondern mein Leben. Kooperationen wie die mit Mercedes-Benz machen es mir jetzt einfacher, mich voll auf das Big-Wave-Surfen zu fokussieren.

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„Nur eine Handvoll Surfer sind ertrunken“

Wenn eine große Welle bricht, sind 500.000 Tonnen Wasser in Bewegung. Wie kalkulierbar ist das Risiko beim Big-Wave-Surfen?
Das ist eine gute Frage. Meine Erfahrung sagt mir, dass das Risiko sehr wohl kalkulierbar ist, denn mir ist ja noch nichts Schlimmes passiert. Ganz rational betrachtet können zwei Dinge passieren: Entweder man verletzt sich bei einem Sturz an der Wirbelsäule oder man bekommt Wasser in die Lunge. Mit Carlos Burle kenne ich nur einen Surfer, der sich das Rückgrat gebrochen hat, und in den letzten zehn Jahren sind höchstens eine Handvoll Big-Wave-Surfer ertrunken. Setzt man dies in Relation zu den vielen Surfern passiert wenig.

Sie erwähnten zuvor, dass Sie die Unfallrisiken so gut es geht minimieren. Durch welche Maßnahmen geschieht das?
Mit Dr. Haber habe ich beim Big-Wave-Surfen immer einen Oberstabsarzt der Marine vor Ort, der mir innerhalb von fünf Minuten meine Lunge auspumpen und eine spezielle Sauerstoffmischung zuführen kann. Ein mobiles Beatmungsgerät unterstützt dann die Wiederbelebung. Ist die Wirbelsäule verletzt, hat er einen Stretcher, der mich zum Abtransport stabilisiert und Schäden am Rückenmark verhindert. So bleibt das Risiko für mich ziemlich kalkulierbar. Beim Autofahren hatte ich durch Fremdverschulden schon viel bedrohlichere Erlebnisse als beim Surfen in großen Wellen. Big-Wave-Surfen ist zudem auch keine Extremsportart, bei der viele tödliche Unfälle passieren. Die Gefahr ist beim Basejumpen, Wingsuitfliegen oder Extrembergsteigen sicher größer.

 

 

Was hat es mit dem Konzept des Rettungs-Jetskis für Big-Wave-Surfer auf sich, an dem Sie arbeiten?
Hier geht es darum, einen Jetski zu einer mobilen Rettungsstation auszubauen, auf der man im Notfall den verunglückten Surfer sofort erstversorgen und sicher abtransportieren kann. Ein erster Prototyp ist schon fast fertig. Da ich das Projekt aber unmöglich alleine umsetzen kann, bin ich nun auf der Suche nach Personen oder Firmen, die mich dabei unterstützen. Vielleicht wäre das fertige Produkt ja dann sogar etwas für ISPO Brandnew?

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Ich habe mir für die nächsten beiden Jahre vorgenommen, die besten und die größten Wellen in Nazaré zu surfen. Um das möglich zu machen, möchte ich dort eine Basis etablieren, die uns Big-Wave-Surfern auch vor Ort optimale Trainingsbedingungen bietet. Zudem werde ich mich auf beide Varianten des Big-Wave-Surfens konzentrieren: Paddle-Surfen und Tow-in-Surfen.

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Das ist Sebastian Steudtner

Alter: 31

Geboren in: Esslingen am Neckar

Größte Erfolge: WSL Big Wave Awards-Gewinner – „Biggest Wave“ 2010 und 2015

Homepage von Sebastian Steudtner

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Surfen auf 140 Zeichen: Steudtners Twitter-Account

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Andi Spies Autor: Andi Spies