- Mehr Signature Pieces für weiblichen Profisport
- Sponsoring im Frauensport lohnt sich
- So was von out: Shrink it and pink it
- Vernünftige Verletzungsprävention für Frauen
- Mehr Aufmerksamkeit für den weiblichen Monatszyklus
- Sportlerinnen in ihren besten Jahren abholen
- Frauen mögen's emotional
- Technikprodukte für die weibliche Zielgruppe
- Ob Finanzen oder Design: Chefinnen gewünscht
- Von Femwashing die Finger lassen
1971 brachte Puma den ersten weißen Fußballschuh für Frauen auf den Markt. Er trug den Namen „Pelerina“, angelehnt an den Weltfußballer Pelé. Über 50 Jahre später bekam der neue „innovative“ Frauenfußballschuh von Nike einen ganz besonderen Namen: Phantom Luna. Laut Unternehmensangaben ist die Passform perfekt auf die Anatomie von Fußballerinnen abgestimmt. Der Schuh ist mit dem neuen Obermaterial-Design Nike Asym Fit ausgestattet und hat eine enganliegende Passform am Knöchel, die sich die Spielerinnen in der Forschungsphase gewünscht haben. „Der Luna ist einer der bequemsten Schuhe, die ich je getragen habe. Als Sportlerin, die ständig in Bewegung ist, ist es wirklich wichtig, sich wohl und sicher zu fühlen", sagt Crystal Dunn, Abwehrspielerin des US-Frauen-Nationalteams. Auch unter amerikanischen Basketballkörben tummeln sich aktuell mehr Signature Pieces denn je: Basketballerin Breanna Stewart freut sich über ihren eisblauen Puma-Schuh, Sabrina Ionescu kooperiert mit Nike (den Schuh gibt es in verschiedenen Farben und er ist komplett personalisierbar) und Candace Parker ist schon länger mit Adidas verbündet.
Forbes sieht die Entwicklung positiv und konstatiert „ein ganz neues Schuhspiel für Frauen“. Denn: Puma, Nike und Adidas wollen nach Worten des US-amerikanischen Magazins mit Signature-Schuhen für WNBA-Athletinnen und darüber hinaus punkten. Dann hoffen wir, dass es ein punktreiches Spiel wird, damit Einkaufserlebnisse wie die von Basketballerin Kahleah Copper – „direkt in die Männerabteilung gehen“ – der Vergangenheit angehören.
Signature Pieces sind das eine, aber je mehr die Sponsoringsummen für Sportlerinnen steigen, desto sichtbarer wird der Frauensport. Die Folge: Konsumentinnen sehen ihre Role Models öfter und damit steigt die Identifikation mit ihren Vorbildern sowie den präsentierten Produkten. Und der Markt profitiert gleich siebenfach. Denn laut Deloitte bekommt ein Unternehmenssponsor für jeden Dollar, den er im Frauensport ausgibt, mehr als sieben Dollar zurück.
Deshalb ist es kaum zu verstehen, dass sich 2024 keine einzige Frau auf der Forbes-Liste der 50 bestbezahlten Sportler*innen der Welt findet. „Eine der größten Hürden, die Vermarkter leise flüstern, ist, dass Marken wissen, dass sie mehr für den Frauensport tun sollten, aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen“, schreibt die englische Marketing Week.
Bittere Worte zu einer Zeit, in der der weibliche Spitzensport auf einem noch nie da gewesenen Höhenflug unterwegs ist: Deloitte prognostiziert, dass die Einnahmen im Jahr 2024 mit 1,28 Milliarden US-Dollar erstmals die Marke von 1 Milliarde US-Dollar überschreiten werden. Diese Summe wird nach Angaben des Beratungsunternehmens mindestens 300 Prozent höher sein als bei der letzten Prognose im Jahr 2021.
Besonders bei funktionellen Sportartikeln haben Frauen oft keine andere Möglichkeit, als auf das „geschrumpfte“ Männerprodukt zurückzugreifen. Auch wenn sich die Sportindustrie mittlerweile mehr bemüht, mit einer anderen Farbpalette die optischen Bedürfnisse ihrer weiblichen Zielgruppe zu befriedigen. Aber das reicht bei weitem nicht.
