Es ist mal wieder spät geworden bei der Arbeit. Draußen ist es stockfinster und verdammt frisch. Jetzt noch joggen? Lieber nicht. Ermattet lässt man sich aufs Sofa fallen und greift nach der Fernbedienung. Der innere Schweinehund hat gewonnen und alle guten Vorsätzen zunichtegemacht. Doch der Schlendrian ist gefährlich: Bewegungsmangel macht Körper und Seele schwer zu schaffen.
Aber wir lassen uns davon nicht beeindrucken und sitzen, sitzen und sitzen. Nach Schätzungen verbringen etwa Büroarbeiter 80.000 Stunden ihres Berufslebens auf dem Hinterteil. „Wenn Sie acht Stunden lang sitzen, haben Sie alles im Koma liegen, den gesamten Körper“, warnt Sportwissenschaftler Ingo Froböse.
Gesundheit und Fitness für 400 Mitarbeiter
Was tun? Bewegung muss zurück in den Alltag und an den Arbeitsplatz. Nicht zuletzt, weil wir zukünftig bis 67 oder vielleicht sogar bis zum 70. Lebensjahr arbeiten und für die Dauer des gesamten Berufslebens fit bleiben müssen. Diese Erkenntnis setzt sich allerdings nur zögerlich durch, Betriebssport fristet ein Schattendasein. Manche Firmen und Unternehmen aber bieten bereits Präventions- und Fitnessangebote an und haben Konzepte für das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) entwickelt.
Vorbildlich das Engagement der OKE Group in Hörstel bei Osnabrück. Die Firma beschäftigt zwei Sportwissenschaftler, die sich um Gesundheit und Fitness der 400 Mitarbeiter kümmern und Kurse von Aerobic über Nordic Walking und Rückenübungen bis Zumba anleiten. Im firmeneigenen Fitnessstudio mit den großzügigen Panoramafenstern stehen Indoor-Fahrräder, Hantelbänke, Crosstrainer und Laufbänder. Wer Gewichte stemmen, laufen oder radeln möchte, kann das jederzeit tun.
„Wir arbeiten auf Basis von Vertrauensarbeitszeiten. Wir stellen unseren Mitarbeitern frei, wann sie arbeiten und wann sie sich bewegen wollen. Entscheidend ist, dass jeder seinen Job schafft“, erklärt Gesundheitsmanager Frank Potthoff. Zweimal die Woche kommt zusätzlich ein Physiotherapeut in die Firma und lockert verspannte Muskeln, ein Betriebsarzt erstellt Belastungs-EKGs und prüft auf Wunsch Blutwerte.
Breite Akzeptanz für Gesundheitsförderung
Mit Erfolg: 90 Prozent der Mitarbeiter nutzen „irgendetwas aus unserem Angebot zur Gesundheitsförderung“, so Potthoff. Der Krankenstand ist deutlich gesunken. Um träge Mitarbeiter aus dem Bürostuhl zu locken, arbeitet man mit einem Bonussystem. Für einen überdurchschnittlich guten Fitnesstest etwa bekommt man 100 Euro.
Wie lassen sich Arbeitsplätze gestalten, die auch für ältere Arbeitnehmer noch angenehm und effektiv zu nutzen sind? Da kann GERT weiterhelfen. Bei Siemens im bayerischen Kemnath schlüpft Stefan Sikorsky regelmäßig in den gerontologischen Testanzug, um genau das herauszufinden.
Eigentlich ist Sikorsky erst 27 Jahre alt, aber GERT lässt ihn in Minutenschnelle um 30 Jahre altern: Zusatzgewichte und Bandagen sorgen für eine stärkere Belastung, Überschuhe und Handschuhe simulieren gealterte Gelenke, Spezialbrillen und Kopfhörer schränken das Sehen und Hören ein. Die mithilfe von GERT gewonnen Erkenntnisse („Man wird schneller müde, das Gesichtsfeld ist eingeschränkt, Arme, Beine und Hals sind nicht mehr so beweglich.“) fließen in die Gestaltung eines altersgerechten Arbeitsplatzes ein.
Fitnesstrainer am Arbeitsplatz
Um zwischen stehen und sitzen wechseln zu können, ist dieser höhenverstellbar und individuell anpassbar. Da sich der Sichtbereich im Alter einschränkt, darf der Arbeitsplatz zudem nicht breiter als 1,50 Meter sein.
Wer lange fit und beweglich bleiben möchte, kann in Kemnath auch vorbeugend aktiv werden: In die Produktionsbereiche sind Bewegungsinseln integriert. Hier trainieren Mitarbeiter an Spezialgeräten ihre Nacken-, Schulter- und Rückenmuskulatur, Fitnesstrainer übernehmen Einweisung und Beratung.
Außerdem gibt es Betriebssportgruppen und 20 Scouts, die das Thema „betriebliches Gesundheitsmanagement im Unternehmen konsequent vorantreiben“, so eine Sprecherin der Unternehmenskommunikation.
Yoga und Klettern bei Adidas
Schon seit vielen Jahren treiben die Angestellten bei Adidas Sport. Sie wählen aus 300 Kursen wie Zirkeltraining, Yoga, Klettern, Schwimmen, Boxen oder Tanzen und powern sich morgens, mittags oder nach Feierabend aus. Anfang 2014 eröffnete der Sportartikelhersteller in Herzogenaurach ein fast 4.000 Quadratmeter großes Fitnessstudio.
