Was hat der Unternehmer Stefan Glowacz am meisten vom Kletterer Stefan Glowacz gelernt?
STEFAN GLOWACZ: Allen Voran: Die Neugier! Immer offen für das Neue zu sein. Und: An Problemen nicht zu verzweifeln, sondern die Herausforderung darin zu sehen. Nach dem Motto: Da ist dieser Berg, da will ich rauf: Was brauche ich dafür, was muss ich trainieren und wie kann ich mein Ziel am Ende sicher erreichen? Dabei ist es wichtig, flexibel zu bleiben und auf Unwägbarkeiten reagieren zu können.
Ein Wetterumschwung am Berg, eine Änderung der Konjunkturlage im Business etwa?
Ja. Ich kann viel vorausplanen. Aber es gibt Restrisiken, die ich nicht kontrollieren kann. Ich kann mir aber bewusst machen, dass es sie geben wird. Und werde nicht mehr überrascht. Das gilt für das Bergsteigen und Klettern, wie für das Geschäft. Es gibt einige Lehren, die man ziehen kann.
Viele Freizeit-Kletterer erleben beim Sport auch eine Konfrontation mit der Angst. Wie gehen Sie mit Angst um, als Unternehmer und Alpinist?
Ich bin auch schon nachts durchgeschwitzt aufgewacht, weil ich vor einer Entscheidung stand, die mit einem hohen Risiko verbunden war – und eine Fehlentscheidung hätte sein können. Am Berg und im Geschäft bereiten Situationen, die wir nicht kennen, nicht einschätzen können, Angst.
Ein Beispiel?
Da ist ein gefährlicher Eisbruch. Jetzt haben wir drei Möglichkeiten: Da müssen wir durch. Weil es keine Alternative gibt. Oder Variante B: Gibt es eine Alternative, mit der ich das Risiko vermeiden kann? Einen vermeintlichen Umweg, der dafür sicherer ist? Oder C: Abbruch. Hier steht das Risiko nicht im Verhältnis zu dem, was wir erreichen können. Zurück zum sicheren Ausgangspunkt, die Sache neu überdenken. Diese Vorgehensweise, die bei jeder schwierigen Expedition zum Einsatz kommt, würde auch jedem Unternehmer guttun. Analysieren, abwägen, kalkulieren, hinterfragen, Entscheidung treffen.
„Auf dem patagonischen Eis kann keiner weglaufen“
Fällt es leichter, Entscheidungen zu treffen, wenn man fernab der Zivilisation, exponiert und auf sich allein gestellt unterwegs ist?
Auf jeden Fall. Die Situation ist viel klarer. Auch Konflikte im Team werden schnell viel deutlicher. Und das ist ein Vorteil. Wenn man auf dem patagonischen Inland-Eis unterwegs ist, kann keiner weglaufen. Diese Fluchtmöglichkeiten gibt es im Alltag allerdings. Was dazu führt, dass Konflikte überhaupt erst entstehen, die von vornherein mit einem Gespräch hätten beigelegt werden können.
Sie suchen die Klarheit der Extreme?
Jede Extremsituation bringt dich näher zu dir selbst, prägt dich und verändert dich. Du kommst als anderer Mensch zurück. Deswegen bevorzuge ich auch die schwierigen Unternehmungen, wenn Entscheidungen schwerwiegende und dramatische Folgen haben könnten. Das fordert mich heraus. Auch bei meinem Unternehmen Red Chili.
Wie sieht so eine schwerwiegende Entscheidung dort aus?
Nehmen wir an, wir wollen unser Werbebudget verändern oder unsere Marketing-Philosophie neu ausrichten: Dann hat das dramatische Auswirkungen auf die Außendarstellung. Und dann ist das der Punkt, wo es unternehmerisch extrem spannend und herausfordernd wird. Ich gehe mit dem sportlichen Ehrgeiz eines Bergsteigers und Kletterers heran.
Erklären Sie so kurz wie möglich die Philosophie von Red Chili.
Kletterer für Kletterer, ganz einfach. Kletterer wissen am besten, was Kletterer brauchen. In jeder verantwortlichen Position sitzen bei uns eben Kletterer. Von der Entwicklung über die Produktion bis hin zu Multimedia. Jeder in der Firma bis hin zu den Menschen im Büro, weiß wovon wir sprechen. Wir sind klein, schlagkräftig – und wollen das auch bleiben. Indem wir die Essenz des Kletterns erhalten.
„Die Zielgruppe für Unternehmen hat sich grundlegend verändert“
Klettern ist Trend. Gerade die Hallen, zum Beispiel in Ihrer Nähe in München, quellen über. Inwiefern hat sich die Zielgruppe der Kletterer in den vergangenen Jahren verändert?
