Nike Breaking2 in Monza: Der Vorgänger der Ineos 1:59 Challenge

Marathon-Weltrekord: Wie Eliud Kipchoge 2017 noch an der Zwei-Stunden-Marke scheiterte

Nike nannte seinen Marathon-Weltrekord-Versuch unter Laborbedingungen „Breaking2“: Die Nike-Runner Lelisa Desisa, Zersenay Tadese und Eliud Kipchoge wollten 2017 im italienischen Monza unter zwei Stunden bleiben - und damit einen (inoffiziellen) Marathon-Weltrekord aufstellen. Nicht nur für Nike. Sondern auch ein bisschen gegen Adidas. Am Ende verpasste Kipchoge die Marathon-Bestmarke hauchdünn. Dafür holte er sich 17 Monate später in Berlin auch noch den offiziellen Weltrekord mit einer Zeit von 2:01:39.  Die Zwei-Stunden-Marke knackte er 2019 für eine andere Firma.

Eliud Kipchoge in Berlin nach dem Marathon-Weltrekord
Eliud Kipchoge bricht in Berlin den Marathon-Weltrekord

Der Kenianer und einstige Nike-Läufer Eliud Kipchoge brach beim Berlin Marathon 2018 den offiziellen Weltrekord von Adidas-Läufer Dennis Kimetto. Sein Landsmann war – ebenfalls in Berlin – 2014 eine Zeit von 2:02:57 gelaufen. Mit seiner Zeit von 2:01:39 blieb Kipchoge deutlich darunter. Inzwischen gehört Kipchoge auch die zweitschnellste Zeit: Beim London Marathon 2019 kam der Nike-Läufer nach einer Zeit von  2:02:57 ins Ziel. 

Lesen Sie hier einen Gastbeitrag von Urs Weber, Laufexperte, Autor und Fachredakteur der deutschen RUNNER'S WORLD zum Projekt „Breaking2“, bei dem Kipchoge 2017 unter Laborbedingungen als erster Mensch einen Marathon unter zwei Stunden laufen wollte. Damals scheiterte er. Zwei Jahre später schrieb er dann bei der Ineos 1:59 Challenge Geschichte.

 

Breaking2 war 2017 kein „normaler“ Marathonlauf wie in Berlin, London oder New York, sondern ein inszenierter Versuch, auf der Rennstrecke in Monza einen neuen Marathon-Weltrekord aufzustellen und den von Adidas zu unterbieten. Den drei Läufern kam es nicht auf den Sieg an.

Adidas und Nike wetteifern um Marathon-Weltrekord

Für Lelisa Desisa, Zersenay Tadese und Eliud Kipchoge sollte es einzig darum gehen, den Marathon unter zwei Stunden zu laufen. So das Ziel von „Breaking2“, wie die Marketing-Experten von Nike die Mission benannt haben.

Aber im Grunde geht es um mehr. Um sehr viel mehr. Es geht um Werbung. Es geht um Marketing. Es geht um Technologie. Es geht darum, welcher Sportartikel-Hersteller das Rennen macht, also um Prestige. Erzielt durch einen neuen Marathon-Weltrekord. Mit einem riesigen Marketing- und PR-Team stand Nike hinter der Aktion in Monza.

Marathon-Weltrekord: Nike überholt Adidas

Und damit wollte das US-Unternehmen Boden gut machen, speziell im Running-Bereich, aber auch im Sport allgemein. Nike ist zwar weltweit die Nummer 1 der Sportartikel-Hersteller. Aber die Konkurrenz rückt auf, setzt zum Überholen an.

Und im Running – der Sportart, mit der Nike groß geworden ist – stand es vor Monza und Berlin 2018 im Prestigeduell mit Adidas 1:0 für den deutschen Sportartikel-Konzern aus Herzogenaurach.

Eluid Kipchoge beim Marathon Weltrekord Versuch in Monza auf der Ziellinie
26 Sekunden fehlen Eluid Kipchoge bei der Nike-Mission in Monza, den Marathon-Weltrekord erstmals in unter zwei Stunden zu laufen.

Marathon-Weltrekord jetzt bei Nike und nicht mehr bei Adidas

Die Bilanz der großen Marathonerfolge ist eindeutig. So eindeutig, dass man von einer Dominanz von Adidas sprechen konnte. Das musste die Nike-Schuhentwickler fürchterlich nerven – und die Marketing-Abteilung vermutlich noch mehr.

