25.05.2016

Jason Paul: „Freerunning ist viel kreativer als Parkour“

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Noch als Teenager hat Jason Paul am liebsten Videospiele gezockt, doch dann zog es ihn nach draußen: Der 25-Jährige gehört mittlerweile zu den berühmtesten Freerunnern der Welt. Paul ist auf der ganzen Welt unterwegs und versucht, immer wieder neuen verrückte Stunts zu kreieren. Im Interview mit ISPO.com spricht Jason Paul über die Gefahren in seinem Sport und warum er immer aufpassen muss, sich nicht strafbar zu machen.

Jason Paul sucht sich die verrücktesten Orte für seine Freerunning-Stunts aus: Auch auf einem Segelboot können starke Stunts abgeliefert werden.
Jason Paul sucht sich die verrücktesten Orte für seine Freerunning-Stunts aus: Auch auf einem Segelboot können starke Stunts abgeliefert werden.

Ihr Name klingt nicht sehr Deutsch. Ist Jason Paul etwa ein Künstlername?
Ich heiße wirklich so. Mein Vater ist Brite, meine Mutter Deutsche. Ich bin in Frankfurt geboren und zweisprachig aufgewachsen.

Leben Sie noch in Frankfurt?
Ich habe 21 Jahre lang in Frankfurt gelebt, war aber viel unterwegs. Irgendwann lohnte sich eine eigene Wohnung nicht mehr. 

Keinen festen Wohnsitz?
Ich habe mich von allem, was nicht in meinen Koffer passt, getrennt und reise von einem Projekt zum nächsten.

Waren Sie ein sportliches Kind?
Ich kletterte auf Bäume, war viel in Bewegung, aber in jeder Sportart nur Durchschnitt, konnte keinen Handstand und schaffte maximal zwei Klimmzüge.

 

 

Heute sind Sie einer der besten Freerunner der Welt. Wann haben Sie den Sport für sich entdeckt?
Als Kind war ich ständig draußen. Fußball war nie mein Ding, ich wollte den Ball lieber auf’s Dach schießen, weniger ins Tor. Ab einem gewissen Alter galt es als kindisch, auf Bäume oder über Hindernisse zu klettern. Ich flüchtete mit 10 in die Welt der Videospiele und vergnügte mich mit Prince of Persia, Spiderman oder Batman.

Womit Sie Ihrem Grundbedürfnis – Klettern und Springen – in der virtuellen Welt treu geblieben sind.
Wohl wahr. Ich hockte täglich locker fünf Stunden vorm Rechner.

Wann kam die Wende?
Mit 14 sah ich zufällig ein Video von ein paar jungen Männern aus Paris, die über Mauern, von Dach zu Dach gehechtet sind. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich sah die Bewegungen und wusste: That’s it!

 

 

Freerunning- und Social-Media-Star

Aus der virtuellen Welt ging’s direkt auf die Straßen Frankfurts?
In Frankfurt gab es niemanden, der uns etwas zeigen hätte können. Mein bester Kumpel und ich haben uns alles selbst beigebracht. Freerunnig war unbekannt. Anfangs sind wir ganz banal viel über Mauern geklettert und gesprungen.

Das war spannend?
Sehr sogar. Wir erlebten Frankfurt neu, waren ständig auf der Suche nach irgendwelchen Kanten und Vorsprüngen. Wir starteten unbeholfen, aber sehr motiviert und wurden immer besser.

Der erste Salto?
(Lacht) Den haben wir erst mal eifrig im Freibad oder nachts auf der Leichtathletik-Anlage auf der Hochsprungmatte geübt.

Gibt es einen Unterschied zwischen Parkour und Freerunning?
Parkour ist der Ursprung der Bewegung, in Paris entstanden, kommt aus dem Militärischen und folgt eher einem Kampfsportgedanken. Wie bewege ich mich, falls ich gejagt werde? Wie springe ich am besten aus einem brennenden Haus? Es geht darum, sich in Notsituationen möglichst effizient zu bewegen. Später kamen Freestyle Elemente hinzu. Freerunnig ist viel kreativer und spaßbetonter.

