Miriam van der Ham beginnt, ihren Moment auf der Bühne des ISPO Brandnew zunehmend zu genießen. Mit roten Backen steht die zierliche Designerin mit dem Babybauch auf der Brandnew-Bühne und präsentiert ihr Label Mvdham – modische Funktionsbekleidung aus natürlichen Rohstoffen für die Stadt. 90 Sekunden hat sie Zeit, um die vier Juroren und die rund 250 Zuschauer in Halle B4 zu überzeugen.
Um den Sieg gehe es ihr nicht, hatte sie zwei Stunden vorher gesagt. „Allein, dass ich hier bei ISPO Brandnew dabei sein und meine Kollektion zeigen kann, ist schon großartig“, sagt Miriam. Für den Elevator-Pitch der acht Besten hatte sie sich höchstens Außenseiterchancen ausgerechnet. Aber die versucht sie nun doch zu nutzen – und kann es kaum fassen, dass sie die Kategorie Urban Outdoor gewinnt.
ISPO Brandnew ist der Ort, an dem sich die besten 50 Newcomer des Jahres präsentieren. Wer es auf die Brandnew-Fläche in Halle B4 schafft, kann sich schon einmal feiern.
„Für mich geht hier ein Traum in Erfüllung“, sagt zum Beispiel Tobi Deckert. Der Produktentwickler aus Siegsdorf kommt seit 15 Jahren auf die ISPO Munich. Nun erzählt er, wie er jahrelang begeistert und neugierig über die Brandnew-Fläche gelaufen ist. Jetzt darf er hier sein ShredRack zeigen, einen aufblasbaren Dachgepäckträger für Sportler auf Reisen. „Das ist für mich ein ganz besonderer Moment“, sagt Tobi.
Die Trends des Jahres? Sind schon gar keine mehr. Die digitale Technik, die viele Produkte prägt, ist über den Trend längst hinaus. Und auch das Thema Nachhaltigkeit ist längst dabei, eine ganze Branche komplett zu verändern. „Wer nicht ressourcenschonend produziert, dürfte es in Zukunft schwer haben“, erklärt Textil-Experte und Juror Charles Ross. „Evolution reicht nicht mehr. Wer langfristig erfolgreich sein will, muss revolutionär denken“.
Wie die Macher von Cowboy. Der Fahrradhersteller aus Belgien zeigt beim ISPO Brandnew ein voll vernetztes E-Bike für die Stadt. Navigation, Antriebssteuerung, Diebstahlsicherung und Beleuchtung des clean designten Urban-Bikes werden über eine eigene App gesteuert. Mit einem Rad, das Pendlern das Leben erleichtert oder den Umstieg vom Auto erleichtert, wollen sich die Belgier nicht zufriedengeben. „Uns geht es darum, den Verkehr in der Stadt komplett zu verändern“, erklärt Jan Huber von Cowboy.
Für ISPO selber ist der Newcomer-Wettbewerb kein Selbstzweck. Schließlich müsse sich die ganze Branche und damit auch ISPO immer wieder neu erfinden, sagt Franziska Zindl, die bei ISPO für die Awards zuständig ist.
Man muss das wohl so sehen: Der Mensch neigt dazu, dass er das Equipment, mit dem er groß geworden ist, für den Höhepunkt der Entwicklung hält. Dabei geht die immer weiter. Auch eine Plattform wie die ISPO Munich braucht immer wieder neue Inputs, muss offen sein für Trends und Entwicklungen. Muss zwangsläufig Detektor sein für neue Ideen und Ansätze.
Das funktioniert mit ISPO Brandnew sehr gut. Denn gerade unter den jungen Start-ups sind immer wieder Firmen, die nicht ursprünglich aus der Sportbranche kommen. „Damit bringen sie ganz andere Blickwinkel und Herangehensweisen in unseren Markt“, sagt Franziska Zindl. „Mit Brandnew öffnen wir neue Horizonte und blicken quasi in die Zukunft der Branche“.
Wobei das Tor zur Zukunft jeweils nur ein paar Quadratmeter groß ist. Etwa drei mal drei Meter messen die Stände der 50 Top-Newcomer. Helle Teppiche, weiße Wände und Regale. Alle Farbe kommt von den Produkten der Hersteller. Kein aufwändiger Messebau soll vom Design der Start-ups ablenken.
Denn das ist wichtig. Zum einen geht es immer darum, wer ein Produkt nutzen kann, wer es braucht und wie groß das Potenzial auf dem Markt ist. „Aber natürlich braucht ein Start-up auch ein gutes Design und eine sehr gute Kommunikation“, sagt Tina Umbach, eine der vier Juroren des Abends.
Was die Brandnew-Fläche so besonders macht: Die 50 Besten verteilen sich nicht über die riesige Fläche der 18 Hallen, sondern präsentieren sich dicht an dicht. Die unterschiedlichsten Typen, Produkte, Ideen und Ansätze prallen hier aufeinander, bunt gemischt. So wird der Wettbewerb schnell zu einem großen Start-up-Fest, zur Kontaktbörse und einer eigenen kleinen Ideen-Messe. Die Stimmung unter den einzelnen Bewerbern ist zunehmend fröhlich, Wettbewerb hin oder her.
„Die Stimmung ist super“, sagt Sven Altdorf. Mit seiner Marke Be the Change produziert der Schweizer nachhaltige Sportnahrung. Die Auszeichnung, bei ISPO Brandnew dabei zu sein, sieht er vor allem auch als wichtiges Zeichen nach innen: „Wir sind erst seit kurzem eine AG – ISPO Brandnew ist ein Zeichen an unsere Investoren, dass sie aufs richtige Pferd gesetzt haben.“
Erst am Nachmittag ist dann doch so etwas wie Anspannung zu spüren. Zumindest unter den Gewinnern der acht Kategorien. Der Overall-Winner des ISPO Brandnew sollte in diesem Jahr zum ersten Mal erst auf der Messe selber gekürt werden. Für die Gründer bedeutet das: 90 Sekunden „Elevator Pitch“, dann strenge Fragen, später die Abstimmung. Der Clou: Neben den vier Juroren dürfen auch die rund 250 Zuschauer in der Halle über eine Webseite live Fragen stellen. Und die Chance, die Bewerber zu grillen, nutzen die Gäste leidlich.
Und nicht jeder Gründer ist für die Bühne gemacht. Monatelang haben sie an ihren Produkten gefeilt, mit Investoren verhandelt, über Vertriebswege, Marketing und Verpackungen gegrübelt. Da kommt das Rampenlicht für manche doch ein wenig plötzlich. Und doch entscheidet am Ende das Produkt, nicht die Show.
Der Österreicher Jörg Tragatschnik aus Zell am See sichert sich mit seiner Exolung den Overall Winner des ISPO Brandnew 2020. Mit seinem eigentlich recht simplen und günstigen Tauchgerät können Wassersportler bis zu fünf Meter tief tauchen – ohne aufwändige Druckluftflaschen und nahezu unbegrenzt lang. Mit seinen Beinbewegungen pumpt der Schwimmer oder die Schwimmerin Luft durch einen Schlauch, der an einer Boje an der Wasseroberfläche befestigt ist, nach unten. Für viele Sportler könnte das ganz neue Welten eröffnen. Die Meinung der Jury: „Revolutionär“.