Academy/06.10.2017

Gesichtserkennung, digitaler Fingerabdruck, Videokameras, Apps und Co. vs. Datenschutz

Wir benötigen Ihre Zustimmung, um die Bewertungsfunktion zu aktivieren!

Diese Funktion ist nur verfügbar, wenn eine entsprechende Zustimmung erteilt wurde. Bitte lesen Sie die Details und akzeptieren Sie den Service, um die Bewertungsfunktion zu aktivieren.

Bewerten
Merken

Gesichtserkennung am stationären Point of Sale wird als unheimlich empfunden, Bezahlen per Fingerabdruck dagegen ist cool. Die Beurteilung digitaler Personalisierungs-Technologien in Läden schwankt zwischen Begeisterung und Ablehnung. Wer sie offensiv nutzen will, muss das wissen.

Vor allem die Gesichtserkennung empfinden viele Menschen als unheimlich.
Vor allem die Gesichtserkennung empfinden viele Menschen als unheimlich.

„Wenn ein Laden per Videotechnik Daten über seine Kunden sammelt, sollte er das offen kommunizieren – und zwar immer“, sagt Germán León, CEO und Gründer des spanischen Unternehmens Gestoos.

Er hat sich auf genau solche Technologien spezialisiert, die mithilfe von Videokameras und intelligenter Software Informationen von Kunden im Store sammeln und analysieren. „Daten und Bilder dürfen zudem nicht gespeichert werden, und man muss sie anonymisiert behandeln“, erklärt León weiter.


Datenschutz: Real musste zurückrudern

Warum das wichtig ist, zeigen erste Negativbeispiele in Deutschland. Vor wenigen Wochen hat die deutsche Supermarktkette Real mit der Nutzung einer Gesichtserkennungs-Software in ihren Märkten für Aufregung gesorgt. Es ging darum, vor Werbeflächen die Augen der Kunden zu tracken, um daraus Erkenntnisse für bestimmte Produkte abzuleiten.

Die Nachricht erntete deutschlandweiten Protest bei Datenschützern und besorgten Kunden. Auch Klagen wurden eingereicht. Das Ergebnis: Real lenkte ein und verkündete den Stopp dieser Maßnahme. Der Fehler: Die Kunden wussten nicht, dass sie getrackt wurden.

Ohne Daten keine Personalisierung möglich

Deutsche Konsumenten gelten als besonders skeptisch, wenn es um das Datensammeln geht. Das heißt aber nicht, dass sie sie komplett ablehnen. Im Gegenteil. Zahlreiche Studien belegen, dass die Mehrheit der Konsumenten eine Personalisierung von Angeboten durchaus befürwortet.

Das Problem ist nur, dass die Erstellung individueller Kundenprofile erst durch die Sammlung und Analyse von Kundendaten möglich wird, und dieser Zusammenhang scheint vielen Konsumenten noch nicht bewusst zu sein – vor allem im Bereich des stationären Retails.

Bislang hatte allein der Onlinehandel die Vorteile dieses Kundenwissens nutzen können, im Vergleich zum E-Shop war der reale Laden eine „Black Box“. Deshalb bemühen sich immer mehr stationäre Händler, ihre Läden mit Analysetechnologie aufzurüsten.

So können sie erstmals sicher feststellen, welche Kunden ins Geschäft kommen und wann, wofür sie sich interessieren, welche Wege sie im Laden bevorzugen und auf welche Produkte sie reagieren. Nur wer seine Kunden genau kennt, kann personalisierte Angebote entwickeln und die eigene Relevanz für den Kunden steigern. 

Die moderne Videotechnologie kann nicht nur Ladendiebstähle erfassen, sondern auch umfangreiche Daten zum Kundenverhalten sammeln.
Die moderne Videotechnologie kann nicht nur Ladendiebstähle erfassen, sondern auch umfangreiche Daten zum Kundenverhalten sammeln.
Bildcredit:
Gestoos

Gesichtserkennung wirkt unheimlich

Aktuelle Studien belegen die widersprüchliche Einstellung vieler Konsumenten beim Thema Personalisierung und Datensammeln.  Laut einer Umfrage von RichRelevance, einem Anbieter von Omnichannel Personalisierung, der etwa Kunden wie Breuninger, Blue Tomato oder den FC Schalke 04 betreut, steht mit 71 Prozent die große Mehrheit der Konsumenten solchen Technologien zur Personalisierung des Einkauferlebnisses grundsätzlich positiv gegenüber.

