Nachhaltigkeit/17.05.2017

Nachhaltigkeit als Kostenfaktor: Jill Dumain will nachhaltige Strategien rentabel machen

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Jill Dumain kennt sich aus in der Ökowirtschaft. Als Leiterin des Bereichs Umweltstrategie bei Patagonia hat sie das Thema Nachhaltigkeit in der Outdoor-Branche jahrelang geprägt. Jetzt ist sie die neue CEO von bluesign technologies. 

Jill Dumain verließ Patagonia für bluesign technologies.
Jill Dumain verließ Patagonia für bluesign technologies.

Jill Dumain ist eine Pionierin. Über 25 Jahre lang hat sie sich für eine umweltfreundlichere und nachhaltigere Textilienproduktion bei Patagonia eingesetzt.

Dabei hat sie sich nicht nur auf ihr eigenes Unternehmen beschränkt, sondern hat immer auch versucht, ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen. Nur gemeinsam können wir die weltweite Lage verbessern. Seit 2017 ist sie die CEO von bluesign technologies in St. Gallen, Schweiz. In einem ihrer ersten Interviews seit dem Wechsel spricht sie mit ISPO.com über ihre Pläne. 

 

 

„Habe größere Reichweite als bei Patagonia“

ISPO.com: Sie zählen zu den anerkanntesten Führungskräften der Textilindustrie im Bereich Nachhaltigkeit. Der Ruf von Patagonia als Vorreiter bei ökologischen Geschäftslösungen ist eng mit Ihrem Namen verbunden. Jetzt sind Sie zu bluesign technologies gewechselt. Warum?
Jill Dumain: 
Meine Zeit bei Patagonia war wirklich fantastisch und ich bin sehr dankbar dafür. Irgendwann kommt aber der Zeitpunkt in einer Karriere, an dem man sich bewegen und etwas Neues ausprobieren muss. Bei mir hat es eben einfach 28 Jahre gedauert, um an diesen Punkt zu kommen.

Bluesign technologies ist ein Unternehmen, an das ich zu 150 Prozent glaube, und da ich bei Patagonia in Übereinstimmung mit meinen Werten arbeiten konnte, war die einzige Möglichkeit zu Veränderung der Wechsel zu einem Unternehmen mit ähnlichen Werten.

Ich habe das Gefühl, dass ich in meiner neuen Funktion eine größere Reichweite habe als bei Patagonia, und nun ist es an der Zeit, mein Wissen breiter einzusetzen und zu teilen. Uns bleibt nicht viel Zeit, die Zukunft unseres Planeten zu verändern, und ich wusste, dass ich die Chance wahrnehmen musste, meinen persönlichen Beitrag zu leisten.

 

Jill Dumain übernimmt bei Bluesign Technologies und beerbt Peter Waeber.
Jill Dumain übernimmt bei Bluesign Technologies und beerbt Peter Waeber.
Bildcredit:
Bluesign

Bluesign hat seine Wurzeln in der chemischen Textilindustrie und auf dieser Industrie lag auch der Fokus des Unternehmens. Welche neue Perspektive werden Sie in das Unternehmen einbringen?
Die Perspektive, die ich aus einem anderen Bereich der Lieferkette einer Marke mitbringe, ist für bluesign etwas völlig Neues. Die enge Verbindung zur chemischen Industrie ist sehr wichtig und wird auch Teil der Organisation bleiben, aber es hat auch seine Vorteile, wenn man vom anderen Ende der Lieferkette kommt.

Viele Jahre lang war es meine Aufgabe, Wege zur Implementierung von Projekten zu finden, die anfangs unmöglich erschienen, und andere davon zu überzeugen, mit mir zusammenzuarbeiten. Ich musste sie dazu bringen, die Vision zu erkennen und sie dafür zu begeistern, damit wir gemeinsam die Lösungen finden konnten. Eine weitere Aufgabe war es, herauszufinden, wie wir den Verbrauchern ziemlich komplizierte Hintergründe effektiv näher bringen konnten.

