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Markus Weinberg
INTERVIEW/12.05.2023

Auf den Spuren von Forrest Gump

Jonas Deichmann durchquert die USA
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Trans America Twice – das ist das neue crazy Projekt von Jonas Deichmann. In einem Duathlon kreuzt der Abenteurer Nordamerika. Im Interview mit ISPO.com verrät er, wie er den Spagat zwischen Achtsamkeit und Angst schafft. Und er erklärt, warum Panik tödlich sein kann.

Für sein nächstes Projekt hat sich Abenteurer Jonas Deichmann wieder Großes vorgenommen. Los geht’s am 28. Juni in New York. Insgesamt radelt er etwa 5.500 Kilometer nach Los Angeles und bricht dann am nächsten Tag zum Lauf zurück nach New York auf. Hierbei meistert er im Schnitt einen Ultramarathon pro Tag. Anfang November will er wieder in Big Apple ankommen – nach über 5.000 Kilometern per pedes. Ich wollte schon immer durch die USA rennen, das ist also noch unfinished business für mich, sagt Deichmann zu seiner Routenwahl. Denn bei seinem 120-fachen Triathlon um die Welt musste er aufgrund der Corona-Pandemie nach Mexiko ausweichen.

Auch dieses Mal ist der Abenteurer ohne Begleitteam unterwegs, transportiert seine Ausrüstung am Gravelbike beziehungsweise in einem speziellen Laufanhänger und übernachtet die meiste Zeit im Freien. Er nimmt nicht die schnellstmögliche Route, sondern folgt kleinen Straßen mit einigen Highlights wie dem Death Valley, dem Monument Valley und den Rocky Mountains. Von Schneefall in den Appalachen bis zu extremer Hitze an einem der heißesten Orte der Welt wird alles dabei sein“, freut sich der Extremsportler. Die größte Herausforderung werden aber nicht die Berge sein, sondern die Prärie. Durch Kansas geht es über 1.000 Kilometer schnurgerade durch eine extrem eintönige Landschaft. Zu Fuß sind das drei Wochen und eine enorme mentale Herausforderung. Dabei helfen ihm nach seinen eigenen Worten die einfachen Prinzipien seiner Erfolge (nachzulesen im Buch „Der Schokoriegel-Effekt“).

Im Duathlon durch die USA: Route von Jonas Deichmann
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Komoot

ISPO.com: Zuletzt haben wir uns nach deinem Triathlon um die Welt unterhalten, wie erging es dir seitdem?

Jonas Deichmann: Es hat sich wahnsinnig viel verändert. Vorher war ich hauptsächlich in der Radsport-Blase bekannt und jetzt war ich plötzlich überall in den Medien. Bei meinen früheren Abenteuern habe ich meine wenigen E-Mails aus dem Zelt heraus beantwortet. Und nun habe ich keine kleine Firma mehr. Hinzu kamen viele Vorträge bei großen Unternehmen, zudem die Arbeiten für das neue Buch und der Film. Nebenbei habe ich noch kleinere Abenteuer eingebaut: Ich war in Irland, in Marokko, in den Alpen und im Oman. Das alles musste ich irgendwie balancieren – und dann läuft ja gerade auch noch die Vorbereitung auf die Trans America Twice.

Deine Firma soll also nicht von Rekord zu Rekord eilen?

Natürlich habe ich darüber nachgedacht, Mitarbeiter einzustellen. Aber ich möchte das gar nicht. Mein Vater macht mein Management und mein Bruder hilft ab und an aus. Wir sind also ein kleines Familienunternehmen und so ist es auch gut. Denn ich möchte meine Abenteuer machen. Und wenn ich jetzt ein riesiges Team habe und Fixkosten und alles, dann bin ich ja nicht mehr frei. Also in der Hinsicht, dass ich ein halbes Jahr irgendwo Radfahren gehe oder laufen. Die Fixkosten laufen ja mit, und dann müsste ich immer sofort darüber nachdenken, wie ich das Abenteuer vermarkten kann. Das heißt, dann hätte ich eine ganz andere Perspektive, dann würde ich das nicht mehr aus meiner Leidenschaft heraus machen. Und das möchte ich vermeiden. Ja, mir müssen Dinge abgenommen werden, aber größer soll mein Business nicht werden.

Zu wissen, welche Ziele man hat, und wie man diese erreichen kann, das ist ja Thema in deinem neuen Buch „Der Schokoriegel-Effekt“. Welcher der 24 Impulse ist für dich eigentlich der Wichtigste?

Also der wichtigste Impuls ist für mich, wie der Untertitel sagt, die großen Ziele in kleine Ziele herunterzubrechen. Sich nicht entmutigen zu lassen von dem, was noch vor einem ist, sondern an den nächsten Schokoriegel denken. Und der ist nie weit weg. Ob mit Lebensmittelvergiftung in der afrikanischen Wüste, mit Matsch auf russischen Landstraßen kämpfend oder mit heftig schmerzenden Beinen in der Baja California nach dem allerersten Marathon: In solchen Situationen fokussiere ich mich nicht auf das große Ziel, sondern auf kleine Zwischenziele. Ich denke nicht: Jetzt hast du (erst) 42 von gut 5040 Kilometern geschafft, sondern habe schlicht den nächsten Schokoriegel vor Augen. Es ist das nächste kleine Ziel, das ich schaffen will, ich muss immer nur bis zur nächsten Belohnung durchhalten. Diese Strategie verfolge ich schon lange, wahrscheinlich seit meiner Kindheit, und habe sie Schokoriegel-Effekt genannt.

Gibt es noch einen Impuls, der dich schon lange begleitet?

