Als Columbia Sportswear 1938 in Portland, Oregon, gegründet wurde, gab es noch keine globalen Marken, neinen Outdoor-Markt. Und E-Commerce schon gar nicht. Massiver Wandel hat das Unternehmen in all den Jahren nichts anhaben können. Jetzt also die Digitalisierung.
Im Gegenteil: Columbia Sportswear verbuchte 2016 einen Rekordumsatz von 2,38 Milliarden Euro. Marken wie Sorel, Mountain Hardwear und Prana gehören inzwischen zum Portfolio.
Wesentlichen Anteil am Erfolg hat Gertrude Boyle, die mit ihren 93 Jahren bis heute Vorstandsvorsitzende ist. Für ihre Leistung wurde sie auf der ISPO Munich 2018 mit dem ISPO Pokal geehrt.
Wie Gertrude Boyle hat auch ihr Sohn Tim Boyle, CEO von Columbia Sportswear, eine ausgesprochen soziale Ader. Mit einer Spende von 1,5 Millionen Dollar unterstützte er den Bau einer modernen Obdachlosenunterkunft in Portland, der im Sommer 2018 fertiggestellt werden soll.
ISPO.com hat mit Tim Boyle über die Herausforderungen der Digitalisierung und Frauen in Führungspositionen gesprochen.
ISPO.com: Herr Boyle, in der Orderphase spielt das Wetter immer eine wichtige Rolle. Sind Sie zufrieden mit dem aktuellen Winter?
Tim Boyle: Wir haben in den USA sehr kalte Temperaturen, das heißt für uns immer, dass wir auch sehr gut verkaufen und die Lagerbestände sehr gut reduzieren können. Die ausführlichen Angaben zu den Umsätzen veröffentlichen wir aber erst im Februar.
Viele Marken wollen sich unabhängiger vom Wetter machen, etwa durch mehr Mode in den Kollektionen. Wie sieht Ihre Strategie aus?
Wir haben unser Business in den letzten Jahren immer mehr „entwintert“, das heißt nicht, dass der Winter keine Rolle mehr spielt, denn die Winterartikel sind im Durchschnitt immer noch teurer als Sommerprodukte und daher wichtige Umsatzbringer. Es hat sich aber gezeigt, dass inzwischen andere Saisons einen größeren und stabileren Einfluss auf unser Geschäft haben. Vor allem in der Frühjahr- und Herbst-Saison sind unsere Umsätze am größten, weil dann zum Beispiel wichtige Ferienzeiten sind.
Sie präsentieren in der neuen Kollektion eine Heritage Linie, ist das auch ein Versuch sich vom Wetter unabhängig zu machen?
Der Kunde würde auch das nicht kaufen, wenn es nicht kalt ist! Natürlich wollen wir attraktive Produkte anbieten, aber wenn das Wetter nicht mitspielt, nutzen ihnen die schönsten Kollektionen nichts.
Das große Thema der Branche und darüber hinaus lautet Digitalisierung. Amerikanische Brands sind da oft schon viel weiter als manche europäische Marke. Woran arbeiten Sie gerade?
Die Digitalisierung ist für uns ein dauerhafter Prozess, mit dem wir schon vor einigen Jahren begonnen haben und kontinuierlich investieren. Gerade sind wir dabei, unser ERP-System fertigzustellen, das wir mit SAP zusammen entwickelt haben. Die letzte Installation wird tatsächlich in Europa stattfinden, dort soll es im Mai live gehen.
Unser Ziel ist es, mithilfe der Digitalisierung mehr Kontrolle zu haben über unser digitales Business und über unseren weltweiten Warenbestand. Außerdem können wir darüber unsere Inhalte für die verschiedenen Länder und Märkte wesentlich einfacher und besser steuern.

Welche Märkte sind da gerade die Treiber?