„Wenn Jeremy und ich nach Ausrüstung für unsere Expeditionen suchen, erleben wir immer dasselbe. Wir bestellen die gleiche Kleidung für Männer und Frauen. Aber das Material ist nicht dasselbe. Jedes Mal, wenn wir Ausrüstung für den Winter brauchen, stellen wir fest, dass das Männerprodukt oft widerstandsfähiger ist als das Frauenprodukt“, sagt Abenteurerin Sophie Planque, deren Film über ihre Biketour von Alaska bis Patagonien gerade bei der European Outdoor Film Tour (EOFT) läuft. Auch mit der Hardware hat die Französin bisweilen ihre Probleme – obwohl sich die Fahrradindustrie nach ihren Worten sehr stark entwickelt. „Die Gravel-Bikes haben mehr Gleichberechtigung gebracht. Aber es ist immer noch schwierig für kleine Frauen, die richtige Größe zu finden.“
Und selbst bei Sportartikeln, die speziell für Frauen produziert werden, sehen Athletinnen wie Biathletin Selina Grotian einfach Nachholbedarf: „Auch Sport-BHs haben manchmal ungünstige Nähte und sind vor allem in Kombination mit dem Brustgurt nicht immer optimal. Obwohl ich die Brustgurte reinige, haben diese immer einen unangenehmen Geruch.“ Ähnlich geht es Lara Lessmann. Die BMX-Fahrerin hätte gerne Sport-BHs, „die eine gute Passform haben und nicht rutschen“.
Frauen trainieren anders als Männer, Frauen spielen anders Fußball, Frauen verletzen sich anders. Haben Sportartikelhersteller das im Blick? Mal mehr, mal weniger…
Ähnlich wie in der Medizin gibt es eine große Forschungslücke zwischen männlichen und weiblichen Athlet*innen. Wie schreibt kürzlich das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel: „Seit der Antike galt der männliche Körper als Norm. Das Leiden der Frauen wurde ignoriert, bagatellisiert, verhöhnt.“ Diese „Gender-Datenlücke“ habe gravierende Folgen für Sportlerinnen und gefährde sogar deren Gesundheit.
Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass Frauen aufgrund ihrer Anatomie und eines anderen Hormonspiegels anfälliger für bestimmte Verletzungen sind: Risse an den vorderen Kreuzbändern sind, bezogen auf Trainings- und Spielzeiten beim Fußball, bei Frauen drei- bis sechsmal (je nach Studie) häufiger als bei den männlichen Kollegen (Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin). Ähnliches gelte für Verletzungen des Meniskus und des Knöchels.
Als Grund dafür nennen Sportmediziner*innen die Skelettunterschiede im Bereich des Beckens. Das Becken der Frau im Gesamten ist breiter, die Beckenschaufeln sind breiter und weniger steil gestellt und das Becken weist eine stärkere Kippung nach vorne auf. Als Folge ergeben sich eine physiologische X-Bein-Stellung sowie andere Kräfteverhältnisse im Knie- und Sprunggelenk. Diesen anatomischen Eigenschaften des weiblichen Körpers müsste eigentlich jeder Schuhhersteller Rechnung tragen.
Die Thematik der weiblichen Menstruation gehört mehr ins Licht der Öffentlichkeit: Ob Abenteurerin auf mehrmonatiger Expedition oder Weltklasseathletin im mehrstündigen Wettkampf – die Menstruation lässt sich zwar mittels Hormonen verschieben, aber immer mehr Sportlerinnen verzichten darauf.
Neben den gängigen Produkten wie Binden, Slipeinlagen und Tampons gibt es mittlerweile auch eine Auswahl an Periodenunterwäsche. Biathletin Selina Grotian bestätigt: „Es gibt zwar schon Periodenslips. Doch könnten diese bestimmt noch für Sportaktivitäten materialmäßig beziehungsweise atmungsaktiv angepasst werden.“ Für Abenteurerinnen ist daher oft eine Menstruationstasse die bessere Alternative. Der Nachteil: Das Wasser zum Auskochen muss transportiert werden.
Aber auch atmungsaktive Kleidung steht ganz oben auf der Wunschliste von Athletinnen wie zum Beispiel BMX-Fahrerin Lara Lessmann, „da die Körpertemperatur bei der Menstruation steigt und der Körper mehr Energie verbraucht.“
Schweißausbrüche und Inkontinenz sind nur zwei mögliche physiologische Reaktionen des weiblichen Körpers in den Wechseljahren. Bis dato traut sich aber kaum ein Unternehmen, die Zielgruppe der Frauen im mittleren Alter mit speziellen Artikeln anzusprechen. Deshalb bekam Femography 2023 einen ISPO Award für seine Absorbent Menopause Legging. Diese soll laut Herstellerangaben das Hauptsymptom der Wechseljahre, die Hitzewallungen, lindern und gleichzeitig andere nützliche Funktionen bieten, wie zum Beispiel einen auslaufsicheren, saugfähigen Zwickel im Schritt.