Ja: einfach machen. Das heißt, das Schwierigste ist, an die Startlinie zu kommen. Bei Abenteuern weiß man nie, was passiert. Aber wenn man einfach in seiner Komfortzone bleibt und nichts verändert, dann ist es zwar bequem, aber auch langweilig. Und deshalb muss man einfach machen, den ersten Schritt tun. Das ist bei mir seit vielen Jahren so. Ich bin nicht zögerlich, sondern wenn ich etwas machen will, dann mache ich es einfach.

Einfach machen – der Sprung ins kalte Wasser beim Triathlon um die Welt
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Dein Abenteurer-Leben scheint für viele Menschen ziemlich risikobehaftet zu sein. Aber du planst doch sehr genau, und kalkulierst dein Risiko?

Ja, und es ist nicht so gefährlich, wie es von außen vielleicht oft wirkt. Das Gefährlichste bei meinen Abenteuern ist definitiv der Verkehr. Aber den haben wir hier auch. Statistisch gesehen ist Autofahren ziemlich gefährlich und die Leute machen es ohne irgendwelche Bedenken. Radfahren im Straßenverkehr hat auch seine Gefahren, aber da würde ich jetzt nicht drauf verzichten. Ich sage mal so, was das Thema Risiko angeht, gibt es eine Eigenschaft, die man als Abenteurer auf jeden Fall braucht. Das ist: nie in Panik zu geraten. Und das bin ich noch nie. Das heißt, auch in einer Krisensituation, wenn es gefährlich ist, funktioniere ich nach wie vor rational. Wer diese Eigenschaft nicht hat, dem würde ich raten, nochmal zu überlegen, ob ein Leben als Abenteurer das Richtige für ihn ist. Denn es gibt immer wieder brenzlige Situationen, beispielsweise als ich beim Schwimmen auf dem offenen Meer in die Dunkelheit kam. Wenn ich da in Panik gerate und mein Körper nicht mehr funktioniert – dann bin ich tot.

Panik ist tödlich: Auf dem offenen Meer muss der Körper funktionieren
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Jetzt ist es den meisten von uns eher unmöglich, ein Leben als Abenteurer zu führen – wie können wir unser Leben abenteuerlicher gestalten?

Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Denn es geht ja nicht darum, einen Triathlon um die Welt zu machen, sondern für jeden ist etwas anderes ein Abenteuer. Um das eigene Leben etwas aufregender zu gestalten, bieten sich beispielsweise Mikroabenteuer an: Mal auf den nächsten Berg rennen, Wochenendreisen, kleinere Trips – einfach irgendetwas, das man mit Leidenschaft macht. Das Wichtige ist, man muss damit beginnen. Denn dann passiert das Erstaunliche, dass sich Türen öffnen.

Gelten deine Impulse für Männer und Frauen gleichermaßen?

Also ich habe mein Buch jetzt nicht für eine bestimmte Zielgruppe geschrieben. Allerdings stelle ich fest, dass der Impuls „An die Startlinie gehen – Der Weg ist das Ziel“ für Frauen manchmal schwieriger umzusetzen ist. Den eigenen Weg zu gehen, ist für uns Männer oft einfacher. Ich bekomme immer wieder mit – im Kontext Fahrradfahren –, dass viele Frauen einfach Angst haben, allein auf eine Radreise zu gehen. Ich glaube, das hängt grundsätzlich mit der Gesellschaft und den nach wie vor bestehenden Geschlechterrollen zusammen. Wenn ein Mann sagt, ich fahre jetzt mal allein mit dem Fahrrad durch Indien, dann sagen viele „cool“ und „viel Spaß“. Sagt eine Frau das, dann heißt es schnell: „Oh, krass. Hast du keine Angst?"

Allein auf Radreise: Für Frauen manchmal schwieriger umsetzbar
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Du warst kürzlich in weiblicher Begleitung auf einer Radtour im Oman – wie war das für dich? 

Also, ich finde es auch schön, in Begleitung unterwegs zu sein. In der Vergangenheit hatte ich schon öfters jemanden an meiner Seite, aber es waren meistens mein Bruder oder ein sehr enger Freund. Ganz wichtig: Es muss mit der Begleitung passen. Das heißt, man muss vorher klar über die Ziele der Reise sprechen, vor allem, wenn man länger unterwegs ist. Wenn einer nämlich eine lockere Urlaubsreise machen und der andere trainieren will, dann funktioniert es nicht. Oder in meinem Fall: Ist jetzt gerade Winter und das nächste Projekt weit weg oder ist die Reise direkt vor meinem Saisonhöhepunkt? Und diese Überlegungen sind erstmal unabhängig vom Geschlecht. Passt alles, dann ist es schön, in Begleitung unterwegs zu sein – auch wenn ich natürlich gewisse Kompromisse eingehe, aber das ist dann auch in Ordnung.

Deine weibliche Begleitung schien aber auch sportlich mit dir mithalten zu können? 

Sie ist richtig fit, sonst würde es ja sowieso nicht funktionieren. Und wie gesagt: Man muss dieselben Ziele haben. Das ist der wichtigste Punkt bei jeder längeren Reise, ganz egal, ob mich Mann oder Frau begleitet.

2021 erschien dein letztes Buch, 2022 der Film zu deinem Triathlon um die Welt, und jetzt kommt „Der Schokoriegel-Effekt“ in die Buchläden. Was ist dein nächstes Ziel?

Aktuell bin ich mit Vorträgen zum neuen Buch beschäftigt. Ab Ende Juni wartet dann Trans America Twice auf mich. Da bin ich dann viereinhalb Monate unterwegs. Der Duathlon wird für mich nochmal eine ganz neue Herausforderung sein.

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