INTERVIEW | 26.07.2022

“In den Tagen nach einem Rennen bin ich schon wirklich sehr blöd. Und habe einen immensen Hunger”

Extrem-Läufer Hannes Namberger
Autor:
Thomas Becker

Hoch den Lift, den Berg hinab. Jahrelang wollte Hannes Namberger nur eines: Skifahren, Doch mit 22 Jahren war mit der Ski-Karriere Schluss. Heute gilt er als Deutschlands schnellster Trailrunner  – und läuft die Berge nun hinauf. Ein Perspektivwechsel, der auch seinen Blick auf die Natur und einen nachhaltigen Outdoorsport verändert hat. Wie? Das verrät er im ISPO.com Interview.

Hannes Namberger ist Deutschlands schnellster Trailrunner. Der 33-Jährige aus Ruhpolding war 2009 deutscher Jugend-Vize-Meister im Slalom, fuhr jahrelang Fis-Rennen, beendete seine Ski-Karriere mit 22 und begann vier Jahre später mit Trailrunning. Heute zählt der Dynafit-Athlet zur Weltelite, hat trotz Corona-Infektion im Mai unlängst den Lavaredo Ultra Trail in Rekordzeit gewonnen, Freundin Ida geheiratet und freut sich nun auf den 27. August, wenn in Chamonix wieder der UltraTrail du MontBlanc ansteht, eins der härtesten Ausdauerrennen weltweit.

ISPO.com: Herr Namberger, wie wird man vom Slalom- und Riesenslalom-Spezialisten zu Deutschlands bestem Trailrunner? Das sind ja doch zwei ganz verschiedene Paar Schuhe...

Hannes Namberger: Bis 2011 bin ich aktiv Ski gefahren. Danach habe ich vier Jahre für mich gehabt, in denen ich viel gereist bin und viel Zeit in den Bergen hatte, ohne speziellen Hintergrund, einfach so. 2015 habe ich mit dem ersten Lauf angefangen, und der erste Wettkampf hat mir so gut gefallen, dass ich mir dachte: ‚Das probiere ich nächstes Jahr wieder!‘ So habe ich mich über die Jahre in diesem Sport gesteigert, immer mehr gemacht und langsam heran getastet.

Was für ein Wettkampf war das zu Beginn?

Der Karwendelmarsch, von Scharnitz nach Pertisau am Achensee.

Wie weit ist das?

Viel zu weit! 52 Kilometer, 2300 Höhenmeter. Danach hat mir so viel weh getan! Wir sind danach in Urlaub gefahren, aber ich habe mich nicht mehr gescheit bewegen können. So sollte man eigentlich nicht anfangen, sondern sich langsam in der Distanz steigern. Aber darauf habe ich damals nicht geachtet, war total blauäugig, hatte keine Ahnung von irgendwas. Als Skifahrer bist du komplett anders orientiert – und dann versuchst du so was! Ich bin davor ja nicht mal einen Marathon gelaufen, gar nix.

Aber wie kamen Sie auf gerade diesen Wettkampf?

Ich hatte mich sogar für „4 Trails“ angemeldet, weil das damals durch meinen Wohnort Ruhpolding führte. Das wären vier Tage durch die Chiemgauer Berge gewesen, bis Saalfelden. Davor haben mir aber schon so die Knie weh getan, dass ich mir dachte: ‚Bist vernünftig, läufst halt nur den Karwendelmarsch.‘ 

Haben Sie gefinished?

Gut gefinished, bin gleich Fünfter geworden, einen Platz vor Benni Böhm, dem Dynafit-Chef, im Zielsprint. Ich hatte davor noch sein Buch gelesen, kannte ihn aus den Medien – und plötzlich läuft der neben mir! Ich dachte: „Scheiße, geil!“ Das war so ein Unterschied zu Ski alpin! Gute Community, den Körper so zu beanspruchen taugt mir, einfach testen, wie weit es geht.

Wo und wie waren Sie in den vier Jahren Auszeit unterwegs?

Ich habe noch die Ausbildung zum Staatlichen Skilehrer gemacht, war viel in Frankreich beim Skilehrern, viel im Backcountry zum Powdern, in Japan, in Chamonix. Im Sommer bin ich mit dem Rucksack rumgereist, alleine, zu zweit, mit Freunden, mit Freundin, habe alles nachgeholt, was ich als Skirennläufer verpasst hat. Ich habe einfach eine gute Zeit gehabt.

Viel Zeit, um auch ein anderes Verhältnis zur Natur zu entwickeln, oder?

