Ohne Sport keine gesunde Gesellschaft. Schulsport wirkt Fettleibigkeit schon im Kindesalter entgegen und schafft Lust an Bewegung. Sportangebote wie Fitnessstudios oder Breitensportvereine schaffen körperlichen und mentalen Ausgleich und beugen Zivilisationskrankheiten vor.
Doch beim Blick auf politische Entscheidungen saß der Sport zuletzt oft nur an der Seitenlinie: In Deutschland fällt fast jede vierte Stunde Sportunterricht an der Schule aus. Fitnessstudios, Sportvereine oder Skigebiete mussten trotz erarbeiteter Hygienekonzepte in Europa monatelang schließen und rangen um ihr wirtschaftliches Überleben.
„In Deutschland war die zu leise Outdoor-Sport-Lobby in der Coronapandemie ein Schwachpunkt“, bemängelte Prof. Dr. Manuel Sand vom Adventure Campus Treuchtlingen im ISPO.com-Interview.
Doch wie können Verbände und Labels dem Sport die Stimme geben, die seiner gesellschaftlichen Rolle gerecht wird? Wie gelingt Lobbying for Good, also im Sinne gesetzlicher Rahmenbedingungen für eine gesunde Gesellschaft, Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen? Laura Santucci muss es wissen.
Die US-Amerikanerin war einst Wahlkampfberaterin von Barack Obama bei dessen Präsidentschaftswahlkampf und arbeitete als Special Assistant der Obama-Administration im Weißen Haus. Zudem war sie für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen in Rom tätig. Im Rahmen der Outdoor Conference gab sie auf der OutDoor by ISPO 2022 einmalige Einblicke in erfolgreiche Lobbyarbeit – for Good!
Ihr wichtigster Grundsatz: „Wer nicht mit am Tisch sitzt, steht auf der Speisekarte.“ Damit der Sport seinen Platz am Verhandlungstisch sicher hat, empfiehlt Santucci, die vor ihrem Obama-Engagement die Interessen von Pflege- und Krankenhauspersonal erfolgreich vertrat, das Arbeiten an zwei Fronten: „Du brauchst ein Inner und ein Outer Game.“
Das „Inner Game“ sind Treffen mit politischen Entscheidungsträgern etwa in Parlamenten, Ministerien oder Kommissionen. Die Aufgabe hier: Netzwerken und Interessen abklopfen. „Was motiviert die einzelnen Gesetzgeber? Das findet man nicht mit einem netten Positionspapier heraus. Man muss Kontakte knüpfen und auch mal in den Hinterhöfen wühlen. Diskretion ist dabei besonders wichtig.“ Einen Schönheitspreis gewinne man damit zwar nicht, „aber nur so kann man letztlich als Branche Fortschritte erzielen“.
Dabei gilt nicht automatisch das Prinzip „je mächtiger, desto besser”, so Dr. Martin Frick vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, der ebenfalls als Speaker bei der Outdoor Conference sprach: „Zugang zu hochrangigen Institutionen bedeutet nicht automatisch mehr Macht.“ So seien auch Rufe der deutschen Sportbranche nach einem neu gegründeten Sportministerium als Ansprechpartner kein Allheilmittel. Vielmehr könnte Lobbyarbeit auf Kommunal- und Landesebene mit einem viel kleineren Hebel Türen öffnen.
Das „Outer Game“ besteht aus PR-Arbeit: Ob in Werbekampagnen, sozialen Medien, Interviews oder beauftragten Studien. Hier kann die Sportbranche ihre eigenen Themen setzen und so die gesellschaftliche Debatte bereichern und mitlenken. Dr. Frick ermutigt die Sport- und Outdoorbranche, hier noch aktiver zu werden. „Ihr verkauft nicht nur Caps, Sneaker, Fahrräder oder Zelte. Ihr verkauft eine Identität und einen Lifestyle, der mit euren Brands verbunden wird. Die Menschen, die eure Werbung sehen, sind dieselben, die wählen gehen.“
So können Outdoor-Marken etwa das Thema Nachhaltigkeit weiter forcieren. „Diese Macht der Wahrnehmung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie hat einen viel größeren Einfluss, als es jedes UN-Programm je haben könnte“, so Frick. So habe etwa die Ölindustrie über Jahrzehnte die öffentliche Debatte über den Klimawandel mit millionenschweren Kampagnen zu ihren Gunsten beeinflusst und liefere Klimawandelskeptikern mit ihren Studien bis heute argumentative Munition.
Bei der PR-Strategie lohnt sich laut Santucci auch ein Blick über den Tellerrand hinaus auf Erfolgsgeschichten anderer Branchen. Wie etwa hat sie höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für Krankenhauspersonal erstritten? „Wir haben uns mit den CEOs der Krankenhäuser zusammengetan. Wir haben den Zusammenhang zwischen der Qualität der Behandlung und der Qualität der Arbeitsbedingungen hergestellt.“ Und welcher Politiker wolle schon freiwillig eine schlechtere Pflegequalität durchwinken?
Auch eine gemeinsame Initiative als Branche sei laut Dr. Frick wichtig. So habe etwa das Pariser Abkommen zum Klimaschutz trotz der drohenden Verfehlung seiner Ziele einen Rahmen zur Messbarkeit gegeben. „Es ist wichtig, dass die Branche wie etwa beim Pariser Abkommen selbst zum Vorbild wird, damit noch mehr Menschen nach dieser Idee streben. Wir setzen Sterne in den Nachthimmel, an denen sich alle orientieren können.“
Angesichts wankender Lieferketten, Ressourcenknappheit und des Klimawandels ist diese Orientierung wichtiger denn je. Wenn sich die Sportbranche eines laut Laura Santucci nicht leisten könne, dann Untätigkeit: „So volatil wie die weltpolitische Lage aktuell ist, so wichtig ist es, dass Menschen aktiv werden, sich beteiligen und für gute Zwecke eintreten“.
Damit bei der nächsten politischen Entscheidung nicht erneut der Sport verliert – und mit ihm die Gesellschaft.
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