01.09.2016

Birgit Kober: Paralympics-Champion lebt von Hartz IV und Sporthilfe

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Für Birgit Kober ging es bei den Paralympischen Spielen 2016 in Rio nicht nur um Gold im Kugelstoßen, es geht auch um viel Geld: Erstmals erhalten Para-Athleten von der Sporthilfe die gleichen Medaillenprämien wie nichtbehinderte Sportler. Die 45-Jährige, die am Final-Wochenende ihren Titel im Kugelstoßen mit 11,41 Metern erfolgreich verteidigt hat, lebt von Hartz IV – und möchte sich von der Goldprämie gerne einen Trainer leisten. „Ich hätte es mir nicht besser vorstellen können", sagte sie nach dem Triumph in Rio.

Birgit Kober gewann bei den Paralympics 2016 in Rio Gold in der Klasse der stehenden Kugelstoßerinnen.
Birgit Kober gewann bei den Paralympics 2016 in Rio Gold in der Klasse der stehenden Kugelstoßerinnen.

Mit ISPO.com hat Birgit Kober vor den Paralympics 2016 über ihr Leben zwischen Sozial- und Sporthilfe gesprochen.

ISPO.com: Frau Kober, bei den Paralympics laufen Sie in Männerkleidung rum – wie kommt's?
Birgit Kober: Na ja, weil ich in die schmale Damenausstattung von Adidas nun wirklich nicht reinpasse, habe ich mich mit Herrenkleidung eindecken dürfen. Immerhin, so bleibt mir viel rosa Zeugs erspart. (lacht)

 

 

Viele Para-Sportler, wie zuletzt Michael Teuber, sind enttäuscht von der geringen öffentlichen Wertschätzung ihrer Leistungen. Wie sieht es mit der finanziellen aus? Wie hoch sind bei Ihnen die Medaillenprämien?
Erstmals in der Geschichte der Sommer-Paralympics gibt es für uns Para-Athleten die gleichen Medaillenprämien von der Sporthilfe wie für unsere nichtbehinderten Kollegen – das ist endlich gut und fair geregelt.

 

 

Sie erhalten für Gold also 20.000 Euro, für Silber wären es noch 15.000 und bei Bronze 10.000?
Ja, der Unterschied zwischen Gold und Silber ist für mich erheblich. Mit 20.000 Euro könnte ich ein paar Dürremonate, die nach den Paralympics sicherlich kommen werden, gut überbrücken.

Birgit Kober: „Ich führe ein Doppelleben“

Das Leben als Sportlerin ist ja nicht besonders günstig, zumal Sie in München wohnen. Wie finanzieren Sie sich, Frau Kober?
Ich führe sozusagen ein Doppelleben. Als Privatperson lebe ich von Hartz IV. Es ist nicht viel, aber damit kann ich mich und meine vier Katzen versorgen. Für alles, was den Sport betrifft, habe ich ein Sportkonto eingerichtet. Alle Einnahmen gehen da ein und alle Ausgaben für meinen Sport werden davon bezahlt. Dazu brauche ich aber immer die Genehmigung meiner Sachbearbeiterin vom Jobcenter.

 

Klingt kompliziert.
Ganz einfach ist es nicht, aber einen Fall wie mich gibt es ja nicht so oft. Wenn ich also neue Sportschuhe oder eine Trainingshose brauche, muss ich fragen. Und einmal im Jahr, wenn ich Hartz IV neu beantrage, muss ich eine Abrechnung fürs Sportkonto machen.

Sie können sich keine Sportkleidung kaufen, ohne zu fragen?
Ja, aber das ist völlig okay. Das funktioniert gut.

Kober erhält 150 Euro von der Sporthilfe

Frau Kober, was gibt es denn für Einnahmen auf Ihrem Sportkonto?
Von der Sporthilfe bekomme ich 150 Euro monatlich als Grundbetrag, weil ich im A-Kader vom DBS (Deutscher Behindertensportverband, Anm.d.Red.) bin. Außerdem hatte ich als eine von 46 Para-Sportlern das Privileg, die sogenannte Top-Team-Förderung zu erhalten. Das sind 400 Euro pro Monat. Zusätzlich übernimmt der DBS Reise- und Unterbringungskosten bei Welt- und Europameisterschaften sowie bei den Paralympics. Und von der Sportstiftung Nordrhein-Westfalen bekomme ich 300 Euro.