Nach Angaben der North American Menopause Society wird die Zahl der Frauen nach der Menopause (Zeitpunkt der letzten Monatsblutung) bis zum Jahr 2025 auf weltweit 1,1 Milliarden ansteigen. Das heißt, umgerechnet jede vierte Frau durchlebt dann gerade die Zeit der Wechseljahre (dazu zählen die Jahre vor und nach der letzten Monatsblutung). Ein riesiger Markt, aber es fehlen nicht nur sportliche Role Models, sondern auch Produkte, die Funktion und Fashion verbinden.
Männer kaufen, Frauen shoppen – was ist dran an dieser Aussage? Sehr viel. Ob Preis oder Nachhaltigkeit: Frauen schauen beim Einkauf genauer hin als Männer. Sie nehmen sich auch oftmals mehr Zeit, bevor etwas in ihrem Warenkorb landet.
Die Maxime muss also sein: Statt nüchterner Shops mehr emotionales Storytelling. Das beinhaltet auch die geschlechtsspezifische Ansprache. Während Männer auf formal und faktisch stehen, mögen es Frauen persönlicher und beziehungsorientierter.
Umso erstaunlicher ist es, dass auf den Landing Pages diverser Sportunternehmen immer noch Fotos und Produkte von Männern überwiegen – nicht nur zur Fußball-Europameisterschaft. Vorbildlich präsentieren sich hier beispielsweise die Unternehmen Under Armour mit jeweils einem Button, der zum „Shop Women“ und zum „Shop Men“ führt. Mammut lädt mit einem bunten Foto-Mix beider Geschlechter unterschiedlicher Herkunft zum Shoppen ein, und bei Columbia gibt es Kinder zu sehen oder auch eine Frau, die vor einem Mann im Felsen unterwegs ist.
Bei den meisten Sportarten stört laut BMX-Fahrerin Lara Lessmann eine Uhr oder ein Ring. Sie hätte gerne mehr Tracking-Produkte, die auf Frauen abgestimmt sind und die Werte für Körpertemperatur und Puls bestmöglich anzeigen. Biathletin Selina Grotian geht es genauso. Ihr fehlen "Sportuhren, die auf zyklusbasiertes Training abgestimmt sind und unterstützend steuern". Auch wünscht sie sich eine "coolere Farbauswahl der Uhren".
Frauen fehlen nicht nur in Führungspositionen internationaler Sportunternehmen, sondern auch die Produktentwicklung ist fest in Männerhand. Christina Käßhöfer, Independent Senior Advisor, Brand and Female Consumer Expert, fordert daher in einem Interview mit ISPO.com "ein komplettes Umdenken im Corporate Mindset – vom Management über die Arbeit mit Designerinnen bis hin zu einer veränderten Kommunikation sowie Markenbotschafterinnen, die voll dabei sind".
Produkte von Frauen für Frauen – das ist eher die Seltenheit und bei weitem nichts Neues. Bereits 1999 schrieb die damalige CEO der Women’s Sports Foundation, Donna Lopiano, in einem Artikel für das Sport Business Journal: "Viele Sportartikelhersteller haben erkannt, dass es für Männer schwierig ist, zu entscheiden, was Frauen wollen", allerdings scheint es auch 25 Jahre später an der Implementierung zu scheitern. Obwohl Frauen wie Donna Carpenter (Burton) und Anne-Laure Descours (Puma) oder Rose Marcario (Patagonia) und Antje von Dewitz (Vaude) die Szene aufmischen – es ist noch ganz viel Luft nach oben.
Unternehmen, die Greenwashing betreiben, ernten immer wieder Shitstorms. Nicht anders wird es jenen Unternehmen gehen, die vorgeben, die Zielgruppe Frau im Blick zu haben, und dies nur wegen des vermeintlichen Gewinns machen. Wie gesagt: Kundinnen schauen genauer hin, legen Wert auf Nachhaltigkeit und möchten mit ihren Bedürfnissen ernst genommen werden. Frauen wissen, wie Frauen denken. Und Sportlerinnen wissen, wie Sportlerinnen denken. Deshalb unser Tipp: Entweder die anvisierte Zielgruppe nach ihren Bedürfnissen fragen und/oder mehr Frauen in die Entscheidungsprozesse integrieren.
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