Wir mussten einen guten Weg finden, einerseits die Details zu erläutern, um unsere Anliegen verständlich zu machen, aber die Leser andererseits nicht mit zu vielen Fakten zu erschlagen, damit sie nicht das Interesse verlieren. Ich freue mich sehr darauf, gemeinsam mit unseren Systempartnern dasselbe Modell für bluesign zu nutzen.

 

 

„Müssen Tiefe unseres Systems kommunizieren“

Was sind die größten Herausforderungen für bluesign in den nächsten Jahren? Was ist Ihr Ziel?
Ich glaube, die größte Herausforderung ist es, die Tiefe unseres Systems zu kommunizieren. Es gibt kein anderes Chemikalien-Management-System, das so weit in der Lieferkette zurückgeht, wie wir es tun.

Als ich noch bei Patagonia war, war dies der Punkt, den ich am meisten geschätzt habe. Ich saß an meinem Schreibtisch und wusste, dass es Profis gab, die über die Kompetenz verfügten, die Komplexität unserer Lieferkette bis hin zu unseren Chemielieferanten zu managen. Das ist allerdings eine Botschaft, die nur schwer zu vermitteln ist.

Die meisten reden nicht gerne über Schadstoffe und Chemie. Vor Schadstoffen haben wir Angst und bei Chemie denken viele an eines ihrer schwierigsten Schulfächer.

Eine weitere Herausforderung ist es, andere Bereiche der Textilindustrie zu erreichen. Wir sind stark in der Outdoor-Branche, in anderen Branchen wartet jedoch noch viel Arbeit auf uns. 

Was sind die größten Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit, denen die Textilindustrie in den nächsten Jahren gegenübersteht?
Die größte Herausforderung ist es, Lösungen zu finden, diejenigen, die sich noch nicht für Nachhaltigkeit einsetzen, für dieses Thema zu interessieren. Was Hersteller und Chemieunternehmen angeht, müssen wir mit einem größeren Segment der Textilindustrie zusammenarbeiten.

Wir verfügen mittlerweile über so viel Wissen, wie man Stoffe auf eine Weise produzieren kann, die sowohl für die Menschen in der Lieferkette als auch für die Umwelt besser ist, sodass wir alle daran arbeiten sollten, die Branche im weiteren Sinne einzubinden, damit andere Bereiche nicht dieselben Fehler begehen, die bereits vor Jahren gemacht wurden.

 

„Nachhaltigkeit muss rentabel werden“

Bluesign wurde als Brancheninitiative gegründet, um durch die Einsparung von Energie, Materialien, Chemikalien usw. Prozesse zu verbessern und auch Kosten zu senken. Was ist Ihre Erfahrung aus der Zeit bei Patagonia: Kann mehr Nachhaltigkeit Kosten senken?
Ich glaube, dass Nachhaltigkeitsbestrebungen Kosten letztlich tatsächlich reduzieren können, allerdings nicht immer gleich zu Beginn eines Projektes, was es bestimmten Unternehmen schwer macht, ganz besonders den börsennotierten. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine Branche schaffen müssen, in der der wirtschaftliche Aspekt mit den anderen Bereichen im Gleichgewicht ist.

Wenn es eine Möglichkeit gibt, die restliche Industrie ins Boot zu holen, dann indem wir Wege finden, die Nutzung nachhaltiger Verfahren wirtschaftlich rentabel zu machen. Einige unserer Systempartner konnten beispielsweise mit den Einnahmen, die sie durch die Einführung des ganzheitlichen bluesign-Systems erzielt haben, erhebliche Investitionen in ihre Produktionsstandorte tätigen.

Viele Firmen möchten nachhaltiger werden, wissen jedoch nicht, wo sie anfangen sollen. Was sind Ihrer Auffassung nach die größten Hindernisse für einen besseren ökologischen Fußabdruck?
Das größte Hindernis für Unternehmen, die heute anfangen, sich für dieses Thema einzusetzen, ist die Vielzahl an Initiativen, an denen sie glauben teilnehmen zu können oder zu müssen. Heutzutage gibt es so viele unterschiedliche Programme. Vermutlich lähmt das die Unternehmen auch ein wenig. Ich bemühe mich immer, die Unternehmen darin zu bestärken, nur das anzugehen, was sie auch langfristig umsetzen können.