Jetzt aber hat sich Nike den aktuellen Marathon-Weltrekord geholt. In Berlin lief Kipchoge im Vaporfly 4% Flyknit, die Schuhe hat Nike gemeinsam mit dem Kenianer entwickelt. Das Modell wiegt gerade mal 184 Gramm und ist für jeden zu kaufen. 

Die 2:02:57 Stunden von Dennis Kimetto in Adidas-Schuhen sind nicht mehr das Maß aller Dinge. Kimetto nutzte den adizero Adios BOOST. Schuhe, die 230 Gramm wiegen, deren Mittelsohlenschaum aus einem e-TPU-Material besteht – und auch diese Schuhe sind jeden Läufer im Fachgeschäft oder online erhältlich. 

 

Kein Marathon-Weltrekord trotz vermeintlicher Bestzeit

Mit „Breaking2“ sollten die Nike-Läufer Lelisa Desisa, Zersenay Tadese oder Eliud Kipchoge den Kampf der Schuhhersteller – für jeden sichtbar – für Nike entscheiden. Damit Nike sagen kann: Seht her, das sind die schnellsten Marathon-Schuhe der Welt, sie kommen von uns. 

Und tatsächlich blieb Kipchoge weit unter der Bestmarke von Kimetto, aber weil die Zeit von 2:00:25 Stunden unter künstlichen Bedingungen stattfand, zählte sie nicht als neuer Marathon-Weltrekord.

Foto von Lelisa Desisa, Zersenay Tadese und Eliud Kipchoge vor der geplanten Marathon Weltrekord Zeit von unter zwei Minuten
Auf der Jagd nach dem Marathon-Weltrekord: Lelisa Desisa, Zersenay Tadese und Eliud Kipchoge.

Marketing-Kampagne von Nike

Mit der Mission „Breaking2“ rollte Nike auch eine Marketing-Kampagne für seine neuen Laufschuhe aus. Welche Rolle spielen die Laufschuhe? Vor allem: Welche Rolle spielt das Gewicht der Schuhe? Elite-Läufer wollen für sich das Optimum erreichen, da zählt jedes Gramm.

Und Trainer wollen das Beste für Ihre Athleten, gleichermaßen wie die Schuhentwickler. Die Dassler-Brüder waren genauso von der Gewichts-Frage besessen wie Bill Bowerman, US-amerikanische Trainerlegende und Mitbegründer von Nike.

 



Marathon-Profi oder Freizeit-Läufer: Das Schuhgewicht zählt

Für Weltklasse- wie für Freizeit-Läufer, die ihr Leistungsoptimum erreichen wollen, stellt sich die Frage nach dem Schuhgewicht gleichermaßen – auch wenn sie unterschiedlich beantwortet werden muss. Die Wissenschaftler, die sich damit beschäftigt haben – vornehmlich Biomechaniker oder Trainingswissenschaftler – haben zwar keine restlos befriedigenden Antworten, aber deren Aussagekraft ist ausreichend.

Die Gewichtsreduzierung von Laufschuhen, so wird übereinstimmend argumentiert, spart Energie, die der Läufer in höheres Tempo umsetzen kann. Pro 100 Gramm gespartem Gewicht bei den Laufschuhen wird der Sauerstoffbedarf um ein Prozent reduziert.

Hobbyläufer braucht Laufschuh mit Komfort

Jedoch müssen für die Leistungssteigerung von Athleten zahlreiche Aspekte berücksichtigt werden. So wird von Biomechanikern nämlich auch angeführt, dass die Reduktion von Gewicht in Form von Dämpfungsmaterial wiederum in einem Mehrverbrauch von Sauerstoff resultiert. 

Gerade der Durchschnitts-Hobbyläufer profitiert in stärkerem Maße von den Komfort-Eigenschaften eines Laufschuhs, als dass seine Laufleistung durch das Laufschuhgewicht gemindert wird. Kurz gesagt: Wer es übertreibt mit der Gewichtsreduktion, hat gar nichts gewonnen.



Marathon-Weltrekord und das Gewicht der Schuhe

Das gilt übrigens auch für die aktuellen Jäger des Marathon-Weltrekordes. Experten hatten mit dem Adidas-Schuh von Kimetto folgende Rechnung aufgemacht: Wenn man das Gewicht, also 230 Gramm als Grundlage nimmt und beim Schuh eine Ersparnis von 100 Gramm erzielen könnte – würde dies auf die Marathondistanz gerechnet 57,5 Sekunden Ersparnis bringen, theoretisch.

