Still ist es an diesem Mittwoch Mitte Dezember im Internationale Congress Center München (ICM). Doch in vier Räumen des ICM gibt sich die Zukunft ein Stelldichein: Experten aus aller Welt begutachten die rund 200 Bewerber um den ISPO Award 2021.
In den Kategorien „Outdoor“, „Snow Sports“, „Apparel“ und „Fitness“ suchen sie die Produkte des Jahres. Eine fünfte Jury vergibt zusätzlich den ISPO Sustainability Award. Über die Kategorien hinweg haben es hier 66 Produkte in die Endauswahl geschafft. „Im Verhältnis so viele wie noch nie“, freut sich Nachhaltigkeits-Expertin Anna Rodewald.
In Zeiten einer Pandemie funktioniert ein solches Meeting natürlich nur digital und über die Distanz. Pro Kategorie treffen sich fünf Judges, um den begehrten ISPO Award zu vergeben, Winner und Gold Winner zu küren und die Produkte des Jahres auszuwählen. Mindestens einer von ihnen ist in München vor Ort, die anderen sind per Teams-Call zugeschaltet.
Die Head-Judges im ICM sind Moderator und Vorturner zugleich. Über die Distanz müssen sie für ihre Kollegen tasten, fühlen, riechen und anprobieren. Das bedeutet körperlich vollen Einsatz; für die Experten, aber auch für das Team Awards & Innovation der ISPO.
Das ist zum Beispiel Urs Weber, Redakteur des Magazins Runner’s World, der hoch über dem Kopf Stirnlampen oder Schuhe in die HD-Kamera hält, um seinen Kollegen in der Ferne auch kleinste Details zu zeigen. Oder Alexa Dehmel, Gründerin von Active Sports Design, die in Schuhe, Jacken, Trikots und Expeditionsanzüge schlüpft und über Haptik, Stoff und Tragekomfort berichtet – wie schwer ist das Produkt, wie fühlt es sich an?
Es gilt aber auch, Hantelstangen oder neue Slacklines zu testen, Campinggrills und Zelte auszuprobieren, Rucksäcke zu tragen und vieles mehr. So wird der Tag im ICM eigentlich zum Workout.
„Die einzelnen Jurys sind heuer etwas kleiner als gewöhnlich und wir haben fast ausschließlich auf erfahrene Juroren gesetzt“, sagt Jacqueline Eskandar vom Team Awards & Innovation. „Das Judging-Verfahren über die Distanz ist neu und herausfordernd genug, da wollten wir uns bei den Fachleuten nur auf die Top-Expertise verlassen“.
Seit September arbeiten die vier Kollegen von Awards & Innovations für den ISPO Award, sichten Bewerbungen, sortieren alle Produkte und bereiten sie vor, organisieren den Versand und verfassen Kurzbeschreibungen, um alle Produkte fürs Jury-Meeting bestmöglich zu präsentieren.
Doch der Aufwand lohnt sich: „Es ist ja der Anspruch der ISPO Munich, neue Trends zu entdecken und sichtbar zu machen“, sagt Franziska Zindl, Head of ISPO Awards & Innovations.
Denn traditionell sendet die ISPO Munich Impulse in die Branche: „Insbesondere in diesen außergewöhnlichen Zeiten können wir mit dem ISPO Award herausragenden Produkten besondere Sichtbarkeit geben.“
Eine dieser Entwicklungen: Noch nie war das Thema Nachhaltigkeit beim ISPO Award so im Fokus wie in diesem Jahr. Das betrifft zum einen natürlich die Funktion. „Wir kommen langsam da hin, dass die nachhaltigen Produkte genauso leicht, wasserabweisend oder langlebig sind wie konventionell hergestellte Materialien“, sagt Professor Matthias Kimmerle von der Hochschule Albstadt-Sigmaringen.
Vor allem aber werde das Thema Nachhaltigkeit aus ganz neuen Blickwinkeln bewertet, sagt Anna Rodewald, Head-Judge der Sustainability Jury. Es gehe längst nicht mehr darum, einfach bestehende Materialien zu ersetzen. Heute sei es entscheidend, ein Produkt von Anfang an neu zu denken.
„Beim Thema Nachhaltigkeit geht es ja nicht um Ökospinnerei, sondern darum, unsere Branche zukunftssicher zu machen“, sagt Anna Rodewald. Wenn es zum Beispiel gelänge, mit einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft das hochwertige Rohmaterial sicher zurückzubekommen, „dann habe ich dauerhaft Rohstoffsicherheit“.
Nachhaltiges Wirtschaften wird auch beim Employer Branding immer wichtiger – die Nachwuchskräfte wollen genau wissen, für wen sie arbeiten. Spätestens aus diesem Blickwinkel wird Sustainability eher Chance als Hemmschuh. „Der Rohstoff liegt ja rum, den sollten wir nutzen, statt ihn zu verbrennen oder auf die Deponie zu karren“, sagt Anna Rodewald.
Wegen der Reisebeschränkungen war auch das Jury-Meeting selber sicher dasjenige mit dem kleinsten CO2-Abdruck. Aber war es auch so effektiv wie in den vergangenen Jahren? Und was bedeutet das für die ISPO Munich Online? Es ist natürlich etwas anderes, wenn man sich nicht vor Ort treffen, unter Kollegen gemeinsam einen Kaffee trinken kann. Aber das Format des digitalen Jury-Meetings zeigt schon, dass der persönliche Kontakt dennoch gut funktioniert.
Die Stimmung ist gut, die Diskussionen auf hohem Niveau so engagiert und so tiefschürfend, dass der Zeitplan zwischenzeitlich Makulatur zu werden droht. Ein gutes Zeichen für die ISPO Munich Online vom 1. bis 5. Februar 2021.
Und auch die Produkte, die Anfang Februar auf der ISPO Munich Online gezeigt werden, lassen aufhorchen. „Zumindest bei den Einsendungen gibt es keinen Corona-Effekt“, sagt Urs Weber, Head-Judge im Bereich Fitness. „Es passiert gerade viel Neues in der Branche“, ist sich der erfahrenen Juror sicher.
„Wir sehen neue Technik, Verbundstoffe mit Carbon und spezielle Verklebungen, die vor wenigen Jahren technisch noch nicht machbar waren.“ Ein weiterer Trend: Auch urbane Fashion und Outdoor-Funktion finden zueinander, und das „bei Qualität und Funktionalität auf hohem Niveau“, erklärt Urs Weber.
Auch Alexa Dehmel freut sich über die Bewerber. „Immer mehr Hersteller setzen bei ihren Kollektionen auf innovative Konzepte und Kreislaufwirtschaft. Der Bereich Apparel wird sich 2021 noch durchdachter um die Themen Komfort, Funktion, Style und Nachhaltigkeit drehen“, so die Apparel-Expertin.
Am Ende eines langen Tages haben die einzelnen Jurys fast neun Stunden lang geprüft, gefühlt, nachgefragt und diskutiert.
Das Ergebnis – die Gold Winner und Winner sowie die Preisträger des Sustainability Award – werden auf ISPO.com präsentiert. Die Products of the Year erlebt ihr dann live auf der ISPO Munich Online vom 1. bis 5. Februar 2021.