Vom Fahrrad bis zum Flugtaxi, vom autonomen Auto bis zur Seilbahn – Anfang des nächsten Jahrzehnts stehen uns intelligente und vernetzte Transportmittel zur Verfügung, die heute teilweise noch kaum vorstellbar sind. Vielleicht behält ja Henry Ford recht, der Erfinder der Autoproduktion am Fließband, der schon 1940 prophezeite: „Denkt an meine Worte. Es wird eine Kombination aus Flugzeug und Auto geben. Heute lacht ihr vielleicht noch darüber. Aber so etwas wird kommen.“ Wenn das Digitalministerin und Flugtaxi-Fan Dorothee Bär hört. Und der US-Informatiker Alan Kay meint ganz pragmatisch: „Die beste Art, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu erfinden.“ Wir stellen sechs spannende und aufregende Möglichkeiten vor, 2030 mobil zu sein.
Tele-Chirurgin Nele Magnussen schaut am Morgen des 3. Juli 2030 verschlafen, aber zufrieden auf die neuesten Informationen ihres persönlichen Apple-Assistenten und iPhone-Nachfolgers iAm auf ihrem Badezimmerspiegel: Kein Regen in Sicht. Sie wird die elf Kilometer bis ins Krankenhaus mit dem E-Bike fahren. Wobei: Gut die Hälfte ihres Arbeitsweges, die Fahrradautobahn „E3 Way“, ist ohnehin überdacht. Ihr Fahrrad „H-Move“ hat Nele erst gestern mit Wasserstoff betankt. Der Strom aus der Brennstoffzelle reicht nun wieder für 150 Kilometer. Als die 31-Jährige die erste Kreuzung erreicht, zeigt ihr ein grünes Licht auf dem Display am Lenker an, dass sie der Autofahrer gesehen hat, der rechts abbiegt. Seit Autos und Fahrräder vernetzt sind, ist die Zahl der tödlichen Fahrradunfälle in Kopenhagen fast auf null gesunken. Nach vier Kilometern fährt Nele auf den von BMW erdachten „E3 Way“, der über den Straßen der Stadt verläuft. Ihr Tempo ist hier automatisch auf 25 km/h begrenzt. Der Sommermorgen ist bereits 24 Grad warm. Doch die Ärztin genießt die frische Luft, für die Regenwasserkühlung sorgt. Eine Umfrage hat ergeben: Nutzer der Fahrradautobahn kommen mit 35 Prozent besserer Laune am Arbeitsplatz an als der dänische Durchschnitt.
Patricia Depailler ist Data Steward bei einem Batteriehersteller. Im Emirat am Golf besitzen jetzt nur mehr sieben Prozent der Einwohner ein eigenes Auto. Welches der vielen Mobilitätsangebote am besten passt, um ein Ziel zu erreichen – wahlweise besonders schnell oder besonders günstig – schlägt jeden Tag eine App vor. Der Mobility Manager kombiniert Wetter, Verkehrssituation, aktuelle Tarife und Vorlieben seines Nutzers zu optimalen Lösungen. Der Mobility Manager der Französin hat den Volocopter ausgesucht – den elektrischen Kleinhubschrauber aus Bruchsal in Baden-Württemberg. Mit dem Taxi-Pod, einem Vehikel von der Größe eines Smart, den ihr iAm für sie bestellt hat, erreicht Patricia Depailler einen der Volo-Hubs, der nur knapp zwei Kilometer von ihrem Appartement entfernt liegt. Hier landen im Minutentakt Volocopter. Sie werden abgefertigt, mit einem neuen Akku bestückt, und fliegen weiter. Sieben Minuten später landet sie auf einem Volo-Port, einer Art Hubschrauber-Landeplatz, von denen es in Dubai mittlerweile Hunderte gibt. Von hier aus sind es nur 200 Meter zum Rechenzentrum ihres Unternehmens. Und das, mon dieu, pro Flug zu einem Preis, für den es in Paris nicht einmal ein Taxi aus der Stadt raus zum Flughafen Charles de Gaulle gibt.
Waste Designer Magnus Peterson hat es nicht eilig an diesem Morgen. Er entwirft in seinem Studio hochwertige Produkte, die aus Abfällen bestehen. Wie meistens im Sommer entscheidet sich der 42-Jährige für das günstigste, gesündeste und umweltfreundlichste Verkehrsmittel, das seit gut fünf Jahren einen ungeheuren Aufschwung erlebt. Er geht zu Fuß. Im Vergleich zu längst vergangenen Zeiten, etwa zum Jahr 2021, haben sich die Menschen weltweit die Städte zurückerobert. Laut Statistik ist die durchschnittliche Lebenserwartung in Oslo seit 2020 um 1,4 Jahre gestiegen. Für Magnus Peterson ist der Fußweg das reinste Vergnügen – dank eines völlig neuen Verkehrssystems. Feste Ampeln gibt es kaum mehr. Stattdessen kommen smarte Kreuzungen zum Einsatz. Als Magnus auf die andere Seite will, tritt er auf einen Kontakt auf dem Gehweg. Auf der Straße leuchtet dann eine LED-Fläche mit Stoppzeichen für die Autofahrer und mit einem virtuellen Zebrastreifen auf. Die autonomen Autos, die sich nähern, halten automatisch an. Ältere Modelle zeigen zumindest einen Warnhinweis im Cockpit an. Das System der englischen Firma Umbrellium arbeitet ungeheuer flexibel. Wenn mehr Menschen über die Straße wollen (oder wenn es regnet), wird der Zebrastreifen breiter. Magnus Peterson erzeugt durch seine Bewegungsenergie per „Energy Flooring“ auch noch Strom fürs öffentliche Netz. Gleichzeitig steigt sein „Walk Score“ in Oslos Fußgängerprogramm. Wer Geh-Ziele erreicht, erhält Steuererleichterungen – und jedes Jahr einen Gutschein für ein Paar neue Sneaker.
