Nähme man eine Landkarte vom Ende des 16. Jahrhunderts zur Hand, wäre der Mont Blanc wohl schon verzeichnet. Allerdings müsste man ihn hier noch unter dem Namen „Montagne Maudite“ – der verfluchte Berg – suchen. Denn über viele Jahrhunderte galt der Berg bei den Menschen in der Region als Hort des Bösen. Geister wurden unter seinen Gletschern vermutet, die man tunlichst nicht stören sollte. Und Drachen? Die gab es natürlich auch.
Liest man die Nachrichten aus heutiger Zeit, stellt sich oft die Frage, ob die Menschen von damals vielleicht gar nicht so falsch lagen. Zwar wurden bisher weder Geister noch Drachen gesichtet, doch finden gerade im Mont-Blanc-Massiv Jahr für Jahr Dutzende Bergsteiger den Tod. Sie werden beim Bergsteigen unter Schneelawinen begraben, stürzen mit Überhängen in die Tiefe oder sterben schlicht an Unterkühlung oder Überanstrengung.
Doch zurückdrehen lässt sich die Geschichte nicht, und ernsthaft würden das auch nur die Wenigsten wollen. Die Geschichte des Bergsports am Mont Blanc – die zugleich als Beginn des modernen Alpinismus gilt – beginnt in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Da ist der Berg bereits vermessen und hat sich dabei den Titel des höchsten Gipfels in Europa erworben – ein Superlativ, der bis heute Begehrlichkeiten weckt. Es beginnt die Jagd auf den Gipfel, um 1760 befeuert durch den Schweizer Naturforscher Horace-Bénédict de Saussure, der nicht nur ein Preisgeld für die Erstbesteigung aussetzt, sondern gleich selbst einen Versuch wagt. Wie viele andere Bergsteiger auch scheitert er, was wohl vor allem im Zusammenhang damit steht, dass man immer wieder von ganz unten beginnt. Denn eine Nacht auf dem „Verfluchten Berg“? Das kommt bis dato nicht in Betracht.
Erst 1786 passiert dem ortsansässigen Bergsteiger Jacques Balmat, geboren 1762 in Chamonix, ein folgenschweres Missgeschick: Er wird von seiner Gruppe getrennt und muss, erzwungener Maßen, auf etwa 4.000 Metern verweilen. Er biwakiert, überlebt und lernt. Nur wenige Wochen später, am 7. August 1786, sucht er sich in Michel-Gebriel Paccard einen Gleichgesinnten und steigt mit ihm bis zu einer Höhe von rund 2.300 Metern auf. Am Folgetag früh am Morgen setzen die Männer ihre Tour fort. Das Resultat: Um 18.23 Uhr stehen die ersten beiden Menschen auf dem Gipfel des Mont Blanc, der damals übrigens noch zum Königreich Sardinien gehört. Vier Jahre später zeigt sich Balmat dann auch noch bei dem Genfer Wissenschaftler de Saussure erkenntlich und steigt mit ihm gemeinsam auf den höchsten Alpengipfel.
Die Bergfreunde, die heute in Richtung Gipfel aufbrechen, werden in Hunderten gezählt. Selbst Eltern mit ihren minderjährigen Kindern machen sich auf den Weg. Das liegt wohl auch an der guten Infrastruktur, die eine verhältnismäßig einfache Besteigung ermöglicht – und damit oft genug zur Selbstüberschätzung führt. 4.810 Höhenmeter bleiben es, auch wenn man nicht der Erste ist.
Von Italien und Frankreich aus – der Berg liegt in der Mitte – gibt es mehrere Routen, die heute als üblich gelten. Hauptroute ist wohl der Aufstieg im Nordwesten, den die meisten in knapp 2.400 Höhenmetern beginnen. Hier endet die Zahnradbahn „Tramway du Mont-Blanc“, die im rund 12 Kilometer entfernten französischen Ort Le Fayet ihren Anfang nimmt. Vom Aussichtspunkt an der Zahnradbahn geht es am Ende über den Bossesgrat zum Gipfel.
Neben weiteren Routen, vor allem vom benachbarten Aiguille du Midi, der per Seilbahn erreichbar ist, können erfahrene Bergsteiger auch alternative Kletterwege hoher Schwierigkeit probieren. Sie entgehen so dem Massenbetrieb, den Extrembergsteiger Arved Fuchs 2012 im Focus mit den Worten geißelt, „die Natur wird zu einer Art Freizeitpark degradiert“. Damals waren am Mont Blanc gerade wieder neun Bergsteiger bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen. Er ist der Berg mit der höchste Unfallstatistik weltweit. Leider unterschätzen viele Bergsteiger den anspruchsvollen Aufstieg.
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