Rechnen wir weiter: Wenn man das ganze Gewicht einsparte, würde das rechnerisch 2:12 Minuten sparen. Da wäre die 2-Stunden-Marke also inzwischen unterschritten!

Panne bei Eliud Kipchoge bei Berlin-Marathon 2015

Aber irgendwo ist eine Grenze. Einen Weltrekord läuft man schließlich nicht in Badeschlappen. Der Laufschuh muss auch technisch funktionieren.

Auch Eliud Kipchoge kann davon ein Lied singen. Bei seinem Sieg beim Berlin-Marathon (2015) rutschten die Einlegesohlen seines Nike Streak, ein Schuh, an dessen Entwicklung er selbst mitgearbeitet hatte, seitlich aus dem Schuh – was für lustige Fotos sowie hämische Kommentare sorgte und womöglich eine deutlich bessere Siegerzeit verhinderte. Jetzt hat er bewiesen, dass er das besser kann. 

Marathon Weltrekord Läufer Eliud Kipchoge vor dem Siegestor in Berlin 2015
Eliud Kipchoge siegt beim Berlin Marathon 2015 – auch Probleme mit seinen Nike-Schuhen können ihn nicht stoppen.

Nike-Training mit Wissenschaftlern in Tesla-Auto

Für den Weltrekordversuch in Monza wurde eigens ein Schuh entwickelt, der Nike Zoom Vaporfly Elite, ein Vorgänger-Modell des Weltrekord-Schuhs Vaporfly 4% Flyknit. Dieser war speziell auf die Rennstrecke in Monza abgestimmt, ein 2,405 Kilometer langer Rundkurs. Kipchoge musste dort jeden einzelnen Kilometer 4,2 Sekunden schneller laufen als Dennis Kimetto bei seinem Weltrekord in Berlin (2014) – für „Breaking2“ waren es am Ende rund 0,6 Sekunden pro Kilometer zu langsam.

Ein im März zuvor absolvierter Probelauf über die halbe Marathondistanz in Monza war noch vielversprechend, Kipchoge blieb mit 59:17 Minuten deutlich unter der Ein-Stunden-Marke – und „es lief sehr locker“, wie er sagte.

Begleitet wurde er übrigens jeweils von sechs Tempomachern, die in pfeilförmiger Formation vor ihm liefen, um den Fahrtwind zu mildern. Direkt vor den Läufern fuhr ein Tesla, ein Auto mit Elektroantrieb. In dem Auto saßen Wissenschaftler, die GPS-überwacht und elektronisch vom Start bis ins Ziel das exakte Tempo vorgaben, alle 200 Meter wurde die Zwischenzeit genommen.

Keine realistischen Bedingungen für Marathon-Weltrekord

Mit Laser-Strahlen wurde ein Korridor auf den Asphalt projiziert, in dem die Läufer laufen mussten. Hier wurden also Laborbedingungen auf die Straße gebracht. Was auch bei dem Rekordversuch „Breaking2“ fehlte, waren freilich die realistischen Marathon-Bedingungen, das Flair, das einen Marathon für jeden Läufer ausmacht.

Und die realistischen Wettkampfbedingungen, unter denen sämtliche bisherigen Marathon-Bestleistungen aufgestellt wurden; die Engländer nennen das die ehrlichen Mittel, „by fair means“. Und genau deshalb erkennt der Leichtathletik-Weltverband IAAF die Zeit nicht als Weltrekord an.

Warum die Nike-Mission nicht gescheitert ist

Die Amerikaner scheint das wenig zu interessieren. Kipchoge ist knapp über zwei Stunde gelaufen, bis Kilometer 38 war er auf Kurs. Am Ende wurden es 2:00:25 Stunden. Eine übermenschliche Leistung, da sind sich Laufexperten einig. Viele kritisieren aber auch die „Künstlichkeit“.

Ist Nikes Mission also gescheitert? Aus sportlicher Sicht vielleicht. Aber angesichts der riesigen medialen Resonanz für „Breaking2“ dürften die US-Amerikaner durchaus zufrieden sein. Und der Kipchoge-Erfolg 17 Monate später in Berlin dürfte für weitere Genugtuung im Hause Nike sorgen. 

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