Wintersport/27.02.2019

FIS-Marketing-Direktor spricht über Rennformate: „Das geht gar nicht“

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Der Weltskiverband FIS kämpft – auch mit anderen Wintersportarten – um die Gunst der Zuschauer. FIS-Marketing-Direktor Jürg Capol erklärt überraschend offen, warum der Verband auf Bandenwerbung wie vor 25 Jahren setzt und was, aus seiner Sicht, das Hauptproblem beim Thema Vermarktung ist.

Marcel Hirscher bei der Ski-WM in Are
Marcel Hirscher bei der Ski-WM in Are

Der Schweizer Jürg Capol (53) war Langlaufprofi, nach der Sportlerkarriere Kurdirektor in Silvaplana, wechselte zum Weltskiverband FIS, erfand mit Norwegens Langlauflegende Vegard Ulvang die Tour de Ski und ist nun seit zweieinhalb Jahren Marketing-Direktor der FIS. Beim Gespräch mit ISPO.com auf dem „2. Mountain Peak Summit“ in Kitzbühel spricht er über neue Einnahmequellen für die FIS, neue Wettkampfformen und wo die FIS in Sachen Vermarktung noch Nachholbedarf hat.

Herr Capol, wie wichtig ist Marketing für einen Verband wie die FIS?
Jürg Capol: Ich muss zurückfragen: Für welches Unternehmen ist Marketing nicht mehr wichtig? Ist für Coca-Cola Marketing wichtig oder nicht? Die sind schon bekannt, trotzdem haben sie viele Leute, die Marketing machen. Wenn sie es nicht brauchen würden, würden sie kein Geld investieren. Wir sind zwar ein Sportverband, aber auch ein Unternehmen. Wir generieren Geld, teilen die meisten Gelder aber auch wieder aus: an die einzelnen Verbände. Marketing ist schon wichtig für uns, aber das Headquarter der FIS besteht aus 25 Leuten im Büro und 40, die unterwegs sind.

Das ist eher die Größe eines Klein-Unternehmens. Wie viele der 25 kümmern sich ums Marketing?
2,5.

Oh.
Das ist bescheiden, aber ich denke, wir setzen viel um, obwohl wir so wenige sind: verkaufen WM-Rechte und Titelpartner. Die Institution FIS hat bisher nicht vorgesehen, diesen Bereich auszubauen. Dafür wurde eine Marketingagentur outgesourced, die nun als FIS Marketing AG firmiert, in der die FIS der Haupt-Shareholder ist. Wir arbeiten also mit vielen zusammen, die in unserem Sinn arbeiten.

Jürg Capol, Marketing-Direktor der FIS. 
Bildcredit:
Imago

Rechtepakete wie vor 25 Jahren

Da ist viel Abstimmungsarbeit zu leisten. Aber nur 2,5 Personen im Marketing ist ja auch eine strategische Entscheidung...
Bislang werden die sportlichen Belange als primär eingestuft.

Wie gut ist die FIS im Vermarkten? Ist noch Luft nach oben oder ist schon alles ausgereizt?
Unser Hauptproblem ist, dass wir so dezentralisiert sind. Jeder große Sport hat das zentralisiert und verkauft zum Beispiel TV-Rechte aus eigener Hand. Der FIS gehören nur die WM-Rechte, und das eben nur alle zwei Jahre. Die anderen Rechte gehören den jeweiligen Verbänden, und jeder handelt da ein bisschen. Dieser Kuchen ist meiner Ansicht nach beschränkt steigerbar – wenn man nicht etwas ändert. Derzeit kommen keine neuen Märkte hinzu. Die Rechtepakete und die Bandenwerbungen sind fast die gleichen wie vor 25 Jahren.

FIS überlässt Förderung den Verbänden

Klingt bedenklich.
Dabei gibt es viel Potenzial!

Stichwort Digitalisierung.
Genau. Okay, wir haben eine App, haben einen Internetauftritt, die Grundformen halt, mit denen man auch andere Leute erreicht als die vor dem Fernseher. Andererseits eröffnen sich neue Einnahmemöglichkeiten, wenn man die Vision Digital-FIS hat. Laut unseren Grundstatuten fördern wir den allgemeinen Wintersport – aber in der Realität machen wir nichts. Sondern überlassen das wieder den Verbänden und Ski-Klubs. Da gibt es in der heutigen Zeit andere Möglichkeiten.