Carl Reutemann, Robot Consultant aus Berlin, steht früh auf an diesem Morgen. Er berät Kunden bei der Auswahl von Robotern für den Haushalt oder fürs Büro. Die Mobility App seines iAm hat ihm schon am Vorabend geraten, für die 300 Kilometer nach Hamburg das Auto zu nehmen. Grund: Bei Abfahrt um 6 Uhr ist die Verkehrslage besonders günstig. Und in seinem Audi Aicon e3 Avant kann er sein Gepäck besonders gut verstauen, den Gartenroboter „Flowie“. Deshalb hat Carl auch noch ein eigenes Auto – im Gegensatz zu 77 Prozent der Deutschen, die darauf mittlerweile verzichten. Weil es bereits hell ist, ist der 36-Jährige nicht auf die Drohne seines Audi angewiesen, die bei Dunkelheit über ihm fliegt und den Weg ausleuchtet. Als der Aicon e3 autonom aus der Tiefgarage rollt und Carls iAm registriert, bleibt er stehen und öffnet die Türen. Der Roboter-Experte setzt sich auf den Platz vorne links. Hier gibt es kein Lenkrad und keine Pedale mehr – dafür aber den mobilen Arbeitsplatz mit dem größten Display. PIA, die Assistentin seines Audis, stellt Sitzposition, Klimatisierung und Beleuchtung auf Carls Vorlieben ein. Was sie auch weiß, da sie einen Empathie-Chip eingebaut hat: Carl Reutemann ist vor neun Uhr morgens extrem schweigsam. Deshalb beschränkt sie sich auf die allernötigste Kommunikation. Als noch in Berlin ein Fußgänger beinahe vors Auto springt, projizieren die LED-Panels des Aicon ein Warnschild auf die Straße. Alles geht gut – wie fast immer. Seit sich auch ältere Autos mit autonomer Steuerung nachrüsten lassen, ist die Zahl der Verkehrsunfälle in Deutschland um 90 Prozent gesunken. Deshalb muss sich Carl auch nicht mehr anschnallen. Er kann ganz entspannt auf dem Tablet vor ihm Mails beantworten.
Walker-Talker Simon Wallis Hunt hat einen der schönsten Arbeitsplätze der USA – den Navy Pier am Michigansee, die größte Touristenattraktion der Stadt mit Parks, Gärten, Geschäften, Restaurants und Riesenrad. Hier verbringt er den Tag mit seinen Kunden – älteren und gut situierten Herrschaften, die ihn dafür bezahlen, dass er mit ihnen spazieren geht („Walker“) und sich mit ihnen unterhält („Talker“). Ihnen ist die Gesellschaft des ebenso einfühlsamen wie amüsanten 26-Jährigen einiges Geld wert. Seit vier Jahren erreicht Simon den Navy Pier mit der Seilbahn. 2026 hat die „Chicago Skyline“ eröffnet – eine spektakuläre 2,5 Kilometer lange Cable-Car-Strecke zwischen den Wolkenkratzern, die Downtown mit dem Michigansee verbindet. Bis zu 3.000 Menschen pro Stunde sind in den gläsernen Gondeln unterwegs, 17 Stockwerke über dem Boden. Mit 14 km/h ist das Tempo, in dem Simon seinen Arbeitsplatz erreicht, zwar gemächlich – aber immer noch viel schneller als in jedem Stau. Die Trambahnen am Himmel lassen sich unschlagbar schnell und kostengünstig bauen, und gelten als sicherstes Verkehrsmittel der Welt. Eine vergleichbare U-Bahn schafft zwar 20.000 Passagiere pro Stunde – kostet aber mindestens das Zehnfache.
Cyber City Analystin Sophie Clark ist Expertin für smarte Städte. Im Rathaus sorgen sie und ihre KollegInnen dafür, dass alle Daten, die die Metropole am Leben erhalten, störungsfrei fließen. Die 27-Jährige kennt jede Möglichkeit, von ihrem Appartement in Wembley die 13 Meilen in die City Hall zurückzulegen. Wenn ihr iAm sie um 5.45 Uhr weckt, schlägt er ihr je nach Wetter und Verkehr die optimale Lösung vor – das E-Bike, die gute alte Tube oder eines der neuen Taxi-Systeme. Weil die Straßen am 3. Juli 2030 relativ frei sind, empfiehlt Sophies iAm ein autonomes Taxi, den Rinspeed taxE aus der Schweiz oder ein Next-Schwarm-Taxi aus Italien. Sophie liebt die winzigen taxE-Elektrobusse für vier bis sechs Personen, die mit anderen Verkehrsteilnehmern durch riesige Displays an Front und Heck kommunizieren: „Vorsicht, Kinder“ oder „Ich lasse Ihnen die Vorfahrt“. Beinahe wie Science-Fiction wirkt das Taxi, für das sie sich heute entscheidet: Der Next besteht aus modularen Kabinen für je zehn Personen, die sich je nach Bedarf automatisch zusammenkoppeln. In Stoßzeiten ergeben sechs oder mehr Module einen ganzen Taxi-Zug. Was Sophie Clark am Next so mag: Morgens ist ein Bistro-Modul angekoppelt, in dem sie sich Sandwich oder Sushi fürs Büro kaufen kann.
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