Wenn das US-Magazin „Time“ eine Sportlerin zur Athletin des Jahres erklärt, obwohl sie ihre sportlichen Ziele fast alle verpasst hat, ist etwas Besonderes passiert. US-Turnstar Simone Biles hat bei Olympia in Tokio die Schwäche zur Stärke gemacht. Ihr Satz „ich habe mentale Probleme“, und ihr Verzicht auf einen Großteil der Wettbewerbe, bei denen ihr jeweils Goldmedaillen zugetraut wurden, öffnete eine Tür. Sportler auf der ganzen Welt reden seitdem freier über Druck, Selbstzweifel, psychische Erkrankungen. Auch für uns ist Biles die Athletin des Jahres.
Die Formel 1 hatte mit dem letzten Rennen der Saison einen Moment, der an die großen Duelle von früher erinnerte. Mit dem Sieg von Max Verstappen verpasste Lewis Hamilton den achten Weltmeistertitel und damit den Status als alleiniger Rekordhalter. Aber für uns wird Michael Schumacher sowieso immer die größte Legende bleiben. Acht Jahre nach seinem Skiunfall wissen wir nicht, wie es ihm geht. In der bei Netflix in diesem Jahr ausgestrahlten Doku über sein Leben verzichtete die Familie dankenswerterweise darauf, aktuelle Bilder des 52-Jährigen zu zeigen. So bleibt die Erinnerung unbeschadet – und keiner könnte den Status von Schumi besser beschreiben, als es der Chef von Lewis Hamilton, Toto Wolff, in der „Bild“-Zeitung machte: „Niemand wird je größer als Schumi sein. Auch, wenn die Statistik Lewis vorne sehen würde. Aber Michael hat eine Generation geprägt, wie kein anderer, er ist ikonisch.“ Keep fighting, Michael!
Beinamputierter gegen Bundesligatrainer – was im Oktober an der legendären Torwand des „ZDF-Sportstudio“ passierte, war ein magischer Fernsehmoment. Denn im Torwandschießen bezwang Christian Heintz, dem nach einem Unfall vor elf Jahren der rechte Unterschenkel amputiert werden musste, den Mainzer Trainer Bo Svensson. Der aus der Vulkaneifel stammende Vater von drei Kindern gehört zu denjenigen, die den Amputiertenfußball in Deutschland allmählich bekannter machen. Mittlerweile ist dank seines Einsatzes sogar eine Amputiertenfußball-Bundesliga entstanden. Die Möglichkeit zum Fußballspielen ist im wahrsten Sinne eine Krücke für die Amputierten: Der Fußball habe ihm „entscheidend dabei geholfen, wieder zurück ins Leben zu finden“, sagt Heintz.
Italia, che bella: Ein Titel hier, eine Sensation da, und immer wieder jubelnde Mengen. Italien ist für uns die Sportnation des Jahres. Okay, euer „Football is coming home“-Tweet nach dem Sieg der Nationalmannschaft im EM-Finale in Wembley gegen England war schon mehr als frech. Aber Spaß hat es trotzdem gemacht. Dann folgten die EM-Titel der Volleyballer sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen, und Filippo Ganna fuhr bei der Straßenrad-Weltmeisterschaft in Brügge im Einzelrennen so schnell wie keiner. Aber alles überstrahlte am Ende Olympia in Tokio. Usain Bolt ist Geschichte, Marcell Jacobs heißt nun der schnellste Mann der Welt. Neben dem Einzel-Gold im 100-Meter-Lauf gab es auch in der 100-Meter-Staffel Gold für Italien, dazu Gold, Silber und Bronze für Italienerinnen im Sprint der Damen und so viele Medaillen für Italien wie noch nie bei Olympia. Che bella!
Schwimmen mit Trisomie 21? Kaum möglich, sagten die Ärzte seinen Eltern. Doch Chris Nikic lernte schwimmen. Und nicht nur das. Er lernte auch laufen wie ein Extremsportler und Radfahren wie ein Tourenfahrer. Und so kam es, dass der 22 Jahre alte Nikic als erster Mensch mit dem Downsyndrom den Ironman geschafft hat. 3,8 Kilometer Schwimmdistanz, dann 180,2 Kilometer auf dem Fahrrad und am Ende die Marathondistanz über 42,195 Laufkilometer. Sein Vater trainierte ihn nach der Idee, dass jeden Tag ein Prozent mehr auf die sportliche Schippe kommen muss. Am Anfang schwamm Chris kaum eine Bahn – am Ende fast vier Kilometer. Mit dem sportlichen Erfolg sind auch die Träume des jungen Mannes gewachsen. Nach seinem Ziel gefragt, sagte er dem „Schweizer Tagesanzeiger“: „Ein eigenes Haus kaufen, ein eigenes Auto kaufen – und eine heiße Blondine aus Minnesota heiraten.“
Den einen war er zu abgehoben, den anderen zu wenig erfolgreich – doch auf einmal kommt Alexander Zverev an. 2021 war sein erfolgreichstes Tennisjahr mit fünf Turniersiegen und der Krönung Olympia-Gold. Mit seinen 24 Jahren scheint der gebürtige Hamburger auch endlich genau zu wissen, wo er hingehört. Der Sohn russischer Eltern beendete die Marketing-Idee seines Ex-Managers, ihn als internationalen Star aufzubauen. „Ich bin in Deutschland geboren, ich bin dort aufgewachsen, ich bin Deutscher“, sagte Zverev dem „Tennis Magazin“. Und er freut sich, dass Kinder ihn hier „als Vorbild sehen und anfangen, sich für Tennis zu interessieren“. Das ist der Reifeprozess des Jahres – vielleicht auch der neuen Liebe mit Sophia Thomalla geschuldet. „Ich spiele mit ihr im Rücken extrem gut.“ Und jetzt darf er sich auch noch Sportler des Jahres 2021 nennen – die Auszeichnung überreichte ihm sein Bruder Mischa vor ein paar Tagen in Baden-Baden.
Das Comeback des Jahres feiern die Sportvereine in Bayern. Dort gab es mit Schuljahresbeginn fast 20.000 Neueintritte – 8000 mehr als etwa im Jahr 2019 und damit vor der Corona-Pandemie. Nachdem zahlreiche Vereine wegen Corona viele Mitglieder verloren haben, ist dies eine der besten Sportnachrichten des Jahres. Hilfreich war, dass die Bayerische Staatsregierung ein Gutschein-Programm für Kinder aufgelegt hat, und jede Jahresmitgliedschaft mit 30 Euro bezuschusst.