Die da wären?
Beispiel: Wie verkaufe ich heutzutage ein Skiticket? Ein booking.com gibt es beim Skifahren noch nicht, aber erste Entwicklungen in diese Richtung, Stichwort Kommissionierung. Aber da sind wir erst am Anfang. Aber ich sehe nun, in welche Richtung der Ball rollt. Das macht es spannend. Bislang wussten wir nichts über unsere Freunde des Skisports, hatten keine entsprechende Kartei.

Da tut sich ein weites Feld auf...
In der Tat. Wenn wir neue Geldquellen schöpfen wollen, müssen wir uns anpassen. Zumal diese digitalen Rechte niemandem so richtig gehören. Man vernetzt ja nur neue Quellen.

Mit 2,5 Mann aber eher nicht zu schaffen.
Auch hier haben wir externe Spezialisten, brauchen auf Sicht aber auch eigene neue Leute. Doch bislang ist die FIS nicht gewillt, da zu investieren.

Reden wir über Wettkampfformen: Bei den Alpinen gibt es mittlerweile eine Vielzahl neuer Formate: Parallel-Rennen, City-Rennen, über verkürzte Speed-Abfahrten wird diskutiert. Hilft das dem Skisport? Gegner wie die Familie Neureuther fordern eine Rückbesinnung auf Slalom, Riesenslalom, Abfahrt - fertig. FIS-Präsident will schon für nächstes Jahr eine Vereinheitlichung präsentieren…
Bislang hat man immer angehäuft, Neues dazugetan, das Portfolio erweitert – das Alte aber auch nicht abgeschafft. Allein bei den Parallel-Rennen gibt es drei oder vier verschiedene Formate – da muss man schon Insider sein, um das zu verstehen. Das geht aus Marketing-Sicht überhaupt nicht. Parallel muss ein Format sein, das jeder versteht und das nicht länger als eine Stunde dauert, mit wenig Pausen. Da bin ich ein bisschen das schwarze Schaf.

FIS-Marketing-Direktor über Renn-Formate

Wieso?
Die Sportleute in unseren Komitees sind ja passionierte Sportler – und die sind zu wenig kritisch mit mir und sich selbst. Die häufen lieber etwas an, aus Liebe zu ihrem Sport, wollen maximale Fairness. Aber wenn ihr Format 1 Stunde 50 Minuten dauert, und davon in den letzten 30 Minuten 18 Minuten Pause sind, weil die Athleten nochmal hoch zum Start müssen, dann stimmt was nicht am Format, dann ist das das falsche Produkt. Das sage ich ihnen dann schon: "Wenn ihr das gut findet – ich finde es miserabel und langweilig und schaue nicht mehr zu."

Die Alpine Kombination aus Abfahrt und Slalom ist seit Jahren ein Sorgenkind, bleibt nun aber doch im WM-Programm.
Außer Wengen, das die Kombination auch in Zukunft machen will, finden wir im Weltcup keinen Veranstalter. Man braucht zwei Rennstrecken, es gibt mehr Kosten. Es ist alles vielfach doppelt.

Altes und Neues kombinieren

Der Langlauf ist dagegen durch neue Sprint-Formate wesentlich attraktiver geworden.
Das funktioniert sehr gut. Man braucht Core-Formate, also Finalrunden, muss aber auch die sogenannten Mammuts erhalten. Auch die Uhrzeit ist natürlich wichtig: Morgens um zehn ist witzlos, weil man da zu wenig Zuschauer hat. Nachmittags schauen doppelt so viel Leute zu. Und: Wie viele Starter brauche ich? Vielleicht langen 20.

Und die Abfahrer fahren vorher eine Qualifikation, oder wie?
Das Problem bei Abfahrten ist ja: Wenn ich 88 Starter habe, muss der Letzte auch noch Licht haben, also muss man relativ früh starten, weil es um drei schon wieder dunkel wird. Es kann vorab schon eine Quali geben, aber das Hauptrennen muss am Samstag zelebriert werden, vielleicht mit nur 20 oder 25 Startern.

Oder man hat eine Setzliste wie bei den Skispringern.
Die haben es verstanden, ihr Produkt sehr genau zu terminieren, mit stabilen Startzeiten. Es sieht immer gleich aus, egal ob in Oberstdorf, Innsbruck oder Zakopane, die gleichen Kameraeinstellungen – dennoch ist die Fan-Gemeinde groß. Weil es stabil ist.

Wie ausgereizt ist die Technik bei den TV-Übertragungen?
Sensoren zur Messung der Sprünge bei den Alpin-Abfahrern gibt es schon, sie werden auch vermehrt eingesetzt, allerdings nur bei den Speed-Rennen mit großer Strahlkraft wie Wengen oder Kitzbühel. Es erschlägt den Zuschauer ja auch, wenn er nur noch Grafiken sieht.