Für China sind digitale Lösungen am wichtigsten. Dort stellen wir ein enormes Wachstum im Bereich des digitalen Business fest. 58 Prozent des E-Commerce findet dort über mobile Endgeräte statt und die Verbindung zwischen Social Media und Shopping ist wesentlich weiter fortgeschritten als in den USA oder in Europa. Online Business und Kommunikation sind dort ganz eng verzahnt.
Wie nutzen Sie digitale Prozesse innerhalb Ihrer Organisation, etwa in der Produktion oder der Produktentwicklung?
Wir haben keine eigenen Produktionsanlagen, insofern gibt es dort keine derartigen Initiativen. Im Bereich der Produktentwicklung arbeiten wir aber bereits digital, etwa durch 3D-Simulation und 3D-Druck beispielsweise im Bereich Footwear. Wir können zwar noch nicht auf Prototypen verzichten, aber wir können sie reduzieren und gewinnen damit wertvolle Zeit und sparen Kosten.
Welche Märkte sind für Sie gemessen am Umsatz am wichtigsten?
Die USA liegen mit 60 Prozent ganz vorne. In Europa erwirtschaften wir etwa 10 Prozent unseres Umsatzes. Der größte Markt ist hier Frankreich, gefolgt von Deutschland, Spanien und Großbritannien. Asien ist mit 30 Prozent der größte Markt außerhalb des Heimatmarktes, darunter fallen vor allem Japan und China.
Wie unterscheiden sich die Märkte?
In den USA verkaufen wir stärker direkt an den Konsumenten, in Europa ist das Business stärker vom Wholesale getrieben.
Wie lautet Ihre Prognose: Wie wird sich der Retail in Europa in den nächsten Jahren entwickeln?
Ich bin sicher, dass der E-Commerce Anteil in Europa nicht über 25 Prozent steigen wird. In den USA ist es so, dass 90 Prozent der Konsumenten weiterhin im Geschäft einkaufen wollen – dieses Bedürfnis wird so schnell nicht verschwinden, und das gleiche gilt für Europa. In Europa ist der Konsument sogar noch beständiger, das heißt hier werden sich Global Player wie Amazon langsamer auswirken als in den USA.
Gerade hat Ihre 93-jährige Mutter Gertrude Boyle, die das Unternehmen Columbia seit Jahrzehnten führt, den ISPO Pokal verliehen bekommen. Wie gehen Sie mit dem Thema Frauen in Führungspositionen um?
Wir versuchen schon immer, bei der Vergabe von Positionen völlig unvoreingenommen zu handeln. So kommt es auch, dass unser Finanzressort von einer Frau geleitet wird, was ja eher untypisch ist.
Innerhalb unserer Brands Columbia und Sorel wird viel Wert darauf gelegt, dass wir ein ausgeglichenes Verhältnis haben zwischen beiden Geschlechtern, nicht nur in der Organisation, sondern auch bei den Konsumenten – was im Outdoor-Bereich nicht selbstverständlich ist.
Mit Sorel haben wir es sogar geschafft, den Frauenanteil massiv zu erhöhen. Anfangs war Sorel fast exklusiv eine Männermarke, heute kaufen die Marke zu 70 Prozent Frauen.
Sie waren in diesem Jahr nicht auf der Outdoor Retailer Show, kommen aber zur ISPO Munich. Warum, und was erwarten Sie von Messen heute?
Wir brauchen eine Messe wie die ISPO Munich, um in Europa weiter zu wachsen. Wir sind dieses Jahr zum ersten Mal nicht auf der Outdoor Retailer Show in den USA gewesen. Warum? Die USA ist bei weitem unser größter Absatzmarkt – um dort weiter zu wachsen ist es sinnvoller, mehr in Endverbraucher Marketing zu investieren. Hier ist das anders.
Was halten Sie von der Diskussion, auch Endverbrauchern Zugang zur Messe zu gewähren?
Es gibt schon einige Consumer Shows, aber wir präsentieren uns dort nicht. Ein solches Angebot wäre für uns also kein Grund, eine Messe zu besuchen.