Nachhaltigkeit/23.06.2023

Repair or not Repair? Das ist keine Frage (mehr)

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Reparaturen von Bekleidung, Schuhen und Zubehör ist kein revolutionär neues Angebot im Sport- und Outdoorsektor. Doch je mehr Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft in den Fokus rücken, desto mehr Brands und Retailer bieten Repairservices an – und machen Kund*innen damit sehr glücklich. 

Bei Rab und Lowe werden Kleidungsstücke repariert
Bildcredit:
Julian Rohn

Uralte Sweatshirts, Trailrunning-Shorts, Schuhe, Reisetaschen, Rucksäcke … Die Liste an Produkten, die Besucher*innen auf der OutDoor by ISPO im Worn Wear Tiny House von Patagonia vorbeibringen, ist fast länger als die Ausstellerliste der Messe. „Wir haben hier einige Menschen glücklich gemacht“, sagt Mick Austermühle. Patagonia zieht mit seinen Worn Wear Reparaturen seit 2013 durch ganz Europa und besucht Messen, Events und Festivals. „Viele bringen uns ihr Lieblingsteil vorbei, an dem wertvolle Erinnerungen hängen.“

Damit beschreibt der Patagonia Country Manager Germany & Austria den wohl größten Vorteil von Repairservices für Brands: Kundenbindung. Denn kaum etwas ist so mit positiven Emotionen aufgeladen, wie ein Item, das die Trägerin oder den Träger durch unzählige Abenteuer begleitet hat. Eine Brand, die diesem materiellen Stück Erinnerung das Leben rettet, gräbt sich tief ins Herz der Besitzer*innen. 

Kein Wunder, dass dies auch in der Werbung immer wieder aufgegriffen wird. So schreibt Fjällräven zum Beispiel über die Geschichte eines 43 Jahre alten Rucksacks, Deuter widmete den Lieblingsteilen unter #deuterforever sogar schon eine ganze Kampagne. Hintergrund: 2020 hat Deuter alleine in Deutschland 2.185 Reparaturen vorgenommen.

Auch Mammut hat Zahlen zu seinem Repairservice veröffentlicht, den die Schweizer Marke schon seit 1992 anbietet. Weltweit repariert Mammut ungefähr 16.000 Produkte jährlich. Einerseits in den zwei Reparaturateliers in Deutschland und der Schweiz, andererseits durch ein etabliertes Netzwerk lokaler Reparaturateliers und Drittanbieter. Das Auswechseln von Reißverschlüssen ist dabei die häufigste Ausbesserung. „Vergleicht man die Umweltauswirkungen der Reparatur von Artikeln mit dem Kauf neuer Produkte, so sparen unsere Werkstätten jährlich fast 375.000 kg CO2 und 3.000.000 Liter Wasser ein“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht von Mammut.

Wegwerfkultur wandelt sich 

Reparieren liegt seit längerem im Trend: 2009 organisierte Martine Postma in Amsterdam das allererste Repair Café. Inzwischen gibt es knapp 2.800 Ableger in der ganzen Welt, in denen Menschen zusammenkommen und Dinge wieder instand setzen, die meist keinen nennenswerten Materialwert mehr haben. Wachsendes Umweltbewusstsein und steigende Sensibilität im Umgang mit Ressourcen unterstützten diese Entwicklung. Das beweisen auch die inzwischen rund 96.000 Reparaturanleitungen, die auf der Plattform ifixit.com stehen – von der defekten Mikrowelle bis zur eingerissenen Daunenjacke ist alles dabei. Auch einige Sportmarken, wie zum Beispiel VAUDE, stellen dort Tutorials zur Verfügung.

Fast alle Marken machen mit

Bei mancher Reparatur, besonders bei Schuhen und Textilien, kommen Konsument*innen jedoch schnell an ihre Grenzen. Entweder sind Spezialwerkzeug oder -material erforderlich oder es fehlt schlicht die Erfahrung. Deshalb bieten immer mehr Unternehmen zu unterschiedlichen Bedingungen auch nach der Garantie Reparaturen an. Laut einer aktuellen Studie der European Outdoor Group, die auf der OutDoor by ISPO 2023 vorgestellt wurde, haben beinahe alle der 69 befragten Brands Repairservices schon im Programm (76 %) oder planen, diese anzubieten (19 %). Die wenigen Marken, die sich negativ gegenüber Reparaturen zeigten, begründeten dies meist mit den Kosten oder der komplizierten Logistik.