 

Steuert Ihr aktueller Verein auch etwas bei?
Von Bayer Leverkusen gibt es auch eine kleine Unterstützung, aber wir haben vereinbart, dass wir darüber nicht in der Öffentlichkeit sprechen. Letztlich ist es so: Wenn ich Rio „nur“ Silber gewinne, bleiben mir danach im schlimmsten Fall die 150 Euro von der Sporthilfe.
Die Top-Team-Förderung muss ich neu beantragen und das Geld von der Sportstiftung NRW und von Bayer Leverkusen fallen weg, weil ich demnächst für den TSV 1860 München starte und es keine Sportstiftung in Bayern gibt. Das war das, was ich mit „Dürremonate“ meinte. Eines ist mir noch wichtig...

„Sachspenden entlasten enorm“, sagt Kober

Ja bitte.
Viele denken ja, wir Para-Sportler würden Kleidung oder Schuhe von einem Ausrüster wie Adidas geschenkt bekommen. Aber dem ist nicht so. Meine Wurfschuhe zum Beispiel gehen spätestens nach einem Dreivierteljahr kaputt. Dann sind schon wieder 75 Euro weg.
Oder die Regenhose, die ich von Adidas für die Paralympics bekommen habe, die war mir viel zu groß. Also bin ich zu Karstadt und habe für 90 Euro eine andere gekauft. Das sind alles so Kleinigkeiten... Kleine Sachspenden würden mich enorm entlasten – und ich müsste sie nicht mit dem Amt absprechen.

Gibt es denn keine Sponsoren, die Sie unterstützen wollen?
Sehen Sie, als Behindertensportler hat man es ja ohnehin nicht so leicht. Auch wenn es makaber klingen mag: Wer 'ne Prothese hat und bei Lauf-Wettbewerben startet, hat noch die besten Chancen, gesponsert zu werden. Ich hingegen habe eine Behinderung im Kopf und bin eine Wurfsportlerin – da kann ich noch so nett lächeln, das reicht den Sponsoren bislang nicht. (lacht)

Kober: „Man reißt sich nicht um mich“

Sie haben Pädagogik studiert. Weshalb arbeiten Sie nicht in Ihrem Beruf?
Es tun sich derzeit ein paar Optionen auf, die wir nach Rio abarbeiten werden. Theoretisch würde ich gerne auf einer Stelle arbeiten, die für eine Pädagogin ausgeschrieben ist. Oder als Sozialarbeiterin.
Wegen meiner Einschränkungen – neben meiner Ataxie aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers leide ich auch an Epilepsie – geht das allerdings nur halbtags, um meinem Sport nachgehen zu können. Würde ich meinen Sport nicht machen, müsste ich die Zeit mit Krankengymnastik verbringen. Schließlich geht es mir körperlich nur dann gut, wenn ich entsprechend trainiere.
Sie können sich sicherlich vorstellen, dass sich Behörden, Organisationen oder Unternehmen nicht gerade um jemanden in meiner Verfassung reißen.

Was würden Sie sich denn von der Goldmedaillen-Prämie gerne leisten, Frau Kober?
Mein wichtigstes Thema ist derzeit ein Trainer. Ich trainiere mich seit drei Jahren selbst. Mein Techniktrainer ist eine App namens Coach's Eye. Damit kann man eine Videoanalyse von den Bewegungsabläufen machen und sie mit denen von Spitzenathleten vergleichen. Ich orientiere mich an der Technik von Ashton Eaton (Zehnkampf-Olympiasieger und -Weltrekordhalter, Anm.d.Red.), sein Kugelstoß-Video habe ich mir mindestens 350 Mal angesehen.

 

Zur Person:

Birgit Kober hat einen schweren Weg hinter sich. Als 17-Jährige bekam sie erstmals epileptische Anfälle; 2007, im Alter von 35 Jahren, erlitt sie aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers eine schwere Ataxie, die sie an den Rollstuhl band. 2012 holte sie bei den Paralympics in London Gold im Kugelstoßen und Speerwerfen und wurde zur „Behindertensportlerin des Jahres“ gekürt.
Kober tritt mittlerweile in der F36-Klasse der stehenden Kugelstoßerinnen an und ist mit 11,52 Meter amtierende Weltrekordhalterin. Bei den Paralympics in Rio startet sie am 17. September, 6 Uhr MESZ.
Die 45-Jährige wohnt mit ihren vier Katzen in einer Eigentumswohnung in München-Neuperlach.

Mehr über Birgit Kober erfahren Sie auf ihrer Homepage, bei Facebook und bei Twitter.



Joscha Thieringer Autor: Joscha Thieringer