Als Skifahrer hast du einen sehr eingeschränkten Fokus auf alles: skifahren, trainieren, essen, schlafen. Davor war ich eigentlich nie laufen. Es ging auch gar nicht, weil der Körper nicht unbedingt dafür gebaut ist. Wir waren oft in Zermatt zum Training, da ist das Matterhorn, aber das habe ich weder wahrgenommen noch zu schätzen gewusst – ich war ja zum Skifahren da. Wenn ich heute dort bin, sauge ich das viel mehr auf, weil einem das alles viel bewusster wird. Vielleicht auch durchs Alter, aber auch durch die Erfahrungen. Ich sehe die Berge jetzt anders, weil ich nicht mehr mit dem Lift fahre, sondern zu Fuß hoch laufe. Ich hab‘ noch ein Foto als Skifahrer vor dem Matterhorn, aber ich wusste nicht mal, wie hoch und wie besonders dieser bekannteste Berg der Welt ist. 

Heißt: Outdoor ist nun ein ganz anderes, nachhaltigeres Outdoor für Sie?

Richtig. Das sind zwei verschiedene Welten, und diese beiden Sportarten in einem Leben so intensiv zu erleben, ist cool. 

Von der Schnellkraft zur Ausdauer: Wie hat diese Umstellung allein muskulär funktioniert? 

Das hat schon viele Jahre gebraucht, ging nur durch die Kontinuität im Training. Der Körper gewöhnt sich ja an alles. Der schafft es auch von Alkohol und Nikotin zum Ausdauersport. Der Körper kann alles, wenn du nur fleißig trainierst.

Und den Kopf dazu hast. 

Der ist entscheidend bei den langen Distanzen. Kurze Strecken kann man schon mal durchprügeln, aber bei den langen Strecken ist der Kopf das wichtigste Werkzeug.

Ihr bislang längster Wettkampf?

171 Kilometer, 10.000 Höhenmeter.

Wie lang waren Sie unterwegs?

22 Stunden und 22 Minuten. Der Ultra Trail du MontBlanc in Chamonix, das größte und bekannteste Rennen der Welt. Das steht immer im Kalender. 

Wie der Ironman auf Hawaii bei den Triathleten.

Genau, nur dass wir mehr Zuschauer haben. So viele Leute habe ich noch nie in einem Ort gesehen, fast 50.000 auf der Strecke. Das ist echt krass da. In der Nacht ist man dann schon viel allein. Aber wenn wir dann aus der Nacht kommen, sind die Leute wieder da. Das kann man schlecht erzählen, das muss man mal gesehen haben. Die Leute feiern diesen Sport schon anders als bei uns, für die ist das, wie bei uns der Fußball. 

Sie sind gleich mal Sechster geworden – irres Resultat für einen Novizen! 

Sechster war okay, aber ich habe auch schon andere Rennen gewonnen, bei denen fast genauso gute Läufer am Start waren. 

22 Stunden maximale Belastung – wie übersteht man das?

Nach dem Start ist da das pure Adrenalin. Die Leute schreien einen so an, dass man nichts mehr hört und spürt – und das ist gefährlich, speziell am Anfang, weil man zu schnell losläuft. Dafür ist das Rennen einfach viel zu lange, um das auf Dauer machen zu können. Wenn man in den Orten durch die Gassen läuft, ist es wie bei einem Volksfest: Da wird gesoffen und Party gemacht, da muss man vorsichtig sein. Aber nachts ist man dann acht Stunden mit sich alleine, läuft sein eigenes Rennen. Es kann extrem viel passieren, du musst jeden Fehler vermeiden, darfst keine Blasen kriegen, dich nicht zu kalt anziehen, musst genug essen und trinken, darfst keinen Sturz haben, mit der Stirnlampe darf nichts sein.

Haben Sie so etwas wie einen Matchplan?

Für jedes Rennen gibt es verschiedene Taktiken. Der Ultra Trail du MontBlanc ist einfach furchtbar lang. Nach 14 Stunden bist du bei Kilometer 100 und weißt: Es ist noch verdammt weit, mit drei großen Bergen. Dann wirst du müde, deinem Magen geht es nicht unbedingt gut, dann zwickt was, dann tut der große Zeh weh, dann der kleine, die Hüfte, das Knie, der Rücken, die Schultern – das wechselt so durch, irgendwas ist immer. In einem Moment geht‘s dir gut, eine halbe Stunde später schlecht – man hangelt sich an den Emotionen und Gefühlen entlang. Da muss man im Kopf stark sein, um es trotzdem irgendwie zu Ende zu bringen.

Wie geht es einem danach? Totale Leere?

Du bist mental leer – und körperlich sowieso im Eimer. Du musst schauen, dass du die ganzen Emotionen noch aufnehmen kannst. Mir ist es oft so schlecht gegangen, dass ich mich sofort niedergelegt habe und einfach eineinhalb Stunden gebraucht habe. Die Tage danach sind eigentlich sehr witzig, weil du die alltäglichen Dinge nicht mehr auf die Reihe bekommst. 

Zum Beispiel?

Abwasch, SMS schreiben. Du kannst dir nichts merken, kannst die Spülmaschine nicht von der Kaffeemaschine unterscheiden oder wirfst den Müll in die Spüle. In den vier, fünf Tagen nach einem Rennen bin ich schon wirklich sehr blöd. Und du hast immensen Hunger. Aber das ist geil!

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Thomas Becker
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