Ihre Clips werden millionenfach geklickt. Das Netz ist Ihre Bühne. Sieht man Sie auch bei Wettbewerben?
Ich habe früher sehr erfolgreich an Contests wie „Art of Motion“ und den jährlich stattfindenden Weltmeisterschaften teilgenommen, weshalb Sponsoren auf mich aufmerksam wurden. Mittlerweile aber machen mir Foto- und Filmproduktionen mehr Spaß.

Weil Sie selbst einst von einem Video in den Bann gezogen wurden?
Wenn ich junge Menschen für Sport begeistern kann, gibt mir das viel mehr als einen Contest zu gewinnen. Ich bin in der Social Media Welt zu Hause. Klassische Medien nehmen weniger Notiz von mir und haben eine deutlich geringere Reichweite. Ohne Facebook, Instagram, YouTube oder den Red Bull Kanal würde mein Leben heute anders aussehen.

 

Einer der Topstars der Freerunning-Szene: Jason Paul.
Einer der Topstars der Freerunning-Szene: Jason Paul.
Bildcredit:
Red Bull

Freerunning ist Kunst im urbanen Lebensraum

Verfolgen Sie andere Sportarten im Netz?
Viel Inspiration ziehe ich aus dem Klettersport, Breakdance und Capoeira. Natürlich schaue ich mir auch gerne die Clips von Danny MacAskill an.

Welchen Stellenwert hatte YouTube in Ihren Anfängen?
Als ich mit Freerunning anfing, hatte der Sport keinerlei Struktur. Zeitgleich wurde aber YouTube geboren. Ich schaute mir erste Clips von anderen Freerunnern an und übte, verfeinerte die Tricks. Dabei filmte ich mich selbst und lud im Anschluss meine Filme hoch. Plötzlich waren wir Freerunner eine weltweite Community. Wir präsentierten uns im Netz, inspirierten uns gegenseitig und tauschten uns aus.

Ein Stativ und YouTube waren also Ihre Tools, um sich weiterzuentwickeln?
(Lacht) Wenn man so will, ja. Zu Hause habe ich die Filme geschnitten, mit Musik unterlegt und ab damit ins Netz. Über die Jahre wurde das Filmen und Fotografieren eine zweite Leidenschaft von mir. Heute haben wir unseren eigenen YouTube-Kanal. Gemeinsam mit meinem Partner Red Bull setze ich pro Jahr zwei, drei größere Projekte um. Mit unserer eigenen Firma „Team Farang“ – bestehend aus vier Personen – produzieren wir jährlich 10 bis 12 Videos. Darüber hinaus vertreiben wir Klamotten und filmen Auftragsarbeiten für Firmen.

Wie definieren Sie Ihren Sport? Als Kunst, Akrobatik oder eine spektakuläre Fortbewegungsart?
Es gibt sehr athletische Freerunner, die sich von einem Trick zum nächsten puschen. Meine Herangehensweise ist eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem urbanen Lebensraum. Ich überlege mir nicht zu Hause einen Trick und suche dann einen entsprechenden Spot.

Sondern?
Ich gehe raus und finde ungewöhnliche Gebäude oder eine Mauer, die in einer verführerischen Kombination zu einer anderen steht. Beim Anblick entsteht die Idee zur Bewegung. Ich nehme eine Stadt mit meinen Augen wahr, lasse mich von ihr nicht einschränken, sondern benutze sie, um mich kreativ zu entfalten. Das sportliche Element ist ein Mittel zum Zweck, um den kreativen Prozess voranzutreiben. Meine technischen Skills sind die Basis.

 

 

Haben die spektakulären Bewegungen eigentlich einen festen Namen?
Wir sprechen von Tricks oder Moves. Ja, es gibt Bezeichnungen wie Wallflip, Backflip, Frontflip, Two-Step Wallflip, Wallflip Full etc. Wer einen neuen Move kreiert, kann ihm einen Namen geben. Da es sich häufig lediglich um minimale, neu entwickelte Nuancen handelt, verzichtet man aber meist darauf.

Wie sieht Ihr Trainingsalltag aus?
Früher war ich sechs bis acht Stunden pro Tag im Training. Vor und nach der Schule, in der Halle, beim Krafttraining, im Anschluss Dehnen und natürlich möglichst viel auf der Straße. Unter allen Extremsportlern gehören Freerunner zu den sehr sportlichen. Wir benutzen weder ein Bord, noch ein Trial Bike, keine Rampe, also nichts, was uns unterstützt. Wir haben nur unseren Körper. Der muss gut trainiert sein. Heute trainiere ich mangels Zeit sehr gezielt.

