Wintersport/20.11.2017

Christoph Engl: Der Wintersport braucht Elite – statt Masse

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Die Wintersportbranche, vor allem der Winter-Tourismus, nährt von der Hoffung auf schneereiche Winter und Massen an Wintersportlern. Aber diese Herangehensweise ist weder erfolgversprechend noch zukunftssicher – sagt Experte Christoph Engl. Und hat Ratschläge, wie die Branche Austauschbarkeit und dem daraus resultierenden Preiskampf entkommen kann.

Wo liegt die Zukunft des Wintersports – in der Masse oder in der Elite?
Wo liegt die Zukunft des Wintersports – in der Masse oder in der Elite?

Christoph Engl ist Tourismusmarken-Experte, Autor des Buches „Destination Branding“, Geschäftsführer der Managementberatung BrandTrust – und einer der profiliertesten Experten auf seinem Gebiet weltweit.

Herr Engl, bei „Dein Winter. Dein Sport“ haben Sie den Vortrag „Winter ist ein Produkt und keine Jahreszeit“ gehalten. Entgegen dem Konsens, dass der Wintersport eine möglichst breite Masse erreichen muss, um überlebensfähig zu sein, gehen Sie in die andere Richtung: Der Wintersport muss von der Breite in die Elite. Warum?
Das ist eine ungeschönte Markteinschätzung. Außerhalb der Alpen ist Wintersport – gemessen am großen Spektrum aller Reisemotive – ein Randthema. Von großer Breite in der Gesamtbevölkerung und von großen Marktanteilen zu sprechen, ist die Eigensicht der Branche. Darüberhinaus wird sich das Produkt Winter weiter verteuern, was eine zusätzliche Zuspitzung bedeutet. Deshalb wäre es realistischer und ehrlicher, wenn sich die Branche im Verhältnis zu anderen Reisearten als Elite sieht und verhält, so wie es die Kreuzfahrtbranche schon seit Jahren erfolgreich macht.

Dennoch muss man alles dafür tun, damit in den Wintersportgebieten auch die einheimische Bevölkerung Wintersport ausüben kann. Denn wenn Wintersportregionen die eigenen Leute als Fans verlieren, dann lässt sich dies durch keine Marketingaktion kompensieren. Jeder Euro, der in den Regionen den Wintersport für alle ermöglicht, ist deshalb gut eingesetzt. In den Märkten selbst wird sich Wintersport hingegen zu einer elitären Urlaubsart entwickeln.

Wintersportgebiete müssen sich eindeutig positionieren

Sie kritisieren die Austauschbarkeit der Wintersport-Marken. Gibt es Beispiele für Skigebiete, die in dieser Hinsicht gut als Marken positioniert sind oder auf dem Weg dorthin?
Zum Beispiel die Dolomitenregion „Drei Zinnen“ im östlichen Südtirol/Tirol/Veneto, die sich für erfahrene Kenner positioniert. Oder das Skigebiet „La Grave“ in Frankreich, welches sich zum Eldorado für Variantenfahrer etabliert hat. Oder Serfaus-Fiss-Ladis mit einer erfolgreichen Ausrichtung auf Familien. Oder das Skigebiet Snowbird in den USA, welches Anfänger vor sich selbst warnt.

„Weniger Marketing, mehr Management“

Was muss eine Wintersport-Destinationsmarke in Zukunft bieten um wirklich attraktiv zu sein?
Eine widerspruchsfreie Erlebniskette ist dafür notwendig. Wintersportdestinationen brauchen für ihren Erfolg der Zukunft viel weniger Marketing, sondern viel mehr Management: Nicht nur die Pisten müssen perfekt gemanagt sein, auch Parkplatz und Nahverkehr. Rodelbahn und Loipe müssen von guter Qualität sein, ebenso wie der perfekt gespurt Winterwanderweg. Es geht um Winter, nicht mehr nur um alpines Skifahren – welches allerdings eine Kernaufgabe bleibt.

„Schwache Kopien, grausamer Durchschnitt“ im Tourismus

Eine andere Ihrer Thesen lautet: „Wachstum heißt immer noch: Mehr vom Gleichen“. Wie muss die Wintersportbranche wachsen, um wirklich neue Impulse zu setzen und Innovationen möglich zu machen?
Die Tourismusbranche leidet unter jeder Menge von „Auch“-Produkten. Weil es bei anderen erfolgreich war, will man es selbst „auch“. Daraus entstehen schwache Kopien, grausamer Durchschnitt und wenig Eigenständiges. Das Ergebnis: Austauschbarkeit und daraus resultierend ein harter Preiskampf. Die Branche wird nur wachsen, wenn sie den alten Erfolgsmustern misstraut. Der größte Mut muss dafür aufgebracht werden, aus Skigebieten (Winter)-Sportgebiete zu entwickeln, die auch noch im Sommer funktionieren. Viele sind diesen Wandel angegangen, aber noch nicht mutig genug.