  1. Kundenbindung: Kund*innen, die ihre Kleidungsstücke reparieren lassen, haben eine emotionale Bindung zu den Produkten und kaufen eher erneut bei dem Unternehmen ein.
  2. Nachhaltigkeit: Reparaturservices verlängern die Lebensdauer von Produkten. Das reduziert den Ressourcenverbrauch und die Umweltauswirkungen.
  3. Differenzierung: In der wettbewerbsintensiven Sportbranche kann das Angebot bzw. das Verweigern von Reparaturservices ein Wettbewerbsvorteil bzw. -nachteil sein. 
  4. Zusätzliche Einnahmequelle: Wenn ein Unternehmen den Service gut bewirbt und einen guten Ruf aufbaut, können Reparaturleistungen zusätzliche Einnahmen generieren.
  5. Image und Reputation: Ein Unternehmen, das Reparaturservices anbietet, wird als qualitäts- und verantwortungsbewusst sowie kundenorientiert wahrgenommen.
Rund um den Globus werden Sachen repariert
Bildcredit:
Patagonia

Auch der Handel nutzt Reparaturangebote, um Kundschaft an sich zu binden und den Umsatz zu fördern – und das gilt sogar für reine Online-Händler. Laut eCommerce-Report von creativestyle bieten fast 50 Prozent der größten deutschen Onlineshops der Sport- und Outdoorbranche diesen Service bereits an.

Und das lohnt sich, wie der „Konsummonitor Nachhaltigkeit: Reduce, Reuse, Recycle, Repair“ zeigt. Nach der Studie, die das IFH Köln im Auftrag des Handelsverbandes HDE erstellt hat, ist das Ausgabevolumen für Reparaturleistungen von Nonfood-Produkten in Deutschland von 3,3 Mrd. EUR in 2019 auf 3,7 Mrd. EUR in 2022 (Hochrechnung) gestiegen. Das entspricht einer durchschnittlichen, jährlichen Wachstumsrate von 3,0 %. Besonders stark entwickelten sich die Reparaturleistungen von Fahrrädern.

  1. Kundenbindung: Kund*innen, die ihre defekten Produkte reparieren lassen können, fühlen sich wertgeschätzt und gut betreut. Dies führt zu einer stärkeren Kundenbindung und einem positiven Image des Einzelhändlers.
  2. Umsatzsteigerung: Bezahlte Reparaturdienstleistungen führen direkt zu mehr Umsatz. Darüber hinaus können sie beeinflussen, dass Kund*innen bewusst diesen Einzelhändler wählen, da sie die Bequemlichkeit und Zuverlässigkeit eines Reparaturservices schätzen.
  3. Differenzierung: In der wettbewerbsintensiven Sportbranche kann das Angebot bzw. das Verweigern von Reparaturservices ein Wettbewerbsvorteil bzw. -nachteil sein.
  4. Kundenverkehr und Cross-Selling: Kund*innen, die ihre Produkte zur Reparatur bringen, müssen das Geschäft betreten bzw. den Onlineshop aufrufen und können währenddessen weitere Einkäufe tätigen. Das bietet dem Einzelhändler Cross-Selling-Optionen.
  5. Image und Reputation: Einzelhändler, die Reparaturservices anbieten, werden als qualitäts- und verantwortungsbewusst sowie kundenorientiert wahrgenommen.
Das Lager bei Jack Wolfskin
Bildcredit:
Jack Wolfskin

Noch sind die Stückzahlen der Reparaturen überschaubar und für Brands relativ gut handelbar. Doch mit mehr Akzeptanz wird sich dies ändern und eine Professionalisierung der Prozesse erforderlich. Equip Outdoor mit den Marken Rab und Lowe Alpine hat deshalb bereits vier Service-Center in Kanada, den USA, Großbritannien und in den Niederlanden eröffnet. Dort bietet das Unternehmen auch einen „Second Stich“ an, bei dem für die Reparatur ausschließlich recycelte Stoffe und Verschnittmaterialien zum Einsatz kommen. Das spart noch mehr Ressourcen und die teils kontrastierenden Stoffe und Besätze machen die Lieblingsstücke endgültig zu absoluten Unikaten.

Auch Patagonia repariert nicht nur Klamotten auf der OutDoor by ISPO, sondern seit 2022 gemeinsam mit anderen Textilunternehmen im United Repair Center (URC) in Amsterdam – ein Projekt, das insbesondere sozial benachteiligte Menschen in Arbeit bringt. Willem Swager, Director of Finance & Operations EMEA bei Patagonia, sagt: „Die Textilbranche benötigt einen strukturellen Wandel. Deshalb rufen wir dazu auf, die Wiederverwendung und das längere Tragen von Kleidung durch Reparatur und Recycling zu fördern. Es muss für mehr Marken zur Normalität werden, dies als Dienstleistung anzubieten und als Teil ihres normalen Geschäfts zu betrachten.“ Oder, wie es auf der Homepage des URC heißt: „Repair ist das neue Cool!“