Wieso trägt ein Freerunner keine Protektoren?
(Lacht) Wenn ich einen Helm brauche, dann verzichte ich besser auf den Trick.

Hat jeder Freerunner einen persönlichen Stil?
Ich erkenne am Style, wie und wo jemand trainiert, ob er eine Halle hat oder nicht. Als Profi checkt man sofort, ob jemand früher Turner war oder aus der Inlineskate-Ecke kommt. Das spiegelt sich im Stil der Bewegungen wider. Ich kann auch Nationalitäten erkennen 

Wie das?
Russen sind stark an Stangen, weil es in Russland viele Parks mit derartigen Einrichtungen gibt. Sie sind wahnsinnig gut in der Höhe, weil sie, da es kaum gute Hallen hat, viel im Sand üben. Die Spanier wiederum sind über deren Architektur auffallend gut an Treppengeländern. Mittlerweile aber vermischen sich die Stile, weil sich alle Freerunner an den Videos anderer orientieren.

Gibt es also Freerunner, die einen auf Jason Paul machen?
Ja, sie lassen sich von meinem Stil inspirieren, was ich toll finde, aber sie interpretieren mich neu.

Kann man Sie kopieren?
(Lacht) Nicht wirklich. Mein Stil ändert sich mit jedem urbanen Playground, da ich mich dem künstlerisch-sportlich anpasse.

 

 

„Es darf kein Hausfriedensbruch sein“

Stichwort Verletzungen.
Von Schürfwunden, Prellungen und Zerrungen abgesehen, habe ich mir einmal den Arm gebrochen und ein paar Bänder gerissen. Ich bin sehr fokussiert, mache große oder hohe Sprünge nur, wenn ich mir sicher bin 

Können Sie Angst ausblenden?
Klar habe ich Angst, wenn ein Sprung besonders weit gehen muss oder wenn ich aus großer Höhe springe. Ich habe gelernt, meine Angst zu kontrollieren, zu überwinden. Wenn mein Kopf weiß, dass ich einen Sprung am Boden bereits gut draufhabe, kann ich damit auch in die Höhe gehen. Ich studiere den Spot akribisch, wähle eine logische Linie und visualisiere Plan B und C. Bei extremer Konzentration schalte ich dann auf Autopilot und wage den Sprung.

Plan B und C muss man sich wie vorstellen?
Ich muss meinen Körper kontrollieren können, wenn etwas schief läuft. Wo kann ich mich festhalten, wenn ich zu kurz komme? Was, wenn ich irgendwo abrutsche? Ich muss den worst case planen, um nicht rückwärts zu fallen. Wenn’s richtig brenzlig wird, muss ich mich schnell drehen können, um wenigstens die Landung einzusehen.

Zeigen Sie lieber einen spektakulären Trick oder eine ganze Choreografie?
Manchmal törnt mich ein einzelner Sprung an. Wobei: Vom Stil her bin ich eher einer, der einen ganzen Run zeigen will.

Kann Jason Paul mit seiner Freundin entspannt in Paris zum Sightseeing gehen?
(Lacht) Nein, ich bin tatsächlich immer am Auschecken. Ich nehme nur Hindernisse wahr.

Sie können nie abschalten?
Solange du nicht lesen kannst, interessieren dich Texte nicht. Kannst du es aber, schaffst du es nicht, einen vorliegenden Text zu ignorieren. Du willst ihn inhaltlich erfassen.

Gibt es Locations, an denen Sie Ihren Sport unbedingt demonstrieren wollen?
Epische Orte wie die Ruinenstadt von Maccu Picchu ziehen einen in den Bann. Manchmal entdecke ich auch nur ein cooles Gebäude, finde den Architekten heraus, google seine Werke und mache mir Notizen für den Fall, einmal vor Ort zu sein. Bin ich es dann, muss ich sicher gehen, dass mein Vorhaben nicht als Hausfriedensbruch ausgelegt wird.

Sondern?
Dass ich mich wenigstens in einer Grauzone bewege. (Lacht) Im Knast jedenfalls bin ich noch nie gelandet.

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Johanna Stöckl Autor: Johanna Stöckl