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Standpunkte

Höhere Ansprüche

  • Günter Kast
  • 30. Oktober 2019
Credits Titelbild: Hans Herbig

Alpinsport boomt. Und Bergretter schlagen Alarm: Vielen Outdoor-Fans fehle es an alpiner Erfahrung, immer mehr bringen sich leichtfertig in Gefahr. Was ist da los am Berg? Ein Gespräch mit Hansi Stöckl, Bergführer und Mitinhaber der Bergschule »Alpine Welten« – die interaktive Online-Tutorials entwickelt hat, um die vielen Berg-Rookies besser vorzubereiten


Draußensein ist angesagt. Aber viele Outdoor-Fans verursachen aufgrund fehlender Praxis und Erfahrung überdurchschnittlich viele Unfälle. Lässt sich das eigentlich statistisch belegen?

Die Zahlen der schlimmen Unfälle sind zum Glück seit Jahren relativ konstant. Obwohl deutlich mehr Menschen ins Gebirge gehen als früher. Bei Skitouren sind Sicherheitsausrüstung und Risikomanagement sogar deutlich besser geworden – da gibt es kaum mehr Lawinenopfer, obwohl die Zahl der Skitourengeher stark zugenommen hat. Die häufigsten Outdoor-Unfälle sind eher harmlos: Bänderrisse, Knieverletzungen, solche Sachen. 

Es häufen sich Berichte über Anfänger an Klettersteigen, die nicht mehr vorwärts- oder zurückkommen – oder E-Mountainbike-Fahrer, denen im hochalpinen Gelände der Saft ausgeht und die dann per Handy die Bergrettung alarmieren.

Und genau das gab es früher tatsächlich nicht so häufig. Blockaden und Selbstüberschätzung nehmen leider nicht nur an Klettersteigen zu, sondern auch beim vermeintlich leichten Wandern. Und im Smartphone-Zeitalter ist die Hemmschwelle, die 112 zu wählen, gesunken. Früher war es ja nicht so einfach, einen Notruf abzusetzen.

Aber waren die Bergfreunde vor 20 oder 30 Jahren wirklich erfahrener?

Ich glaube schon. Heute lassen sich Bergsportreisen rund um den Globus – auch bei uns – sehr einfach buchen. Das fördert eine gewisse Dienstleistungsmentalität und erzeugt ein Anspruchsdenken: Man bezahlt für etwas. Und bekommt eine Leistung dafür. Aber so einfach ist das am Berg eben nicht. Früher hat man sich langsam an höhere Aufgaben herangetastet. Heute standen einige schon auf dem Kilimandscharo, können sich aber im weglosen Schrofengelände nicht trittsicher bewegen.

Alles geht etwas zu schnell. Auf YouTube zuhause am Rechner sieht die Watzmann-Überschreitung einfacher aus als sie es in der echten Bergwelt dann ist. Ein bisschen müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen: Wir alle – alpine Vereine, Bergschulen und Outdoor-Industrie – suggerieren, wie schön und einfach es ist, in den Alpen unterwegs zu sein.

Hansi Stöckl gehörte früher dem deutschen Biathlon-Nationalkader an. Heute ist er gerne in steilerem Terrain unterwegs
Bildcredit: Hans Herbig / Hans Herbig

Fehlende Erfahrung an sich kann man ja niemandem zum Vorwurf machen…

Richtig, aber es ist natürlich sinnvoll, wenn die Kunden nicht nur perfekt ausgerüstet zur gebuchten Tour erscheinen – was inzwischen Standard ist –, sondern dieser auch konditionell, mental und technisch gewachsen sind. Dass man sich und sein Können einfach realistisch einschätzt.

Warum war das früher selbstverständlicher?

Ich glaube, die Leute sind heutzutage zwar gut trainiert, aber es fehlt ihnen die Trittsicherheit. Die lernt man leider nicht im Fitnessstudio auf dem Spinning-Rad. Eine exponierte Querung im losen Geröll wird dann zu einer echten Hürde für einen topfitten Marathonläufer. Deshalb sind Kurse so wichtig, in denen das ABC des Bergsteigens Schritt für Schritt erlernt wird.

Die Alpenvereine bieten solche Grundkurse an, wir natürlich auch. Und wir glauben, dass digitale Hilfsmittel eine Rolle spielen können, weswegen wir eine Serie Online-Tutorials entwickelt haben. Die sollen und können nicht die Praxis am Berg ersetzen, aber sie vermitteln wichtiges Wissen, vor allem bei den Basics – die am Berg auch immer wieder vergessen werden.  

„Trittsicherheit lernt man nicht im Fitness-Studio", sagt Hansi Stöckl. Er lebt in Schönau am Königssee. Zum Bergsteigen war er aber auch schon in Island, Kirgisistan und Patagonien
Bildcredit: Hans Herbig / Hans Herbig

Um welche Themen geht es dabei?

Wir haben bislang zwei solcher Tutorials live geschaltet – eins zum Thema „Bergwandern“, ein weiteres zu „Hochtouren“. Beim Bergwandern kann man sich in zehn Schritten durch das Menü klicken und sein Wissen sukzessive erweitern. Zum Beispiel die richtige Planung und Durchführung von Bergtouren lernen. Es geht um die richtige Ausrüstung. Oder um die Klassifizierung von Wanderwegen. Bei der Planung zeigen wir, wie man Gehzeiten richtig berechnet, welche Wetterberichte man im Netz findet, welche Online-Kartenwerke es gibt. Alles interaktiv, mit kurzen Filmen unterlegt.

Nochmal: Die Tutorials sollen nicht die Praxis ersetzen. Aber es hilft durchaus, wenn ich mir im Film anschaue, wie man Koordination und Gleichgewicht trainieren kann. Und welche Rolle dabei die Psyche spielt. „Soft Skills“ wie Erfahrung, psychische Stärke und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten hängen eng zusammen. Es braucht Zeit, diese Skills zu entwickeln. Aber es gibt dennoch Tricks, wie ich herausfinden kann, ob ich einer Tour gewachsen bin.

Zum Beispiel?

Sprecht mit den Locals, mit Bergwanderführern und Hüttenwirten. Redet über vergleichbare Touren, die beide Seiten kennen. Die Profis können Euch oft auch wertvolle Informationen über aktuelle Weg- und Wetterverhältnisse geben.

 

Her geht es zu den Tutorials der Bergschule Alpine Welten