In der jüngeren Zielgruppe der 25- bis 34-Jährigen bewerten sogar 82 Prozent den Einsatz positiv. Es waren aber nur 30 Prozent damit einverstanden, dass der Handel stärker persönliche Informationen sammelt. Fast 70 Prozent der befragten Konsumenten empfanden vor allem die Gesichtserkennung als unheimlich. 

Digitaler Fingerabdruck und Kameras

Andere Formen der digitalen Datensammlung sind weniger problematisch: So haben in der erwähnten Studie immerhin mehr als die Hälfte kein Problem damit, per Fingerabdruck zu bezahlen. Auch individuelle Rabatte und Produktvorschläge, die abhängig vom Standort im Laden auf dem Smartphone angezeigt werden, kommen bei der Mehrheit an.

Selbst Kameras in Umkleidekabinen, mit deren Hilfe Bilder in den sozialen Netzwerken gepostet oder neue Produkt- und Kombinationsvorschläge über Screens eingeblendet werden können, finden mehr als die Hälfte der befragten Konsumenten interessant. Sobald eine Technologie also erkennbare Vorteile bringt, als praktisch und zeitsparend beurteilt wird, fällt die Bewertung wesentlich unkritischer aus.

Das weiß auch Handelsriese Amazon, der mit Amazon Go in den USA gerade einen stationären Laden mit einer in-Store Technologie ausprobiert, die ganz ohne Kassen auskommt. Die Kunden werden über eine auf dem Smartphone installierte App identifiziert – und der Einkauf beim Verlassen des Ladens direkt über Amazon abgerechnet. Hier verschmelzen digitales und reales Kundenprofil miteinander und erhalten eine völlig neue Qualität.


Digitale Werbung in Echtzeit aufs Handy

Kameras am Ladeneingang oder im Geschäft sind tatsächlich längst mehr als eine Sicherheitsmaßnahme gegen Ladendiebstähle, wie viele Kunden noch glauben. „Der Datenerfassungsprozess ist der erste Schritt zum Aufbau von Wissen im Laden“, so Germán León von Gestoos.

So können Kameras Personen zählen und mithilfe einer speziellen Software kategorisieren nach Geschlecht, Alter und Kleidermarken einordnen. Daraus lassen sich Rückschlüsse hinsichtlich Vorlieben und Kaufkraft der jeweiligen Personen ziehen.

Kameras können auch Laufwege im Laden analysieren und Orte registrieren, wo Kunden stehen bleiben. Damit lässt sich die Gestaltung des Ladens optimieren. Selbst die Bewegung der Augen und die Gefühle der Kunden können Kameras erfassen.

„Unsere Software basiert auf Künstlicher Intelligenz und kann derzeit auf eine Bibliothek von mehr als 120 Gesten und eine unendliche Anzahl von Verhaltensweisen zurückgreifen“, erklärt Germán León weiter. Damit kann die Kamera in Sekundenschnelle ihr Gegenüber analysieren und – das ist entscheidend – in Echtzeit passende Angebote generieren.

Digitale Werbebotschaften, die im Laden auf Screens laufen oder über Push-Nachrichten aufs Handy kommen, können in Echtzeit an die Kunden angepasst werden, bis hin zu einer personalisierten Preisgestaltung. Letztlich ist die Videotechnik bereits so ausgereift, dass sie auch Personen identifizieren kann.


Wi-Fi für Kunden in den Geschäften

An Flughäfen hilft sie, VIPs und Kriminelle zu erkennen. In einem Laden können solche Kameras Personen mit Hausverbot identifizieren und in Echtzeit die entsprechenden Maßnahmen einleiten.

Bleibt die Frage, wie man als Retailer diesen Drahtseilakt zwischen der Datensammlung und dem vertrauensvollen Umgang damit erfolgreich bestreiten kann? Wie sagt man dem Kunden am besten, dass sein Verhalten analysiert wird?

Germán León: „Die beste Praxis ist es, die Kunden in den Läden mit einem intelligenten Wi-Fi und Digital Signage zu begrüßen, um sie auf die Verwendung von Datenerfassung aufmerksam zu machen.“




Dr. Regina Henkel Autor: Regina Henkel