Darüber hinaus können die Angestellten an Skiwochenenden, Bike-, Golf- und Kajak-Camps teilnehmen, an Reittouren in Island oder Segeltörns in Kroatien. 2012 wurde eine eigene Abteilung für Gesundheitsmanagement geschaffen, dabei schickte schon Unternehmensgründer Adi Dassler seine Arbeiter zum Testen der neuen Trikots auf den Fußballplatz.
"Unternehmen haben großen Nachholbedarf"
„Ich halte grundsätzlich sehr viel von Betriebssport, wenn die Inhalte stimmen“, meint Klaus-Michael Braumann, Professor für Sportmedizin an der Universität Hamburg. Es sollte dabei „aber vielleicht weniger um den perfekten Staffellauf oder um Fußballturniere“ gehen, sondern vielmehr um softe Angebote zur Gesundheitsförderung wie Fitnessgymnastik, Yoga oder die Vermittlung von Entspannungstechniken, die besser zum modernen Arbeitsalltag passten.
„Viele Unternehmen haben noch großen Nachholbedarf“, urteilt Braumann, dessen Institut Firmen berät, wie sie Mitarbeiter zum Gesundheitssport motivieren. Als „tickende Zeitbombe“ bezeichnet der Experte die Situation in kleineren Handwerksbetrieben. „In der Regel ist der Meister heute so um die 50 und älter. Wenn er aus gesundheitlichen Gründen ausfällt, bricht der Laden zusammen, weil es keinen qualifizierten Nachwuchs gibt.“
Gesundheitsförderung braucht Anreize
Kleine und mittlere Unternehmen, die keine eigenen Angebote stemmen könnten, müssten dringend aktiv werden. Für sie böten sich Partnerschaften mit Krankenkassen oder anderen Firmen an.
Ohne Belohnungssysteme funktioniert Gesundheitsförderung nicht, da ist sich auch Braumann sicher. Um Mitarbeiter zum Sport zu bewegen, könne man etwa Cholesterinwerte oder den Blutdruck im Unternehmen messen lassen. „Die meisten Leute kennen ihre Werte nicht. Wenn dann jemand damit konfrontiert wird, dass er einen Cholesterinspiegel von 280 und einen Blutdruck von 160 hat, dann wird er sich schon fragen, wo es hakt, und aus der Betroffenheit heraus aktiv werden.“
Damit der Mitarbeiter durchhalte, könne er für die Verbesserung seiner Werte eine „kleine Belohnung“ wie einen Tag Extraurlaub bekommen. „Ich glaube, dass die menschliche Trägheit nur durch den Faktor Gier getoppt wird.“
Gesundheitsvorsorge verringert Ausfälle
Auch für Firmen zahlt sich BGM aus, und zwar in mehrfacher Hinsicht. „Bereits heute scheiden rund 28 Prozent der Erwerbstätigen frühzeitig aus gesundheitlichen Gründen aus. Sie sind im Schnitt 55 Jahre alt. Ein Trend, der sich in den kommenden Jahren weiter zuspitzen wird“, heißt es in einer Studie der Unternehmensberatungsgesellschaft Roland Berger. Krankheitsbedingte Ausfälle kosten die deutschen Unternehmen jährlich rund 60 Milliarden Euro.
Gesundheit am Arbeitsplatz aber sichert die Leistungsfähigkeit der Belegschaft: Mithilfe von stressfreieren Arbeitsbedingungen und einer passenden Gesundheitsvorsorge sollen sich laut Roland Berger Mitarbeiterausfälle um bis zu 40 Prozent verringern lassen.
Finnische Studien gehen noch weiter: Während die Arbeitsfähigkeit bei Mitarbeitern zwischen 55 und 65 Jahren ohne fördernde Maßnahmen deutlich abnimmt, kann sie sich langfristig sogar erhöhen. „Das Problem ist die Arbeit – und nicht das Alter“, resümiert der finnische Sozialexperte Professor Juhani Ilmarinen.
Return on Invest durch Gesundheit
Motorola etwa hat mit einem Gesundheits- und Wellnessprogramm einen Return on Investment (ROI) von 3,93 Dollar für jeden Dollar erzielen. Jeder Dollar, der in betriebliche Gesundheitsförderung investiert wird, bringt innerhalb von fünf Jahren sogar drei bis acht Dollar zurück, fanden amerikanische Wissenschaftler heraus.
Dazu kommt, gesunde und zufriedene Mitarbeiter bleiben ihrem Betrieben länger treu, wie wiederum eine Studie der Unternehmensberatung Towers Watson belegt. Die Kündigungsrate in Unternehmen mit Gesundheitsangeboten betrug nur neun Prozent und war so deutlich niedriger als in anderen Firmen.
Alle müssen mitturnen
Wenn Sport und Bewegung nicht von der Geschäftsführung gewollt sind, haben auch die Mitarbeiter keine Lust, aktiv zu werden. Führungskräfte und Manager sollten sich beteiligen, meint Leonard L. Berry. Der Marketingprofessor an Mays Business School der Texas A&M University verglich das Gesundheitsmanagement von zehn Unternehmen wie SAS Institute, Johnson & Johnson und Chevron und machte sechs Pfeiler für dessen Erfolg aus. Hier erfahren Sie mehr.