Es ist nämlich unheimlich entmutigend für die Mitarbeiter und das Unternehmen, wenn man einen Schritt zurückgehen muss, weil etwas nicht funktioniert. Das kommt häufig daher, dass es am Anfang zu schnell geht. Man muss aber einen guten Mittelweg finden, denn wie ich vorhin schon gesagt habe, wir haben nicht viel Zeit!

Video: Nachhaltigkeit im Sports Business

 

Was empfehlen Sie, sollte ein Unternehmen zuerst tun?
Ich empfehle in der Regel, einen Bereich anzugehen, der mit den Unternehmenswerten direkt übereinstimmt. Wenn Ihnen Flüsse wichtig sind, kümmern Sie sich um das Abwasser. Wenn Ihr Standort an der Küste liegt, ist es vielleicht Mikroplastik. Wenn es ein Müllproblem in Ihrer Region gibt, konzentrieren Sie sich auf das Recycling.

Kurz gesagt, etwas nicht allzu Komplexes, das Ihrem Unternehmen wichtig ist. Natürlich wird es nicht allen gleich wichtig sein, aber wenn es für Ihr Unternehmen von Bedeutung ist, ist es einfacher, die Leute intern von der Idee zu begeistern.

„Alternative Technologien werden besser“

Derzeit gibt es ein Problem mit PFC in Bekleidung und der Detox-Kampagne von Greenpeace. Vielen Unternehmen zufolge wird es 2020 behoben sein. Ist das realistisch?
Da die Durchlaufzeiten in der Outdoor-Industrie, der Branche, in der am meisten PFC eingesetzt werden, so lang sind, steht 2020 unmittelbar vor der Tür. Es dauert nicht mehr lange, bis sich diese Unternehmen für die Stoffe entscheiden, die sie 2020 nutzen werden, es könnte also schwierig werden, dass alle das Ziel erreichen.

Die alternativen Technologien werden von Jahr zu Jahr besser, deshalb werden die Unternehmen vielleicht festlegen können, wie sie dahin kommen. Unser System bietet Lösungen, die schon heute verfügbar sind.

 

 

Es gibt einen ständigen Widerspruch zwischen Konsum – dem derzeitigen System der Modeindustrie – und Nachhaltigkeit. Die Kreislaufwirtschaft scheint eine Lösung zu sein, die beiden besser gerecht wird. Sehen Sie bereits Bemühungen und Erfolge, die Kreislaufwirtschaft in einigen Teilen des Business einzuführen?
Unser Fokus liegt derzeit nicht speziell auf der Kreislaufwirtschaft, aber der Ansatz, weniger Ressourcen zu verbrauchen, um die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen, ist Teil des bluesign-Systems.  Durch den Einsatz unseres Systems können erhebliche Ressourceneinsparungen erzielt werden, und genau das ist eines der Ziele der Kreislaufwirtschaft. 

Frau Dumain, Sie arbeiten seit vielen Jahren in der Outdoor-Branche – verbessert sich wirklich etwas in der Textilindustrie? Oder sind die Schritte immer noch zu klein, um wirklich etwas zu bewegen?
Ich bin davon überzeugt, dass sich die Textilindustrie verbessert. Ich habe ziemlich viele sehr einsame Jahre in der Umweltarbeit erlebt, aber heute gibt es von so vielen verschiedenen Seiten gemeinsame Bemühungen, dass ich mir sicher bin, dass es Fortschritte gibt.

Der Einsatz von recyceltem Polyester hat zugenommen, es wird mehr biologische Baumwolle angebaut, obwohl der Anteil immer noch sehr gering ist, und viele Unternehmen der Lieferkette rücken das Chemikalienmanagement in den Fokus.

Dennoch verändern sich die Umweltmetriken unseres Planeten nicht schnell genug in die richtige Richtung, weshalb man sagen könnte, dass immer noch zu wenig getan wird. Ich bin jedoch optimistisch, da diesen Themen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als jemals zuvor in den vergangenen 25 Jahren. 

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Dr. Regina Henkel Autor: Regina Henkel