 

Christoph Engl, Geschäftsführer der Managementberatung BrandTrust.
Christoph Engl, Geschäftsführer der Managementberatung BrandTrust.
Bildcredit:
BrandTrust

„Der Winter kann die Sehnsucht nach Reduktion stillen“

Sie zeigen das Beispiel eines Manolo-Blahnik-Schuhs: Menschen kaufen keine Produkte, sondern Sehnsüchte. Welche Sehnsüchte kann der Wintersport befriedigen und wie triggert man diese bei den Kunden?
Die Winter in den Alpen waren hart. Man war froh, wenn man sie überlebte. Für die landwirtschaftlich beschäftigte Bevölkerung brachte der Winter kaum Freude, außer freier Zeit. Deshalb kennt auch die biblische Sehnsuchts- und Heilsgeschichte des Paradieses keinen Winter, keinen Schnee und keine Kälte. Milch und Honig fließen dort, wo es warm ist und wo die Sonne Pflanzen und Tieren die Nährböden für Wachstum gibt.

Der Winter ist der Gegenentwurf zum Leben in Fülle und kann die Sehnsucht nach Reduktion stillen. Winter beruhigt, die Luft ist klarer, das Licht deutlicher, die Landschaft karg und auf das Wesentliche beschränkt. Diese Gefühle und Muster liegen voll im Trend, denken Sie an skandinavisches Design und die neue Lebensart des „Hygge“ (gemütlich und einfach).

Nur Marken sind bei Google erfolgreich

Sie empfehlen der Wintersportbranche, nicht mehr mit dem „Wohin“ im Vordergrund zu arbeiten, sondern mit der Frage „Warum“? Ist der Branche bewusst, sich in einem gesättigten Markt zu befinden? Und falls ja, warum arbeitet und wirbt sie dann immer noch, als ob sie sich in einem ungesättigten Markt befinden würde?
Das ist eine gute Frage. Das Lagebild ist oft unklar. Marketing bedient die Oberfläche ohne Substanz. Man lebt von den in der Vergangenheit aufgebauten Erfolgen, die noch nachwirken. Fakt ist: das Marketing mit Zielgruppen und Budgets ist am Ende. In Zukunft zählen nur noch Marke, Vertrauen und Bedeutung. Man muss es brutal sagen: Wer keine Marke ist, wird sich in Zukunft als Produkt seinen Rang bei Google mit gigantischem Geldeinsatz nach oben kaufen müssen. Es ist eben auch ein ökonomischer Unterschied, ob Kunden „Winterurlaub“ oder „Winter Arlberg“ in das Suchfeld eingeben.

Winterfestivals, kulinarische Winterreisen, Winter-Poetry-Slams

Der Blick auf die Zukunft der Branche ist geprägt von der Hoffnung auf schneereiche Winter. Sie empfehlen: Management statt Hoffnung. Was können Maßnahmen sein, um in Zukunft Schnee-unabhängiger zu werden?
Winter ist ein Produkt und keine Jahreszeit. Alle etablierten Destinationen am Meer haben beheizbare Schwimmbäder in Hotels gebaut, um nicht auf eine ruhige See hoffen zu müssen. Winter kann mit bester Technologie zumindest in Teilen einer Destination „erzeugt" werden. Doch weil das nicht flächendeckend möglich ist, muss Winter auch die Fülle anderer Aspekte bespielen, um seine Begehrlichkeit als Produkt aufzubauen. Die Potenziale liegen eindeutig in allem was Bewegung – auch außerhalb der klassischen Wintersportaktivitäten wie Skifahren und Rodeln – bedeutet.

Winterwandern hat sich schon als neue Kategorie etabliert, warum nicht auch Wintermountainbike und Winterjogging? Wie wäre es mit einer kulinarischen Winterreise als Pendant zu den unzähligen frühlingshaften Spargelangeboten? Wann entsteht das erste Winterkochbuch, wann läuft die erste Winterfestivalstaffel vom Stapel? Und: Winter ist das ideale Umfeld für die Pflege von Gemeinschaft und das Zelebrieren des Gesprächs: warum keinen Winter-Poetry-Slam, warum nicht Literatur- und Leseangebote in schönen Hotels am Kaminfeuer?

„Heli-Skiing als Luxusprodukt“

Wo fahren Sie persönlich gerne Ski – und warum?
Vornehmlich in meiner Heimat Südtirol, auf Piste und im Gelände. Als seltenes Luxusprodukt kommt im Fünfjahresrhythmus noch Heli-Skiing in Kanada oder Alaska dazu. Seine eigene Spur zu ziehen – das ist eine der wenigen verbliebenen Freiheiten, die eine überreglementierte Welt noch zulässt.

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