Sie hat sich grundlegend verändert. München ist ein Epizentrum des Kletterns. Hier werden Trends gesetzt, die sich nach ganz Europa verbreiten. Und der Trend ist klar: Klettern wird zum Fitness-Sport. Das liegt vor allem daran, wie wir ebenfalls in München sehen, weil das Bouldern immer beliebter wird.
Inwiefern?
Es gibt mehrere Gründe: Bouldern kann man alleine. Man braucht keinen Seilpartner, der einen sichert, weil man in Absprunghöhe über Matten klettert. Man muss niemanden finden, der Zeit und vergleichbares sportliches Niveau hat. Und: Man braucht null Vorkenntnisse. Jeder, egal wie sportlich oder auch nicht, geht in die Boulderhalle und hat Erfolgserlebnisse. Jeder spürt die Freude an der Bewegung. Es gibt keine Vorschriften in Sachen Technik. Aber es gibt noch einen wichtigeren Aspekt.
Der wäre?
Der soziale Anschluss. Man geht in die Halle und es ist sofort die Community da. Man findet sofort Anschluss. Jeder hilft sich gegenseitig, man gibt sich gegenseitig Tipps. Wer mag, findet sofort Freunde. Das ist das wirklich schöne, in unserem digitalen Zeitalter, in dem sehr viel anonym abläuft: Die unmittelbare Begegnung. Ja, so eine Boulderhalle ist auch eine Kontaktbörse, ganz sportlich, ohne blöde Anmache. Mich begeistert das Thema total, weil es auch zeigt, wie sich das Bergsteigen, das Klettern, auch wieder ein bisschen neu erfindet.
Was bedeutet der Aufschwung des Boulderns in Zukunft konkret für die Unternehmen in der Branche?
Das Klettern wird in eine ganz andere Dimension katapultiert. Boulderhallen bauen zum Beispiel Functional-Training-Bereiche. Der Gastronomiebereich wird immer wichtiger. Bald wird vermutlich auch jemand in Deutschland Klettern mit Yoga kombinieren.
Wo passiert das schon?
Vor zehn Jahren, in den USA, habe ich eine Kletterhalle besucht mit einem Außen-Boulderbereich, der angelegt war wie ein Zen-Garten. Kieswege, Farne, Bambusstauden. Das war grandios. Da sind wir noch weit davon entfernt – aber es steckt noch so viel Fantasie in dem Thema. Ich bin mir sicher: In den kommenden zehn Jahren wird sich das Klettern in eine völlig andere Richtung entwickeln, losgelöst von der Tradition.
Das wird nicht jedem Kletterer und Bergsteiger gefallen.
Aber das ist doch schön: Die Menschen kommen in die Boulderhalle, haben einen tolles Workout für den ganzen Körper. Dann gehen sie vielleicht in die Kletterhalle, weil sie Lust bekommen haben – und irgendwann raus an den Fels.
Was jeweils die entsprechende Ausrüstung und finanziellen Möglichkeiten, sich diese zu leisten, voraussetzt.
Geld ist hier nicht der entscheidende Faktor, sondern Erfahrung. Von der Boulder- zur Felswand, das ist ein gewaltiger Unterschied. Wir haben früher direkt am Fels angefangen. Heute ist die Kluft viel, viel größer. Das selbstständige Klettern, vielleicht sogar im Gebirge, muss man sich Schritt für Schritt erarbeiten.
„Der allgemeine Outdoor-Boom ist wieder eingebrochen“
Müssen Bergsport-Unternehmen in Zukunft die Masse der Fitness-Kletterer ansprechen, um auf dem Markt erfolgreich zu sein?
Was ich beobachte: Viele große Outdoor-Unternehmen, die vor zwei, drei Jahren noch erfolgreich waren, müssen sich nun konsolidieren. Weil eben nicht jeder jedes Jahr eine neue Gore-Tex-Jacke für 900 Euro kauft. Der allgemeine Outdoor-Boom ist wieder eingebrochen, nach einigen Jahren der Steigerung. Je größer das Unternehmen, desto schwieriger ist es nun, sich auf kleinere Markt-Bereiche – wie eben das Bouldern – zu konzentrieren.
Wenn sich nun große Unternehmen auf das Bouldern stürzen sollten, wie halten Sie mit Red Chili dagegen?
Mit unserer Authentizität, weil wir tief im Klettersport verwurzelt sind. Ich gehe selber in der Halle zu den Leuten hin, die unsere Schuhe tragen und frage sie, wie sie ihnen passen, wie sie damit zurechtkommen. Ich gehe Schulter an Schulter mit meinen Kunden zum Klettern. Und wenn uns jemand eine E-Mail schreibt, dann beantworte ich die selbst.
Mehr über Stefan Glowacz erfahren Sie auf seiner Facebookseite.
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